Ilkay Gündogan und Thomas Müller (r.)

Nach dem EM-Aus Ein altes DFB-Team und die Frage der Perspektive

Stand: 07.07.2024 13:11 Uhr

Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einem Durchschnittsalter von fast 30 Jahren in das Viertelfinale gegen Spanien gestartet. Nach dem Ausscheiden stellt sich die Frage nach der Perspektive von Spielern des aktuellen Kaders und möglichen Neulingen.

Von Marcus Bark, Herzogenaurach

Der Kapitän, verriet Julian Nagelsmann, habe als letzter Spieler das Quartier in Herzogenaurach verlassen, und wertete das als Zeichen für die Verantwortung, die İlkay Gündoğan gegenüber seinen Kollegen verspüre. Auch die letzten Worte Gündoğans gab der Bundestrainer preis: "Bis bald." Das wertete er als Zeichen dafür, dass Gündoğan weder an einen Rücktritt denke noch davon ausgehe, dass er nicht mehr eingeladen wird.

Zumindest mit dieser Möglichkeit rechnete Thomas Müller, als er am Freitag (05.07.2024) nach dem Aus im Viertelfinale gegen Spanien zu seiner Zukunft befragt wurde: "Wenn man es realistisch betrachtet, ist es schon möglich, dass das mein letztes Länderspiel gewesen sein könnte."

Neuer, Gündogan, Müller - Zukunft im DFB-Team offen

Gedanken machen will sich auch Manuel Neuer, der 38 Jahre alt ist und somit bei der Weltmeisterschaft 2026 die 40 erreicht hätte. Müller wird im September 35 Jahre alt, Gündoğan im Oktober 34.

Toni Kroos, der sich längst Gedanken gemacht hatte und seinen Rücktritt bereits im Mai bekannt gab, ist auch 34. Insgesamt kam der Kader auf zehn Spieler, die 30 Jahre oder älter sind, bei Robert Andrich wird es im September so weit sein.

Im Schnitt den ältesten Kader gestellt

Deutschland stellte im Schnitt den ältesten Kader des Turniers. Die Startelf im Viertelfinale gegen Spanien kam im Schnitt auf 29,75 Jahre, allein Jamal Musiala unterschritt das Alter von 25 Jahren. Er ist 21 wie auch Florian Wirtz und hat die Aussicht auf einige weitere Turniere, genau wie Kai Havertz mit seinen 25 Jahren.

Die Frage nach der Perspektive eines Kaders stellt sich nach großen Turnieren immer, nach der EURO 2024 wirkt sie drängender als bei den Gelegenheiten zuvor.

Nagelsmann und sein Grundstock

Nagelsmann wurde sie am Samstag in Herzogenaurach auch gefragt. Er kündigte einige Gespräche mit Spielern an, ohne Namen zu nennen, in denen es um weitere Nominierungen gehen dürfte. Grundsätzlich aber gelte: "Wir versuchen, den Grundstock zusammenzulassen." Dieser "Stock" sei "groß" und mit Spielern gefüllt, die zwischen 26 und 28 Jahre alt seien und damit "die WM 2026 noch spielen" könnten. In diese Spanne fallen Waldemar Anton, Benjamin Henrichs, Robin Koch, David Raum, Jonathan Tah, Chris Führich, Leroy Sané und Deniz Undav. Jünger sind außer den den bereits erwähnten Musiala, Wirtz und Havertz noch Maximilian Beier (21), Nico Schlotterbeck (24).

Nagelsmann ist ein Freund davon, Spielern Vertrauen zu geben. So hielt er es nach dem letzten Testspiel im März gegen die Niederlande, als er dem Kader quasi die Garantie gab, auch für die EM nominiert zu werden. Nun versprach er: "Wir werden nur Nuancen verändern, wenn alle weiterhin performen, und ich habe keine Sorge, dass jemand abfällt."

Pavlović, Stiller, Gruda und Reitz

Hinzukommen wird gewiss wieder Aleksandar Pavlović (20), der für die EURO 2024 eingeplant war, aber wegen einer Mandelentzündung kurz vor dem Turnierstart durch Can ersetzt wurde.

Er gilt als Kandidat für die Position von Toni Kroos, genau wie Angelo Stiller (23) vom VfB Stuttgart, der noch nie nominiert wurde, aber nun von Nagelsmann namentlich erwähnt. Brajan Gruda (20) vom 1. FSV Mainz 05 und Rocco Reitz (Mönchengladbach, 22) waren für eine gute Woche im Trainingslager dabei, als noch viele Spieler wegen ihrer Einsätze im Finale des DFB-Pokals und der Champions League fehlten. Gruda ist ein klassischer Flügelstürmer, der bei dieser EM nicht gefragt war.

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Zeit für Experimente

"Ich möchte nicht ausschließen, dass Julian Nagelsmann jetzt erst so richtig beginnt, auch taktisch das ein oder andere mal zu probieren, was er auch bei seinen Vereinen so gemacht hat", sagt Sportschau-Experte Thomas Hitzlsperger, auch wenn der Bundestrainer angekündigt hatte, auch "taktisch wenig zu ändern".

Hitzlsperger rät jedoch, in der Nations League, die am 7. September mit einem Spiel gegen Ungarn beginnt, zu experimentieren: "Es hat Nagelsmann immer ausgezeichnet, innovativ zu sein, sehr analytisch an Spiele heranzugehen, Systeme zu verändern." Wenn am Ende nach dieser Versuchsphase herauskomme, dass es in der bei der EM überwiegend eingesetzten 4-2-3-1-Grundformation am besten passe, könne er dann den Kader mit Blick auf die WM 2026 wieder entsprechend zusammenstellen. Es könne aber auch sein, dass sich andere Optionen als besser herausstellen.

Hitzlsperger setzt auf Beier

Hitzlsperger glaubt, dass Maximilian Beier künftig eine wichtigere Rolle spielen wird. "Vielleicht tauchen aber auch neue Namen auf, von denen wir jetzt noch gar nicht wissen", ergänzte der Sportschau-Experte und zielte damit auf die Beispiele von Maximilian Mittelstädt und Robert Andrich, die seit Jahren im Profifußball etabliert sind, aber lange nicht als Nationalspieler gehandelt wurden.

Mittelfristig gesehen hat Thomas Hitzlsperger auch Spieler im Blick, die Ende 2023 Weltmeister mit der deutschen U17 wurden: "Sie müssen beweisen, dass sie nach dem Übergang in den Männerfußball Fuß fassen können." Das gilt etwa für Assan Ouédraogo, der das sogar beim FC Schalke 04 schon schaffte und nun zu RB Leipzig wechselte. Ouédraogo wäre bei der WM in den USA, Kanada und Mexiko 20 Jahre alt.