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Wirtschaft EU-Schuldenregeln

Warum die alten Gräben aus der Zeit der Eurokrise wieder aufreißen könnten

EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
Quelle: Getty Images/Santiago Urquijo
Nach welchen Regeln sollen die EU-Staaten in Zukunft Schulden machen? Die Kommission will die Vorgaben aufweichen, Deutschland verlangt mehr Strenge. Und Abgeordnete in Brüssel warnen vor einem Trick, den die südlichen Länder anwenden könnten.

In Washington trafen sich zwei, die zuletzt nicht gut aufeinander zu sprechen waren: der deutsche Finanzminister Christian Lindner und der italienische EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Seit Wochen streiten sie um die Frage, nach welchen Regeln die Länder Europas künftig Schulden aufnehmen sollen. Nun, am Rande der Frühjahrstagung des Internationalem Währungsfonds und der Weltbank in der amerikanischen Hauptstadt, suchten die beiden Politiker nach einer Lösung. Weit kamen sie nicht.

Die Ausgangssituation: Gentiloni hatte im November vorgeschlagen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufzuweichen. Die Vereinbarung sieht vor, dass alle EU-Staaten ihre Defizite auf drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung und die Verschuldung auf 60 Prozent begrenzen müssen. Viele Länder, so Gentiloni, könnten diese Ziele nach milliardenschweren Corona-Hilfen und in einer Zeit hoher Energiepreise nicht mehr einhalten. Daher sei eine Reform nötig.

Gentiloni möchte für jedes Land die Schuldentragfähigkeit einzeln prüfen und „individuelle Abbaupfade“ festlegen. Also nicht länger allgemeingültige Regeln vorschreiben, sondern von Fall zu Fall entscheiden. Bei Deutschland anders als bei Italien, Frankreich oder Griechenland, das in der EU die schlechteste Schuldenquote aufweist: 178 Prozent.

Kurz vor Ostern schickte Lindner der Kommission dann im Namen der Bundesregierung ein sogenanntes Non-Paper, drei Seiten, auf denen er die Anforderungen der Deutschen an ein neues Regelwerk beschreibt. Sein Plan sieht vor, dass stark verschuldete Länder ihre Quote jährlich um mindestens einen Prozent senken, geringer verschuldete Länder um 0,5 Prozent.

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Das soll so lange gelten, bis die Quote nicht mehr über den 60 Prozent liegt. Zudem will Lindner die Vorgaben für alle Mitgliedstaaten verbindlich machen, von „individuellen Abbaupfaden“ hält er wenig. Deutschland steht mit dieser Position in der EU nicht allein da, auch die Niederlande sehen es so.

In Washington verteidigte Lindner das Non-Paper nun. „Das ist ein sehr konstruktiver Ansatz“, sagte er. Niemand könne überrascht sein, dass Deutschland einen solchen Vorschlag mit für alle geltenden Kennzahlen und Haltelinien mache. „Es ist in bestem Interesse der Europäischen Union als Ganzes.“

Nachhaltige öffentliche Finanzen seien unerlässlich, so Lindner. Es bedürfe sicherlich noch einer gewissen Anstrengung, um eine Lösung zu finden. Deutschland werde dabei, das könne er versichern, weiterhin eine konstruktive Rolle spielen.

Die Front Lindner-Gentiloni zieht sich auch durch das EU-Parlament in Brüssel. „Was die Kommission bisher diskutiert, setzt viel zu stark auf die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber zu WELT. „Das hat schon in der Vergangenheit nicht geklappt.“

Bei den Überlegungen der Kommission bestehe die große Gefahr, dass die Haushaltskonsolidierung auf die lange Bank geschoben werde und es dafür künftig auch noch einen Persilschein der Kommission gebe. „Lindner tut gut daran“, meint Ferber, „auf strikte Regeln beim Ausgabenwachstum und beim Schuldenabbaupfad zu insistieren.“

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Andere hingegen fürchten, dass die Regeln, wie die deutsche Regierung sie vorschlägt, zu Problemen in anderen Ländern führen. Dass die alten Gräben aus der Zeit der Eurokrise wieder aufreißen: zwischen reichen und armen Staaten, zwischen Nord und Süd. Es gibt die Sorge, zu viel Austerität, also zu harte Sparmaßnahmen, könnten negative Folgen für das Wirtschaftswachstum haben und auch für weniger Investitionen in klimafreundliche Technologien sorgen.

„Wir brauchen Regeln, die öffentliche Investitionen ermöglichen und die Wirtschaftslage in den jeweiligen Mitgliedstaaten nicht verschlechtern“, sagt Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen und Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments, zu WELT.

Er fordert zudem mehr demokratische Kontrolle. „Die Fiskalregeln dürfen weder in Hinterzimmern der Kommission noch durch die nationalen Regierungen ausgedealt werden“, so Andresen. „Das Europäische Parlament muss gleichberechtigt an den Verhandlungstisch.“

Mitgliedstaaten sollen bei Klimaschutz und Digitalisierung Geld ausgeben dürfen

Aber Andresen kann dem Non-Paper aus Berlin auch etwas Positives abgewinnen. Auf der letzten Seite heißt es, für Ausgaben in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung sollen die Mitgliedstaaten „entsprechende Prioritäten“ setzen können.

Andresen sieht darin eine „Lockerung der bisherigen Haltung“ Deutschlands. „Der Vorschlag ist im Vergleich zum Status Quo eine Öffnung für mehr grüne Investitionen“, sagt er. „Lindners Hardliner-Position scheitert an der Realität und hat sich deshalb nicht durchgesetzt.“ Ferber hingegen, der CSU-Politiker, hält die Klausel für gefährlich. „Wenn man eine Vorzugsbehandlung für Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitales anbietet“, meint er, „wird man sich noch wundern, was die Südstaaten alles als nachhaltig und digital deklarieren werden.“

Bei all dem geht es aber nicht nur um Inhalte. Um die Frage, ob es nun europaweite oder auf die einzelnen Länder zugeschnittene Schuldenregeln geben soll. Sondern auch um den Stil. Kommissar Gentiloni verlangte Anfang März von den EU-Mitgliedsstaaten, dass Teile seiner noch nicht beschlossenen Reformideen bereits in die Haushaltsplanungen für 2024 einfließen sollten. Aus deutscher Sicht ein Affront.

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Lindner nannte den Schritt damals „inakzeptabel“, die Kommission, sagte er, könne nicht „quasi durch die Hintertür Fakten schaffen.“ Der Deutsche bestand darauf, dass die Brüsseler Behörde alle Mitgliedsländer noch einmal konsultiere, ehe sie ihren schon länger erwarteten Gesetzentwurf vorlegt.

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Diese Forderung sei mit dem Treffen in Washington erfüllt, sagte Lindner jetzt. Die Kommission habe „engaged“. Auch zum Inhalt des Gesprächs mit Gentiloni äußerte sich der Finanzminister. „Es ist gewürdigt worden“, sagte er, „dass sich Deutschland mit technischen Vorschlägen an der Vorbereitung der ordentlichen Rechtssetzung beteiligt.“

Mit dem Gesetzentwurf werde der Prozess nicht abgeschlossen sein

Nun sei abzuwarten, was in welcher Weise Eingang in den Vorschlag der Kommission finde. Lindner erklärte: „Klar ist, für Deutschland bleibt die Minimalanforderung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt zu einem verlässlicheren Pfad hin zu niedrigeren Defiziten und Schuldenquoten führt, als das in der Vergangenheit der Fall war.“

Dass die Kommission alle Anforderungen, die Deutschland an die neuen Schuldenregeln habe, in den Gesetzentwurf aufnehme, erwarte er nicht, sagte Lindner. Deshalb könne sich die Behörde aber auch nicht sicher sein, dass Deutschland zustimmen werde.

Lindner betonte, dass mit dem Gesetzentwurf der Prozess nicht abgeschlossen sein wird. „Über diesen Vorschlag der Europäischen Kommission“, sagte er in Washington, „wird dann im Rat beraten und entschieden.“

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