Deutschlands Elektroindustrie fordert die Europäische Union (EU) zu Sanktionen gegen China auf. Hintergrund ist die Ankündigung der USA, Zölle auf zahlreiche Produkte aus der Volksrepublik zu erheben oder teils drastisch zu erhöhen. „Europa kann nicht das letzte gallische Dorf bleiben, das die ordoliberale Fahne hochhält“, sagt Gunther Kegel, der Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), der dieser Tage seine Branchentagung e-Summit in Berlin veranstaltet hat.
Zwar seien Zölle eigentlich Gift für eine exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche – weil eine Reaktion in Form von Gegenzöllen zu erwarten sei. „Europa wird aber zum Handeln gezwungen“, ist Kegel überzeugt.
Hintergrund ist die Angst, dass der europäische Markt mit Produkten aus China geflutet wird. „Es gibt dort große Überkapazitäten“, erklärt Kegel. Also setze China verstärkt auf Exporte. Und wenn sich große Märkte wie die USA abschotten, rücke automatisch Europa in den Fokus. „Es darf nicht passieren, dass staatlich subventionierte Produkte im großen Stil nach Europa umgelenkt werden.“ Davor müsse sich die EU schützen. „Sonst werden unsere eigenen Industrien durch Dumpingpreise kaputt gemacht.“
Befürchtet wird das zum Beispiel bei Elektroautos und bei Stahl. Darüber hinaus könnten künftig aber auch Halbleiter und Batterien betroffen sein, warnt der ZVEI. Und das seien Schlüsseltechnologien, für die gerade erst neue Produktionsstätten in Europa und insbesondere in Deutschland aufgebaut werden.
Denn bei Halbleitern zum Beispiel soll der Europa-Anteil bis 2030 auf wenigstens 20 Prozent steigen, was einer Verdoppelung entspricht. „Die US-Sanktionen gegen China zeigen noch mal mehr, wie wichtig es ist, dass Europa bei Schlüsseltechnologien aus einer starken Position heraus agieren kann. Deshalb ist es gut, dass in den Bereichen Halbleiter und Batterien bedeutende Förderprogramme gestartet worden sind, die die wirtschaftliche Resilienz Europas und Deutschlands stärken sollen“, sagt ZVEI-Geschäftsführer Wolfgang Weber. Diese müssten nun verstetigt werden.
Wobei die Milliardensummen für die Ansiedlung von Konzernen wie TSMC aus Taiwan oder Intel aus den USA nicht unumstritten sind. „Was ich mir zwei Jahre lang politisch alles gefallen lassen musste“, sagt zum Beispiel Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.
Wie viel Selbstrechtfertigung nötig gewesen sei, dass seine Landesregierung sich intensiv um die Ansiedlung einer Intel-Fabrik in Magdeburg bemüht hat, kritisiert der CDU-Politiker. Rund 30 Milliarden Euro werden dort investiert, knapp zehn Milliarden davon sind staatliche Subventionen. Einwände kann Haseloff nicht verstehen. „Wir sind hier unterwegs für Deutschland und für Europa“, sagt der Landesvater.
Schließlich sei die gesamte Volkswirtschaft hierzulande auf Chips angewiesen. „Das ist also existenziell wichtig, um nicht in Abhängigkeiten zu kommen wie lange Zeit bei Gas. Wir müssen in der Lage sein, die strategischen Elemente unserer Volkswirtschaft sicherzustellen.“
Intel selbst begründet die Ansiedlung damit, dass Europa ein Wachstumsmarkt ist – und zeigt sich selbstbewusst in der Subventionsfrage. Christoph Schell, im Vorstand des amerikanischen Chipherstellers zuständig für Marketing und Vertrieb, verweist auf den zunehmenden Erfolg Chinas bei Elektroautos, in denen üblicherweise viele Chips verbaut sind. „Wie groß ist die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von der Automobilindustrie?“, fragt Schell und nennt selbst einen Anteil von fast 40 Prozent. „Und was passiert, wenn diese Industrie zehn Prozent Marktanteil verliert? Dann hat das Land ein Problem.“
Der Staat lässt keine Marktwirtschaft mehr zu
Im Vergleich dazu seien die 9,9 Milliarden, die investiert werden, längst nicht das größte Problem. Denn ohne die neuen Hochleistungschips, die aus seiner Sicht Quantensprünge bei den Autos der Zukunft versprechen, sei die Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig. „Nicht im Automobilbereich, aber auch nicht bei der Automatisierung und nicht im Gesundheitssystem.“ Das Wort Subvention sei ihm ohnehin fremd. „Für mich ist das ein Investment, in dem Fall sogar ein aggressives Investment.“
Und die sind zuletzt vergleichsweise selten geworden in Deutschland – weil aus Sicht des ZVEI die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland nicht stimmen. Verbandspräsident Kegel und nennt unter anderem Themen wie hohe Energiepreise, hohe Steuern, vor allem aber die stetig zunehmende Bürokratie und Regulierung.
Der Staat lasse mittlerweile gar keinen Markt und keine Marktwirtschaft mehr zu, schimpft Kegel. Alles werde bis ins letzte Detail reguliert. „Die Unternehmen müssen Heerscharen von Menschen einstellen, um Berichtspflichten erfüllen zu können. Bei uns in der Firma waren es zuletzt alleine sieben.“
Kegel lobt daher die Unternehmer auf dem e-Summit. „Ich bewundere Sie für Ihre Geduld, dass sie nicht längst auf Traktoren sitzen und nach Brüssel fahren und dort alles lahmlegen.“ Denn natürlich komme viel Bürokratie von der EU. Die Bundesregierung nimmt der Unternehmer trotzdem nicht aus der Pflicht. Schließlich könnten sich die Mitgliedstaaten dort einbringen und Regulierung verhindern. „Für mich ist es ein Offenbarungseid, wenn sich der Bundeskanzler hinstellt und sagt, dass 80 Prozent der Bürokratie aus Brüssel kommen und man deswegen nichts machen könne. So kann man nicht arbeiten.“
Gift für den Standort sei zudem der Zick-Zack-Kurs der Politik. „Dadurch fehlt die Planungssicherheit“, begründet Kegel. Das betreffe zum Beispiel Förderungen, die eingeführt und schnell wieder abgeschafft werden. Für die Elektroindustrie betreffe es aber auch das Thema Netzausbau. „Das soll mit Erdkabeln passieren“, beschreibt Kegel.
Also hätten die Anbieter investiert, um die entsprechenden Produkte anbieten zu können. „Nun schwenkt die Politik aber wieder um und will doch lieber Hochleitungen, weil man festgestellt hat, dass das billiger ist. Wer soll denn bei dieser Wankelmütigkeit künftig noch investieren?“
Ohnehin gerate damit der Netzausbau in Gefahr. „Niemand will die Masten in seinem Garten haben.“ Langwierige Auseinandersetzungen und Verfahren seien damit vorprogrammiert. „Wir brauchen endlich eine Effizienzwende in der politischen Denke.“