Viele Menschen drängen sich in den Lichthof der Münchner Universität am Tag der offenen Tür.
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Bildungsbericht 2024
Ein Viertel studiert mit abgeschlossener Berufsausbildung

Der aktuelle Bildungsbericht zeigt Herausforderungen. Soziale Herkunftsunterschiede bestimmen nach wie vor die Teilhabe an Hochschulbildung.

18.06.2024

Die vergangene Dekade war geprägt von steigenden Studierendenzahlen und mehr Hochschulabschlüssen. Dieses Wachstum ist vorerst zum Stillstand gekommen – zwar auf einem hohen Niveau dank der weiterhin hohen Zahl internationaler Studierender, aber die inländische Nachfrage von jungen Erwachsenen nach einem Erststudium geht zurück. 

Aus demografischen Gründen ist bald jedoch wieder mit einer wachsenden Zahl an Studienberechtigten und Studierenden zu rechnen, was die Hochschulen in der Zwischenzeit vor neue Herausforderungen stellt. 

Diese und weitere Ergebnisse zur Entwicklung von Hochschulen und Studium enthält der kürzlich veröffentlichte Bildungsbericht, an dem das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) beteiligt ist. 

Studienangebot trotz schwankender Nachfrage aufrechterhalten 

Die Hochschulen stehen laut Bildungsbericht nach einem Jahrzehnt massiv gestiegener Studierendenzahlen vor der Herausforderung, das stark gewachsene, immer stärker ausdifferenzierte und in Teilen hoch spezialisierte Studienangebot aufrechtzuerhalten. "Es kommt darauf an, kurzfristig keine flächendeckende Abschaffung spezialisierter Studienangebote oder des Angebots der sogenannten 'kleinen Fächer' zu riskieren. Dies wird die richtige Balance zwischen der Autonomie von Hochschulen und einer koordinierten, zielgerichteten Abstimmung verlangen", sagt Professorin Sandra Buchholz, Mitglied der Gruppe aus Autorinnen und Autoren des Bildungsberichts. 

"Es kommt darauf an, kurzfristig keine flächendeckende Abschaffung spezialisierter Studienangebote zu riskieren."
Professorin Sandra Buchholz, Co-Autorin des Bildungsberichts

Diese Entwicklung sei auch mit Blick auf den Fachkräftebedarf relevant, zu dessen Deckung neben inländischen Personen mit Hochschulabschluss auch internationale Studierende beitragen würden, an die ein Fünftel aller Masterabschlüsse und Promotionen vergeben wird. "Das Fachkräftepotenzial internationaler Studierender sowie Absolventinnen und Absolventen gerade in den MINT-Fachrichtungen noch besser für den deutschen Arbeitsmarkt zu erschließen, wird für die kommenden Jahre eine wichtige bildungs- und arbeitsmarktpolitische Aufgabe sein", merkt Dr. Christian Kerst, Co-Autor des Hochschulkapitels, an. 

Hürden für die Teilhabe an Hochschulbildung 

Nach wie vor seien soziale Herkunftsunterschiede bei der Teilhabe an Hochschulbildung festzustellen. Der aktuelle Bildungstrichter des DZHW zeigt: Nur 25 von 100 Kindern, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben, nehmen ein Studium auf. Stammen Kinder aus einer akademischen Familie, sind es 78 von 100 Kindern. "Dass sich soziale Ungleichheiten am Übergang in die Hochschule durch gezielte Beratungs- und Unterstützungsangebote nachhaltig reduzieren lassen, zeigen dabei die beiden für Deutschland inzwischen vorliegenden Interventionsstudien, deren Ergebnisse im diesjährigen Bildungsbericht aufgegriffen werden", betont Sandra Buchholz. 

Mit dem familiären Hintergrund variierten auch die Wege zur Hochschulreife und an die Hochschule. Insbesondere Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern nutzten die Möglichkeiten, eine berufliche Ausbildung mit dem Erwerb einer Studienberechtigung und einem Studium zu verbinden. Sie würden deshalb häufiger ein Studium mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung beginnen. "Das berufliche Schul- und Ausbildungssystem eröffnet also nicht nur alternative Wege zur Hochschulreife und zum Studium, sondern trägt auch zur sozialen Öffnung des Bildungssystems bei", ergänzt Buchholz. 

Beruflich vorqualifizierte Studierende bevorzugen die FH 

Besonders häufig gingen beruflich vorqualifizierte Studierende an Fachhochschulen und würden sich oft für berufsbegleitend studierbare Studiengänge entscheiden. Vor allem private Fachhochschulen wendeten sich mit ihrem stark auf Weiterbildung ausgerichteten und flexiblen Studienangebot speziell an Personengruppen, die in der deutschen Hochschulbildung traditionell unterrepräsentiert seien. "Dazu gehören beruflich qualifizierte Bildungsaufsteigerinnen und Bildungsaufsteiger, Menschen, die bereits älter sind, im Berufsleben stehen, teilweise bereits Familie haben und sich akademisch weiterqualifizieren wollen", erläutert Dr. Christian Kerst. 

Hier zeige sich: Die privaten Hochschulen als relativ neue, aber inzwischen etablierte Akteure im Hochschulbereich reagierten schnell auf die entstehende Studiennachfrage nach weiterbildenden Angeboten und auch auf die Akademisierung bestimmter Berufsfelder wie Gesundheitswissenschaften. Ihre Spezialisierung führe jedoch zu einem engeren Fächerprofil im Vergleich zu staatlichen Hochschulen, die weiterhin wichtige Bereiche der akademischen Qualifizierung einschließlich der MINT-Fächer übernehmen würden. 

Einige Erkenntnisse aus dem Bildungsbericht im Überblick 

Ausgaben für Bildung 

Die Ausgaben für Bildung betrugen laut Bericht im Jahr 2022 rund 264 Milliarden Euro. Das entspreche 6,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieser Anteil habe 2012 bei etwa 6,6 Prozent gelegen. Die Ausgaben je Schülerin beziehungsweise Schüler sowie je Studierenden hätten im Jahr 2020 mit 15.800 US-Dollar deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 12.600 US-Dollar gelegen. 

Bildungsstand der Gesamtbevölkerung 

Im Jahr 2022 hätten 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung über einen höheren beruflichen (zum Beispiel Meister) oder akademischen Abschluss verfügt. In der Altersgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen habe der Anteil der Frauen mit hohem Bildungsabschluss mit 40 Prozent erstmals über dem der Männer (38 Prozent) gelegen. 

Studierendenzahlen 

2023 hätten knapp 2,9 Millionen Studierende an Hochschulen in Deutschland studiert, darunter 481.000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger. Seit 2020 sei die Zahl der Erstsemester mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung um elf Prozent gesunken – von 404.000 auf 359.000 in 2023. Die neueste Prognose der Kultusministerkonferenz gehe von einem Wiederanstieg der Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung aus. 

Erstsemester aus der Ukraine 

Die Zahl der neu eingeschriebenen Studierenden, die aus der Ukraine stammten, sei im Frühjahr 2022 mehr als doppelt so hoch gewesen wie in früheren Sommersemestern: 2022 hätten insgesamt etwa 4.000 Studierende aus der Ukraine ein Studium an einer deutschen Hochschule aufgenommen. 

International Studierende allgemein 

Deutschland belege inzwischen Platz drei der beliebtesten Zielländer für ein Auslandsstudium – hinter den USA und Großbritannien. 22 Prozent aller in Deutschland erlangten Masterabschlüsse und Promotionen würden heute von internationalen Studierenden erworben, in MINT-Fächern seien es sogar 26 Prozent. 

Studierende mit beruflichem Bildungsabschluss 

Auch Studieren mit einem beruflichen Bildungsabschluss sei keine Seltenheit mehr. Jede und jeder vierte Studierende habe vor dem Studium erfolgreich einen Berufsabschluss erworben, an privaten Hochschulen sei es sogar jede beziehungsweise jeder zweite. Auch das Niveau der Weiterbildungsbeteiligung verbleibe hoch. 

Lehrkräftebedarf 

Im Jahr 2022 seien bundesweit mit 793.000 etwa 91.000 mehr Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen beschäftigt gewesen als im Jahr 2002. Etwa die Hälfte von ihnen (51 Prozent) sei in Vollzeit tätig. Insgesamt fehlten laut KMK-Prognose bis zum Jahr 2035 jedoch bundesweit nahezu 24.000 Lehrkräfte im allgemeinbildenden Schuldienst.

Der nationale Bildungsbericht

Der Bildungsbericht "Bildung in Deutschland" erscheint seit 2006 alle zwei Jahre und wird von einer Gruppe von Autorinnen und Autoren unter Federführung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) herausgegeben. Das Hochschulkapitel des Bildungsberichts 2024 beschäftigt sich mit den Entwicklungen im Hochschulbereich, vom Studienangebot über die Studiennachfrage, die Merkmale des Studienverlaufs bis zu den Hochschulabschlüssen und dem Verbleib der ehemaligen Studierenden.

cva