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Städtereisen Nagasaki

Japans Fenster zur Außenwelt

Die Portugiesen brachten Kirchen und Kuchen, die Holländer Tomaten und Elefanten: Nagasaki in Japan hat eine wechselvolle Geschichte. Die ist noch spürbar, obwohl eine Atombombe die Stadt vor 75 Jahren weitgehend verwüstete.
Ressortleitung Reise
Die Bombe und das Ende des Krieges

Am 6. August 1945 traf die erste amerikanische Atombombe die japanische Stadt Hiroshima, am 9. August fiel die zweite auf Nagasaki. Damit wollte die US-Führung zum einen die Invasion Japans umgehen, zum anderen Stalin ein Zeichen setzen.

Quelle: WELT / Sabrina Bracklow

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Dieser Tempel irritiert. Nicht nur wegen seines Dachs in Form einer riesigen Schildkröte, auf deren Panzer eine 18 Meter hohe Göttinnenfigur steht. Sondern auch wegen seines inakkuraten Uhrwerks, das die Tempelglocke nicht, wie es sich gehört, um 11 Uhr bimmeln lässt, sondern Tag für Tag zwei Minuten später.

Die Japaner sind doch Weltmeister in Sachen Pünktlichkeit, da fragt man sich, wieso lassen die die Mechanik nicht mal reparieren? Später liest man dann, dass die Schildkröte oben auf dem Fukusai-Tempel für Unsterblichkeit, Langlebigkeit und Weisheit steht, die Göttin für Vergebung, und dass die Glocke bewusst zu diesem merkwürdigen Zeitpunkt schlägt. Der Verdacht der Unpünktlichkeit war also voreilig.

Die Uhrzeit hat mit dem 9. August 1945 zu tun. An diesem Tag vor 75 Jahren explodierte exakt um 11:02 Uhr am Sommerhimmel über Nagasaki „Fat Man“. Es war die zweite Atombombe, die die USA gegen Japan eingesetzt hatten, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden.

Ein Symbol der Vergebung: der Fukusai-Tempel in Nagasaki (Japan)
Ein Symbol der Vergebung: der Fukusai-Tempel in Nagasaki
Quelle: pa/Chris Rennie/Christopher Rennie

Die erste, „Little Boy“, hatte drei Tage zuvor Hiroshima weitgehend dem Erdboden gleichgemacht, ein ähnliches Schicksal ereilte nun die Hafenstadt im Südwesten des Landes. Binnen Sekunden starben 74.000 Menschen, weitere 75.000 wurden verstrahlt und verletzt, ein Drittel des Stadtgebiets war komplett vernichtet.

Ein Museum zeigt die Folgen der Atombombe

Der 1945 zerstörte, wiederaufgebaute Fukusai-Tempel ist nur einer der Orte, an dem in Nagasaki der Katastrophe gedacht wird – von den Verwüstungen ist heute im Stadtbild nichts mehr zu sehen. Die Viertel rund um das Atombombenmuseum, den Peace Park und die Hypocenter-Stele (gut 500 Meter über exakt diesem Punkt wurde die Bombe gezündet) sind flächendeckend neu bebaut.

Auch Asiens größte Kirche, die zweitürmige Urakami-Kathedrale, vor 75 Jahren zerstört, steht seit 1958 wieder am selben Ort, wenn auch etwas kleiner als das Original von 1914, dessen Bau zwei Jahrzehnte gedauert hatte – und für dessen Zerstörung 1945 zwei Sekunden genügten.

Die Darstellung der eigentlichen Katastrophe ist dem Atombombenmuseum gut gelungen. Die Fotos aus den ersten Tagen nach der Detonation, Zeugenaussagen und deformierte Gegenstände werden sachlich präsentiert und sprechen für sich: geschmolzene Rosenkränze und Trümmer der Kirche, ein Metallhelm mit eingebrannten Schädelknochen, eine geborstene Wanduhr, deren Zeiger um 11.02 Uhr stehen geblieben sind.

Nagasaki (Japan): Das Atombombenmuseum zeigt eine Wanduhr, deren Zeiger um 11.02 Uhr stehen blieben
Das Atombombenmuseum zeigt eine Wanduhr, deren Zeiger um 11.02 Uhr stehen blieben
Quelle: AFP via Getty Images/TOSHIFUMI KITAMURA

Problematisch ist dagegen die historische Einordnung. Welche Mitschuld Japan am Zweiten Weltkrieg hatte, dass das Land mit Nazideutschland verbündet war, halb Asien angegriffen und brutal unterdrückt hatte, kurz: dass die Bombe nicht aus heiterem Himmel auf Nagasaki gefallen war, kommt so gut wie gar nicht zur Sprache.

Diesen Teil der Geschichte muss sich der Besucher selbst hinzudenken – einschließlich der Tatsache, dass der japanische Kaiser sechs Tage nach dem Bombenabwurf befahl, den Krieg zu beenden, kurz darauf kapitulierte Japan bedingungslos.

Urlauber ziehen Hiroshima Nagasaki vor

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Vom anschließenden Wiederaufbau profitierte Nagasaki wie der Rest des Landes. Längst ist die zwischen begrünten Berghängen malerisch um eine Bucht gelegene 400.000-Einwohner-Stadt ein prosperierender Ort, dessen ungewöhnlich reiche Geschichte natürlich viel weiter als bis 1945 zurückreicht.

Nagasaki hat, wie keine andere japanische Stadt, Bindungen zu Europa und dem Christentum. Davon ist im Stadtbild erfreulicherweise noch einiges erhalten, denn die Atombombe zerstörte vor allem den Norden, nicht aber das Zentrum und die südlichen Quartiere.

Trotzdem führt die Stadt als Reiseziel ein Schattendasein. Als Atombomben-Gedenkort macht international Hiroshima das Rennen um Staatsbesucher und Studienreisende.

Und jenseits des Gedenkthemas liegt Nagasaki ebenfalls unter dem Radar ausländischer Touristen, obwohl es sich nicht hinter Tokio, Osaka oder Kyoto zu verstecken braucht, da es Einmaliges zu bieten hat und viel weniger hektisch ist als die großen Metropolen.

Ein Zentrum des Christentums in Japan

Das hat sicher auch mit der Randlage Nagasakis auf der Insel Kyushu zu tun. Im 16. Jahrhundert war dies ein strategischer Vorteil: Die Gegend um Nagasaki, damals ein einfaches Fischerdorf, war die erste Ecke in Japan, die 1542 von Europäern erreicht wurde.

Nagasaki avancierte daraufhin im Laufe weniger Jahre zu einem wichtigen Hafen mit regem Verkehr Richtung Europa und China und wurde ein Zentrum des Christentums, das Spanier und Portugiesen nach Japan mitbrachten. 1569 wurde die erste Kirche errichtet, Nagasaki sogar von Jesuiten regiert.

Japans älteste Kirche: Die Oura-Kathedrale in Nagasaki stammt aus dem Jahr 1865
Japans älteste Kirche: Die Oura-Kathedrale stammt aus dem Jahr 1865
Quelle: Getty Images

Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich aber bis nach Japan herumgesprochen, wie übel die Europäer sich in Mittel- und Südamerika aufführten, nachdem sie den halben Kontinent unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Um Japan dieses Schicksal zu ersparen, verboten ab 1587 mehrere Edikte zunächst das Missionieren und schließlich den christlichen Glauben komplett.

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Am Ende wurden Katholiken in Nagasaki öffentlich gekreuzigt, Kirchen zerstört, Portugiesen und Spanier des Landes verwiesen. Es überlebte allerdings ein Untergrund-Christentum, das mit der Öffnung Japans ab 1853 wiederaufblühte und der Grund dafür ist, dass heute in Nagasaki eine gute Handvoll Kirchen in den Himmel wachsen.

Die älteste, die Oura-Kathedrale von 1865 im Süden der Stadt, hat die Zündung der Atombombe mit leichten Blessuren überlebt. Die Kirche ist seit 1933 Nationalschatz Japans und seit 2018 Weltkulturerbe.

Im Souvenirshop gewährt die Verkäuferin, eine Nonne, europäischen Besuchern automatisch Rabatt, wenn sie die Frage bejahen, ob sie katholischen Glaubens sind. Zu den Verkaufsschlagern zählen Maria-und-Jesus-Postkarten, auf denen beide japanische Gesichtszüge haben.

Auf der Insel Dejima lebten Holländer

Mit der herrlich altmodischen Straßenbahn, die auf vier Linien durch Nagasaki rumpelt, sind es vom Oura-Stadtviertel mit seinen europäisch anmutenden Häusern aus dem 19. Jahrhundert genau vier Stationen bis ins 17. Jahrhundert, zum Inselchen Dejima. Das wurde 1634 vor den damaligen Toren der Stadt eigens aufgeschüttet und bebaut, es war für gut zwei Jahrhunderte Japans Fenster zur Außenwelt.

Hier durfte, streng isoliert, eine Hundertschaft holländischer Kaufleute, Seemänner und Ärzte leben, ihr Außenposten war der einzige, den Japan nach dem Rauswurf der katholischen Europäer erlaubte – die Holländer waren Calvinisten, sie missionierten nicht und organisierten den Handel zwischen Europa und Japan, inklusive Schmuggel. Nur handverlesene einheimische Übersetzer und Bedienstete, darunter Kurtisanen, durften Dejima regelmäßig betreten.

Mustergültig rekonstruiert: Kolonialbauten auf der Insel Dejima (Nagasaki, Japan)
Mustergültig rekonstruiert: Kolonialbauten auf der Insel Dejima
Quelle: picture alliance / robertharding

Das gute Dutzend Holzhäuser der Niederlassung ist inzwischen mustergültig rekonstruiert, die Inneneinrichtung ist ein kruder Mix aus Japan und Holland, hier Reisstrohmatten und Seidentextilien, dort schwere Eichenmöbel und Teller im Delfter Stil. Obwohl der Austausch streng kontrolliert war, erlangten die Japaner dank dieser Insel viel westliches Wissen, sie wussten von medizinischen Therapien der „Rotschöpfe“, erfuhren vom Druck mit Kupferplatten, hörten von Heißluftballons und ließen sich Mikroskope liefern.

Tomaten und Kartoffeln, bis dato in Japan unbekannt, brachten die Holländer ebenfalls ins Land, und der Elefant, den sie 1813 dem örtlichen Herrscher als Geschenk vor die Tür stellten, war landesweit eine Sensation. Unterm Strich war Japan 1853, als die USA die Öffnung erzwangen, dank der Holländer von Dejima auf die neue Ära erstaunlich gut vorbereitet und setzte schnell zu seiner sagenhaften Industrialisierung an.

Kuchen aus Portugal, Tempel wie in China

Nach 1853 durften Europäer dann auch anderswo in Nagasaki wohnen, ihre Residenzen in den Hügeln über der Stadt sind heute Museen. Den mühsamen Aufstieg erleichtern Rolltreppen, die die Japaner mitten in die Gärten hineingebaut haben.

Die Neuankömmlinge bescherten Nagasaki eine Reihe Attraktionen: Einer errichtete Japans ersten Tennisplatz, ein anderer ließ Japans erste Asphaltstraße anlegen, deren Überreste noch heute bewundert werden können – auf ihr ließ er sich in einer Sänfte die Anhöhe zu seiner Villa hochschleppen.

Selbst die Portugiesen, obwohl vor 400 Jahren aus Nagasaki geworfen, sind noch präsent: Sie haben Nagasaki den Castella-Kuchen hinterlassen, ein Biskuitgebäck aus Mehl, Zucker, Ei und Sirup; eine japanweit bekannte Spezialität. Es gibt sie in jedem Café in Nagasaki, die Castella-Bäckerei Fukusaya fertigt sie seit 1624. Der Name leitet sich ab von Bolo de Castela, Kuchen aus Kastilien, so heißt das Gebäck in Portugal.

Die Chinesen haben ebenfalls ein reiches Erbe hinterlassen. Einerseits in Form des herzhaften Champon, einer für Nagasaki typischen Suppe aus dicken Weizennudeln, Meeresfrüchten und Schweinefleisch.

Andererseits in Form vieler chinesischer Tempel (der Fukusai mit dem Schildkröten-Dach ist einer davon) und in Gestalt von Nagasakis Chinatown, wo jahrhundertelang Übersee-Chinesen separiert lebten, freilich nicht ganz so streng isoliert wie die Holländer. Von ihren alten Holzhäusern ist nichts mehr übrig, nach dem Zweiten Weltkrieg entstand hier ein quirliges Geschäftsviertel mit engen Gassen, überdachten Passagen und rustikalen China-Restaurants.

James Bond auf der Geisterinsel Gunkanjima

Eines der beliebtesten Ausflugsziele rund um Nagasaki ist ausgerechnet ein apokalyptischer Ort, der aussieht, als habe hier eine Bombe eingeschlagen: Gunkanjima, was übersetzt Schlachtschiffinsel heißt. Wer sich dem rund eine Stunde von Nagasaki entfernten Eiland im Ausflugsboot nähert, nimmt die Silhouette aus der Ferne tatsächlich wie ein Kriegsschiff wahr.

Kommt man näher, entpuppt sich das Inselchen als einer der absurdesten Orte der Zivilisation: Auf einer Fläche von gerade mal 480 mal 160 Metern stapeln sich verwitterte, zum Teil eingestürzte Hochhäuser, gefühlt jeder Quadratmeter ist zubetoniert.

Nagasaki (Japan): Die aufgegebene Insel Gunkanjima ist ein beliebtes Ausflugsziel
Ruinen als Attraktion: Die aufgegebene Insel Gunkanjima ist ein beliebtes Ausflugsziel
Quelle: Getty Images

Fast 6000 Menschen haben hier bis 1974 dicht an dicht gelebt, Kohlearbeiter und ihre Familien – unter dem Meeresboden wurde an dieser Stelle seit 1887 Kohle abgebaut. Gunkanjima, seit 46 Jahren unbewohnt und dem Verfall überlassen, war damals der dichtbesiedeltste Ort der Welt.

Neben Wohnungen gab es in den Betonburgen Geschäfte, Lokale, Krankenhaus, Kino, Postamt, Kindergarten, Tempel, Schulen, ein Bordell und sogar eine unterirdische Kegelbahn. Betreten darf man die Insel, die 1974 geräumt wurde und bis 2009 Sperrgebiet war, nur im Rahmen geführter Touren auf gesicherten Pfaden; in die von Wind und Wetter gepeitschten Ruinen darf man leider nicht hinein.

Man kann aber trotzdem einen Blick ins Innere erhaschen: Einfach den James-Bond-Thriller „Skyfall“ ansehen. Der wurde 2011 zum Teil in den morbiden Kulissen gedreht – und kommt erfreulicherweise ganz ohne die für 007-Filme typischen Atombomben aus.

Nagasaki in Japan
Quelle: Infografik WELT

Tipps und Informationen

Anreise: Üblicherweise fliegen Lufthansa, All Nippon Airways und Japan Airlines nonstop von Deutschland nach Tokio oder Osaka. Von dort weiter mit dem Zug nach Nagasaki. Derzeit hat Japan seine Grenzen noch für ausländische Touristen aus 129 Ländern, darunter Deutschland, geschlossen. Verschiedene Reiseveranstalter rechnen mit einem Wiederanlaufen des internationalen Tourismus im Herbst 2020.

Unterkunft: Größere Hotelketten wie Best Western, Crowne Plaza oder JAL City sind in Nagasaki vertreten. Man kann auch luxuriös im „Ooedo-Onsen Monogatari Nagasaki Hotel Seifu“ übernachten, einem traditionellen Ryokan-Gästehaus im japanischen Stil mit Gemeinschaftsbädern im Freien (buchbar über Hotelbuchungsplattformen) oder günstig und nach Geschlechtern getrennt im Kapselhotel „First Cabin Nagasaki“ (first-cabin.jp).

Weitere Infos: Japanische Fremdenverkehrszentrale, japan.travel/de/de

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

WELT AM SONNTAG vom 26. Juli 2020
Quelle: WELT AM SONNTAG

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