WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Debatte
  3. Kommentare
  4. Fasten: Aufrufe erinnern an das Verbotsmantra mancher Klimaschützer

Meinung Freiwilliger Verzicht

„Aufrufe zum Fasten erinnern an das Verbotsmantra mancher Klimaschützer“

Das sollte man beim Fasten lieber lassen

Intervallfasten wirkt - wenn man es richtig macht.

Quelle: WELT

Autoplay
Am Aschermittwoch begann die traditionelle Fastenzeit. Die einen verzichten auf Süßigkeiten und Alkohol, andere auf Konsum und Flüge. Doch ist Fasten das Gebot der Stunde oder nur eine Mode? Pro und Contra.

Nein, „Entgiftung“ durch radikales Fasten ist eine Mär

Reinhard Mohr hat nie gefastet und liebt Rotwein aus dem Languedoc
Reinhard Mohr hat nie gefastet und liebt Rotwein aus dem Languedoc
Quelle: Amin Akhtar

Eins ist bei mir klar: Ich mag keine Gummibärchen. Also gibt’s da auch kein Fastenproblem. Mehr noch: Länger schon liegt bei uns zu Hause keine Schokolade mehr herum. Auch keine fiesen Käsestangen zum Apero, die kalorienmäßig glatt eine Hauptmahlzeit ersetzen. Denn die Erfahrung zeigt: Was da ist, wird auch weggeputzt. Schlecht für die Figur.

So ist auch unser Kühlschrank, jedenfalls verglichen mit dem Durchschnitt im Lande, geradezu erschreckend leer. Auch hier gilt: Überfluss ist unvernünftig. Und teuer. So hat sich ein gewisser Verzicht quasi en passant schon im Normalbetrieb durchgesetzt – jenseits von Askese, Bußgang, materieller Entsagung, innerer Einkehr und geistiger Reinigung.

Aber zugegeben: Wein ist immer vorrätig, guter Käse dazu, und ein paar andere Sachen, die die Lebensqualität erhöhen und den täglichen Wahnsinn der Welt ein bisschen erträglicher machen.

„Maß und Mitte“, eine Lieblingsvokabel unserer Kanzlerin, ist in diesem Falle mal keine schlechte Richtschnur. Denn das Fasten in verschiedenen Härtegraden ist ja stets nur die Ausnahme von der Regel, genauso wie Trennkostdiäten oder sportive Höchstleistungen wie ein Marathonlauf, der nach Auskunft von Experten nicht unbedingt gesundheitsförderlich ist.

Entscheidend bleibt der ganz normale Alltag, die Serie von Gewohnheiten, die unser Leben bestimmen. Und an dieser Stelle kommt die Wissenschaft ins Spiel. Vor Jahren schon kommentierte ein Arzt im Bayerischen Rundfunk die Mär von der „Entgiftung“ durch radikales Fasten mit seinem Hinweis auf die Funktionsweise unserer Organe: Wenn Magen, Darm, Leber, Niere und Galle normal arbeiteten, geschehe die Entgiftung ganz von selbst.

Natürlich gilt das nicht für schwere Alkoholiker, Menschen mit Essstörungen und massiv Übergewichtige. Auch wenn es inzwischen Untersuchungen gibt, die eine gewisse „Entgiftungswirkung“ des Fastens festgestellt haben wollen – eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass gerade im Körper angereicherte Umweltgifte dabei nicht ausgeschieden werden.

Diese Diskussion wird nie zu Ende sein, weil es letztlich um die Einstellung zum eigenen Leben geht. Ein bisschen erinnern die Aufrufe zum Fasten an das Verbotsmantra mancher Klimaschützer, die offenbar zu willensschwach sind, sich an die selbst formulierten Verzichtsregeln zu halten und deshalb vom Staat erwarten, er möge ihnen per Gesetz möglichst viel verbieten: Inlandsflüge, lange Autofahrten, Dieselautos, zuckerhaltige Limonade, Coffee-to-go-Becher, Strohhalme, Plastiktüten, SUVs. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Autonomie und Selbstverantwortung, von Selbsterkenntnis und innerer Einkehr ganz zu schweigen.

Es sei jedem unbenommen, Tage oder Wochen keine Nahrung zu sich zu nehmen. Doch ich bin der Überzeugung, dass es wichtiger und besser ist, sich jeden Tag zu überlegen, was man zu sich nimmt und was nicht.

Ja, Verzicht macht Kopf und Körper klar

Hogler Kreitling verzichtet seit Aschermittwoch auf Alkohol – und Gummibären
Hogler Kreitling verzichtet seit Aschermittwoch auf Alkohol – und Gummibären
Quelle: Claudius Pflug
Anzeige

Ein Freund erzählt die Geschichte, wie er in Frankreich in einem berühmten Sterne-Restaurant saß, mittags, er hatte sich lange darauf gefreut. Und um ihn herum saßen gelangweilte Menschen vor berühmten Weinflaschen und aßen dazu erlesene Speisen, als wäre es Kartoffelsalat mit Würstchen. Das Besondere war für sie eben normal. Es fehlte die Differenz und deshalb ein bisschen die Wertschätzung.

Daran muss ich denken, wenn die Fastenzeit beginnt, in der ich keinen Alkohol trinke und mir Gummibärchen erspare, wobei ich wahrscheinlich scheitern werde – und zwar eher nicht beim Alkohol. Denn im Grunde sind wir in der Situation der Wohlhabenden im Sterne-Restaurant: Alles, was wir mögen, ist ständig verfügbar, benutzbar, konsumierbar, 24/7. Wir vergessen größtenteils Aufwand und Herkunft.

Fasten ist eine ideelle Sache, eine Art selbst in Gang gesetzte Gehirnwäsche. Ich rede jetzt nicht vom Heilfasten, um den Körper zu entgiften. Für 40 Tage zwischen Aschermittwoch und Gründonnerstag lässt man Gewohnheiten sein. Ganz egal, ob Alkohol, Zigaretten, Fleisch, Schokolade, Internet, Fernsehen, Drogen oder Autofahren: Verzicht ist das Entscheidende.

Es ist gar nicht so leicht. Recht schnell und zuweilen quälend wird dem Fastenden bewusst, was ihm fehlt und wie sehr der jeweilige Botenstoff sich im Kopf breit gemacht hat. Unser komödiantisch begabtes Gehirn entwickelt super Ausreden, um die fast vergessene Tafel Zartbitterschokolade aus dem Vorratsschrank genau jetzt aufreißen zu können. Im Supermarkt am Regal mit dem Süßkram vorbeizugehen, ist eine echte Prüfung.

Auch die soziale Komponente des Alkoholverzichts trifft mich jedes Mal, all die Gelegenheiten, die Versuchungen, die übliche Grundversorgung, egal wohin man geht. Das ist erst eine leicht beklemmende, dann eine gute Erfahrung, die am Ende der Fastenzeit in Erleichterung übergeht, dass es bald vorbei sein wird. Jedenfalls setzt es Kräfte frei, die es ohne die freiwillige Leistung nicht gäbe. Ich glaube, dass dieses ideelle Plus die physischen Vorteile überwiegt und kann deshalb nur empfehlen, es auszuprobieren.

Das Wichtigste bleibt die Differenzerfahrung. Als der griechische Philosoph Epikur vom glücklich machenden Genuss sprach, meinte er nicht Völlerei, sondern Bewusstmachung durch Askese. „Lebe zurückgezogen“, forderte er.

Anzeige

Der kurzzeitige Verzicht macht Kopf und Körper klar, dass es auch anders geht. Verzicht schärft die Urteilskraft und das Qualitätsbewusstsein. Verzicht führt zu Unterscheidungsfähigkeit und lässt einen, wenn man so will, das Gute und Erlesene erkennen. Was das ist, muss jeder für sich bestimmen.

Ich träume also für eine Weile von den ersten Gummibärchen an Ostern, besonders von den weißen, die mag ich am liebsten. Oder vom echten englischen Weingummi. Sie werden himmlisch schmecken, und es wird gut sein.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WELT AM SONNTAG

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema