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Meinung Nestlé, Aldi und Co.

Mit Junk-Studien gegen Özdemirs Junk-Food-Werbeverbot

Quelle: Getty Images/IndiaPicture
Mit einer großen Kampagne will die Lebensmittelindustrie Cem Özdemirs Werbegesetz gegen ungesundes Essen verhindern. Es sei erwiesen, dass solche Werbeverbote kindliches Übergewicht nicht verhindern könnten, heißt es etwa. Nicht die einzige Behauptung, die einfach lächerlich ist.
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Den Kampf gegen Cem Özdemirs Politik lassen sich Lebensmittel- und Werbewirtschaft einiges kosten. Mit doppelseitigen Anzeigen, einer Kampagnen-Website, Veranstaltungen und einigem Krach in den sozialen Medien haben sie nun die finale Runde der Auseinandersetzung eingeläutet: Die Verbände wollen einen Gesetzentwurf des grünen Ministers endgültig stoppen. Dieser würde die Lebensmittelwerbung deutlich einschränken und dadurch einen wesentlichen Störfaktor für eine gesunde Ernährung von Kindern beseitigen.

Man kann über die Idee einer Werbebeschränkung für Lebensmittel mit viel Zucker, Salz oder Fett geteilter Meinung sein, Grundsatzdebatten über das Schutzbedürfnis von Kindern und die Freiheit der Märkte führen, und selbstredend dürfen Verbände für das eintreten, was sie als Interessen ihrer Mitglieder auffassen. Ihre aktuelle Kampagne allerdings überschreitet die Grenzen der Redlichkeit weit. Sie stellt Özdemirs Gesetzentwurf als ernsthafte Gefahr für Medienvielfalt und Pluralismus dar, und die brauche es als „Gegengewicht zu Desinformation und Fake News“.

Das Problem ist nur, dass die Kampagne just darauf aufbaut: auf Desinformation und Fake News.

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„Werbeverbote sind unwirksam gegen kindliches Übergewicht“, heißt es in den Zeitungsanzeigen beispielsweise. Als „Beleg“ führt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie dann Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages an. Nur: In dessen Gutachten steht gar keine derartige Aussage.

Quelle: x.com/BVE_online
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Könnte sie auch nicht. Zu Recht verweisen die Parlamentswissenschaftler darauf, dass es kaum möglich ist, den direkten kausalen Zusammenhang zwischen einer einzelnen politischen Maßnahme und der (Über-)Gewichtsentwicklung von Kindern zu belegen. Entsprechend wohlfeil ist es, umgekehrt vorab das Beibringen eines solchen Belegs als Voraussetzung für die Legitimität eines gesetzlichen Eingriffs einzufordern.

Das alles aber beweist natürlich nicht das Gegenteil, die behauptete Unwirksamkeit. Geradezu lächerlich mutet da der Verweis auf andere Länder an, die Maßnahmen wie Zuckersteuern oder Werbebeschränkungen kürzlich eingeführt haben und in denen, oh Wunder, die Statistiken nach wenigen Jahren noch nicht weniger Übergewichtige auswiesen. Dass epidemiologische Studien, die seriös das Übergewicht einer Bevölkerung erfassen, nicht ständig, sondern meist in größeren Zeitabständen gemacht werden, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie die Komplexität der Entstehung von Übergewicht. Sie ist nämlich auch das Ergebnis von langfristigen Prägungen.

Lobby-Strategie ist eine intellektuelle Beleidigung

Aus der Epigenetik-Forschung haben wir gute Hinweise darauf, dass wir solche Prägungen wohl sogar vererben, unser Ernährungsumfeld heute also auch Einfluss darauf hat, wie der Stoffwechsel nachfolgender Generationen aussieht. Eine ernährungspolitische Maßnahme wirkt daher nie schnell, sondern immer langfristig.

Zugleich sind die Indizien, dass Werbung Übergewicht befördert, äußerst stark. Dass sie einen höheren Konsum von Junkfood auslöst, eine regulative Maßnahme hingegen das Konsumverhalten verändern kann, ist gut belegt. Daran ändern auch die Auftragsgutachten der Kampagnen-Partner nichts.

Deren Niveau ist ohnehin eine intellektuelle Beleidigung für jedes Unternehmen, dessen Mitgliedsbeiträge in solche Pamphlete fließen. Bestes Beispiel: ein Gutachten der – laut Eigenwerbung – „Beratungsboutique“ Düsseldorf Competition Economics GmbH für den Markenverband zu den Auswirkungen von Özdemirs Gesetzentwurf. Verfasst hat es der Ökonom Justus Haucap, der mit Auftragsarbeiten und dem Vorwurf des verdeckten Lobbyismus bereits seine Erfahrungen gesammelt hat.

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Haucap rechnet vor, dass dem Werbemarkt zwischen 1,99 und 2,94 Milliarden Euro entzogen würden, was, natürlich, „Medienvielfalt und Pluralismus in Deutschland schwächen“ würde. Mal abgesehen davon, dass die übertriebenen Zahlen, mit denen die Lobbyverbände jonglieren (wonach die Werbebeschränkung für 70 oder gar 80 Prozent aller Lebensmittel greifen würde), überhaupt nicht den aktuellen Gesetzentwurf abbilden: Um auf sein Horrorszenario zu kommen, nimmt Haucap mal eben an, dass die von Özdemirs Plänen erfasste Produktwerbung einfach ersatzlos wegfiele.

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Man stelle sich also die verzweifelten Mediaplaner von Nestlé, Aldi und Unilever vor, die nicht mehr wissen, wofür sie ihre Werbebudgets ausgeben sollten. Dass viele Unternehmen auch andere Teile ihres Portfolios bewerben oder Rezepturen derart verbessern könnten, dass sie nicht unter das Verbot fallen, traut der Ökonom ihnen offenbar nicht zu. Die Verbände müssten das besser wissen, haben sich aber offenbar vorgenommen, die Junkfood-Werbung mit Junk Science zu retten. Besser kann niemand dokumentieren, dass er keine guten Argumente hat.

Auch mancher Fernsehsender lässt sich – nicht ganz uneigennützig – für eine solche Kampagne auf das Niveau der Verbände herab. In einem Beitrag berichtete RTL West jüngst über eine Veranstaltung in Köln, auf der, so hieß es bei dem Privatsender, „Wissenschaftler“ über das Werbegesetz „diskutierten“ – und es anscheinend einheitlich ablehnten.

Was der Sender zu erwähnen vergaß: dass die Veranstaltung nicht etwa ein Wissenschaftsforum war, sondern ein Kampagnen-Event von Lebensmittel- und Werbelobby; dass es sich bei den Wissenschaftlern um die Auftragsgutachter der Verbände handelte; und dass ein erheblicher Teil der Wissenschaft – jener nämlich, der sich mit Ernährung, Adipositas und Gesundheitspolitik befasst – ganz andere Auffassungen vertritt. Befürworter des Gesetzes oder gar Minister Özdemir selbst kamen nicht zu Wort.

Den Kampagnen-Machern der Lebensmittelindustrie ist es egal, sie verbreiteten den Beitrag weiter. Er muss wohl für diesen Pluralismus stehen, für den es sich so sehr zu kämpfen lohnt – egal mit welchen Mitteln.

Martin Rücker war bis Anfang 2021 Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch und lebt als freier Journalist in Berlin.

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