Die Erinnerung an den letzten Besuch eines Gottesdienstes ist schon etwas verblasst, aber er lief deutlich anders ab. Weder gab es eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen, noch musste man Schlange stehen. Hier, vor der Geburtsfassade der Sagrada Família, sind es gleich mehrere parallel nebeneinander, die dann rund eine Stunde vor Beginn der internationalen Messe in die Basilika vorgelassen werden. Und auch Platzanweiser sind im Einsatz, um die Kirchenbänke geordnet aufzufüllen.
Für eine Stunde am Sonntag kann die Sagrada Família das sein, wofür Gaudí sie konzipiert hatte: ein heiliger Ort, mit Predigt, Weihrauch und Innehalten statt Touri-Infos, Selfies und Sightseeing-Runde. „Bitte keine Fotos“, erklärt ein Sprecher vor Beginn, er weist auf QR-Codes für die Liedtexte hin sowie auf separate Hostien ohne Gluten für Gläubige mit Zöliakie.
Auch wenn die Sagrada Família als ewige Baustelle gilt: Der Innenraum mit seinem 45 Meter hohen Hauptschiff und den Säulen, die mit ihren Verzweigungen an den oberen Enden an Bäume erinnern, ist seit 2010 fertig. Ich vermisse höchstens eine Heizung an diesem Dezembersonntag. Netterweise teilt die junge Frau neben mir die Decke, die sie über ihren Knien ausgebreitet hat, mit ihren Sitznachbarn. Praktizierte Nächstenliebe.
Der Gottesdienst ist ein wilder Mix aus mehreren Sprachen, ohne Überleitung wechselt der Priester zwischen Lateinisch, Englisch, Katalanisch und Spanisch. Gerade vergleicht er das Kommen des Messias mit dem Warten auf ein Amazon-Paket – so etwas kann schon mal dauern.
Das Geld für den Weiterbau der Sagrada Família fließt
Während der Predigt lasse ich meinen Blick schweifen, betrachte die bunten Glasfenster, vor denen der Weihrauch aufsteigt. Über dem Altar schwebt ein Baldachin mit Hängeleuchten, der dem ebenfalls von Gaudí gestalteten Exemplar in der Kathedrale von Palma zum Verwechseln ähnlich sieht. Das vom Säulenwald getragene Gewölbe der künftig höchsten Kirche der Welt deutet ein Blätterdach an. Keine Frage, das gleichermaßen geometrische wie spirituelle Vermächtnis von Gaudí hat mehr als flüchtige Blicke verdient.
Als es Zeit für die Kommunion ist, weist der Sprecher darauf hin, dass bitte nur getaufte und praktizierende Katholiken nach vorne kommen sollen. Rund die Hälfte der Gottesdienstbesucher erhebt sich. Was am Altar passiert, lässt sich derweil auch auf den Bildschirmen an den seitlichen Säulen verfolgen.
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Eine Kamera blickt sogar dem Organisten über die Schulter. Er wird von einem Chor begleitet, und der Schlussakkord eines jeden Chorals hallt noch mehrere Sekunden lang in der 90 Meter langen Kirche nach. Dann tragen Gläubige die Fürbitten in fünf verschiedenen Sprachen vor.
Zum Ende der Messe ziehen die Geistlichen mit ihren elf Ministranten feierlich durch das Hauptschiff aus der Kirche – es ist wieder Zeit für die touristischen Führungen.
Nach der Zwangspause durch Corona fließen nun erneut Eintrittsgelder, die den Weiterbau der Sagrada Família ermöglichen. Und die bis zu 15.000 Touristen täglich dürften mit ihren Tickets deutlich mehr zur Fertigstellung der Sagrada Família beitragen als die Gläubigen mit ihrer Klingelbeutel-Spende.
Tipps und Informationen:
Internationale mehrsprachige Gottesdienste in der Sagrada Família finden jeweils am Sonntag um 9 Uhr statt. Wichtig: Einlass ist ab 8 Uhr, man sollte nicht zu spät kommen und sittsam gekleidet sein. Der Gottesdienst dauert rund eine Stunde. Die Teilnahme ist kostenlos, man sollte allerdings eine Spende für den Klingelbeutel bereithalten (sagradafamilia.org/en/worship-at-the-basilica).
Wenn man schon mal hier ist: Ein paar Meter weiter, in der „ganz normalen“ Església de les Dominiques de l’Ensenyament (in der Straße Carrer Mallorca, 349), feiern am späten Vormittag auch die deutschsprachigen Katholiken die Heilige Messe mit anschließendem Kaffeeklatsch im Pfarrsaal (jeden Sonntag um 11 Uhr außer im August, kg-barcelona.de).
Der Artikel ist ein Auszug aus dem neu erschienenen Buch „Barcelona – Abenteuer“ von Reisejournalist Frank Feldmeier, Michael Müller Verlag (240 Seiten, 17,90 Euro). Das Buch beschreibt 33 Erlebnisse in und um Barcelona, die außergewöhnlich sind und abseits üblicher Touristenrouten stattfinden.