Für die Griechen der Antike lag der Wilde Westen im Norden. Ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. wagten es zunächst unternehmungslustige Händler, durch Dardanellen und (Thrakischen) Bosporus in das Schwarze Meer einzufahren, das sie wegen seiner Unberechenbarkeit Pontos Euxeinos (Gastliches Meer) nannten, um es zu besänftigen. Den Kaufleuten folgten Kolonisten, die um den Kimmerischen Bosporus, die der Ausgang des Asowschen Meeres ins Schwarze in der Antike genannt wurde, Städte errichteten und hofften, in den weiten Landschaften ihr Auskommen zu finden.
Dass das nicht leicht sein würde, mussten die Griechen bald erkennen. Denn die große eurasische Steppe war keineswegs menschenleer, sondern eine Völkerstraße, auf der nomadisierende Gruppen bis vor die Tore Chinas zogen. Um gegen sie gewappnet zu sein, vergaßen die Griechen bald ihre traditionellen Rivalitäten und schlossen sich zusammen. Dieses Bosporanische Reich sollte ein Jahrtausend existieren und war zeitweise einer der größten griechischen Staaten, der rund 30 Städte umfasste.
Um 480 v. Chr. bezeugt der Chronist Diodor die Dynastie der Archaianaktiden als Herrscher. Sie machten Pantikapaion zur Hauptstadt. Ihr Titel eines leitenden Beamten, Archon, verweist noch auf die demokratischen Strukturen der frühen Siedler, die sich inzwischen lieber von einem Monarchen regieren ließen. Denn Herrschaft in dieser rauen Gegend war ein schwieriges Geschäft.
Zum einen waren die Griechen bestrebt, ihren Lebensstil mit Kulten, Theatern und Gymnasien beizubehalten. Zum anderen musste ein friedliches Auskommen mit den Nachbarn gefunden werden, in den Quellen als Skythen bezeichnet. Gute Handelsbeziehungen waren ein probates Mittel dafür, wobei sich die Griechen an der Frontier hüten mussten, nicht allzu sehr in die Konflikte in Griechenland einbezogen zu werden und sich auch mit der persischen Großmacht in Kleinasien gut zu stellen.
Dabei halfen ihnen drei wichtige Güter: Getreide, Fisch und Sklaven. Vor allem die Weizenlieferungen waren für die Bewohner Griechenlands existenziell; nicht umsonst beruhte Athens Machtstellung auf der Kontrolle der Route durch die thrakischen Meerengen. Für die kostenlose Lieferung von 15.000 Medimnen (590 Tonnen) Getreide wurde König Spartokos III. 284 v. Chr. mit zwei Bronzestatuen auf der Akropolis geehrt. An weiteren „Bedürfnissen des Lebens“ zählte der Historiker Polybios „Vieh und eine große Zahl ausgezeichneter Sklaven“ auf – und von den Luxusartikeln „in Unmengen Honig, Wachs und Salzfisch.“ Sie erhalten dafür Öl und jede Sorte Wein.
Historiker haben den Umgang der Kulturen an dieser Frontier als „Protohellenismus“ bezeichnet. Eineinhalb Jahrhunderte, bevor Alexander der Große mit der Eroberung des Perserreiches Asien der griechischen Zivilisation öffnete, war im Norden des Schwarzen Meeres ein Königreich entstanden, in dem sich hellenischer und skythischer Lebensstil wechselseitig durchdrangen.
Als der Druck aus der Steppe Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. zunahm, wandten sich die Griechen an König Mithridates VI. von Pontos (ca. 132–63), einem hellenisierten Königreich an der Nordküste Kleinasiens. Der annektierte die Bosporanier kurzerhand und nutzte ihre Ressourcen in seinen drei Kriegen gegen Rom. Damit rückte das Bosporanische Reich für kurze Zeit ins Zentrum der Weltgeschichte.
Denn Mithridates setzte alles daran, die Geschichte zurückzudrehen, was in diesem Fall hieß, die direkte Herrschaft Roms über Griechenland und Teile Kleinasiens sowie die informelle über die Mittelmeerwelt zu beenden. Nachdem er seine Herrschaft auch in den Kaukasus vorgeschoben hatte, machte er sich an die Eroberung der römischen Provinz Asia, wo er von den meisten Griechen als Befreier begrüßt wurde.
Um seine politischen Ziele zu dokumentieren (und seine neuen Verbündeten an sich zu binden), gab er 88 v. Chr. in Ephesos seinen berüchtigten „Blutbefehl“ heraus. Danach sollten alle Römer und Italiker, Männer, Frauen und Kinder, an einem Stichtag ermordet werden. Die Quellen sprechen von 80.000 bis 150.000 Opfern. Zwar gelang es mehreren römischen Feldherrn, Mithridates zurückzuschlagen. Aber der Rachefeldzug scheiterte an innerrömischen Konflikten. Erst Pompejus gelang es im Dritten Mithradatischen Krieg (73–63), Pontos zu erobern.
Der König floh ins Bosporanische Reich, wo er sich allerdings mit einem Aufstand seines Sohnes konfrontiert sah. In seinem Palast in Pantikapaion am Ausgang des Asowschen Meeres ließ er sich von einem Offizier den Todesstoß versetzen. Das Bosporanische Reich wurde zu einem römischen Klientelstaat.
Doch in der Spätantike schwand Roms Macht, und mit Goten, Alanen und Sarmaten erschienen neue Akteure in der Steppe. Archäologische Funde belegen eine regelrechte „Sarmatisierung des Bosporus“ (Alexander V. Podossinov). Der Einbruch der Hunnen Ende des 4. Jahrhunderts setzte den Schlusspunkt.
Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2021 publiziert.