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Deutschland An der Nordsee

Mit dem Fahrrad unterwegs auf altem Meeresboden

Das der Nordsee abgerungene Marschland in Schleswig-Holstein bietet grandiose Einsamkeit und weite Blicke. Das platte Land ist ein ideales Revier für Fahrradfahrer – sie müssen allerdings mit ordentlich Gegenwind rechnen.
Nah am Wasser gebaut: Deich am Tümlauer Koog mit Radlern (Nordfriesland, Schleswig-Holstein) Nah am Wasser gebaut: Deich am Tümlauer Koog mit Radlern (Nordfriesland, Schleswig-Holstein)
Nah am Wasser gebaut: Deich am Tümlauer Koog mit Radlern
Quelle: mauritius images / David Weyand / imageBROKER/All mauritius images Travel

Lange noch ist der Turm vom Dom zu Meldorf zu sehen. Wind streicht über die flunderflache Landschaft am westlichen Rand von Schleswig-Holstein, die Nordsee ist schon zu spüren. Der Wind, die Möwen, die Seeluft. Das Meer ist hier, im Speicherkoog, aber noch nicht zu sehen.

Die Nordsee brandet gezeitenabhängig erst weiter westlich ans Land, seit 1978 der Deichschluss gefeiert wurde, einer der allerletzten an der Nordseeküste. Seither ist der Speicherkoog dem Meer durch Eindeichung und Entwässerung dauerhaft abgerungen.

Der alte Hafen von Meldorf liegt nun im Binnenland und wirkt seltsam verloren zwischen Wiesen und Weiden, dort, wo vor nicht viel mehr als 40 Jahren noch die Wellen wogten und Seehunde ihr Revier hatten. Hasen laufen über saftiges Grün, Kiebitze rufen in froher Frühlingsmelodie.

Der Speicherkoog ist, wie alle Köge an der Nordseeküste, ein dem Meer entrungenes Gebiet. Seit Jahrhunderten baut der Mensch hier Deiche. Um Schutz vor den Fluten zu schaffen für das eigene Gehöft, aber auch zur Landgewinnung. Denn der Boden ist, wenn er durch Regen erst einmal entsalzt ist, ein überaus wertvoller; und neu siedeln konnten die Menschen auch.

An der Nordsee: Nordfriesland in Schleswig-Holstein
Quelle: Infografik WELT

Vor 4000, 5000 Jahren sah die Küste, ohne Deiche, ganz anders aus. Heute ist sie geprägt von Kögen, Marschland und Deichen also. Südlich vom Speicherkoog etwa liegen Friedrichskoog, Kronprinzenkoog und Kaiser-Wilhelm-Koog. Nördlich ziehen sich die Köge bis zur dänischen Grenze.

Der Rickelsbüller Koog gegenüber von Sylt ist der nördlichste in Schleswig-Holstein. Südlich vom Hindenburgdamm schließt sich der Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog an. Hier wurde der Deich 1954 geschlossen, mittlerweile leben knapp 200 Menschen auf dem Neuland.

Mit dem Fahrrad von Insel zu Insel

Das platte Land ist ein ideales Revier für Radler, man muss allerdings mit ordentlich Gegenwind rechnen. Wer hier unterwegs ist in den Kögen von Dithmarschen und Nordfriesland, radelt auf altem Meeresboden und meist in grandioser Weite und Einsamkeit.

Hinter manchem Deich wartet Natur pur. Und mancherorts Historisches: Man quert häufig alte Deichlinien, die auch Geschichtslinien sind. Etwa wenn man den Dieksanderkoog erreicht. Der wurde 1933/1934 eingedeicht und 1935 als Adolf-Hitler-Koog eingeweiht.

Die Neulandhalle, in der Nazizeit gebaut als Versammlungsort, wurde später von der evangelischen Kirche übernommen. Heute ist sie, gemeinsam mit einer frei zugänglichen Außenausstellung, ein historischer Lernort, an dem Naziideologie wie „Volksgemeinschaft“ und „Lebensraum“ thematisiert werden.

Der Historische Lernort Neulandhalle im Dieksanderkoog dokumentiert den Zusammenhang von Maßnahmen wie der Landgewinnung mit dem Gedankengut der Nazis
Der Historische Lernort Neulandhalle im Dieksanderkoog dokumentiert den Zusammenhang von Maßnahmen wie der Landgewinnung mit dem Gedankengut der Nazis
Quelle: picture alliance/dpa/Carsten Rehder
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Man kann im Koogland mit dem Rad auch eine Art Inselhüpfen machen. Wobei die Inseln nicht (mehr) im Meer liegen, sondern sich als kleine Hügel aus dem platten Land erheben. Zum Beispiel Ockholm – das Dorf war mal eine Hallig, also eine eingedeichte Marschinsel, die immer wieder von Sturmfluten umspült wurde. Man erkennt es auch am Namen: Holm heißt Insel.

Nordöstlich von Ockholm liegt die Hasenhallig, heute befindet sie sich kilometerweit im Hinterland. Und auch Büsum war mal eine Insel, die erst im 16. Jahrhundert festgemacht und an das Festland angebunden wurde.

Man spürt den Wind, riecht die Nordsee

Radler stoßen auf weitere interessante Orte. Etwa auf Meldorf. Das rund 1000 Jahre alte Städtchen liegt heute, durch die Eindeichungen, über sechs Kilometer von der Meldorfer Bucht entfernt. Wer am Flüsschen Miele westwärts radelt durch die Marschen, ist unterwegs an einem alten Gezeitenstrom, der bis vor ein paar Jahrzehnten noch das Fahrwasser nach Meldorf war.

Heute plätschert er der Nordsee entgegen, ist aber durch Deiche abgetrennt vom temperamentvolleren Meer. Das Land wirkt amphibisch, sich scheinbar auflösend, im zunehmend breiter werdenden Strom, der gezeitenfrei und ein beliebtes Anglerrevier ist.

Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer: Vor Tausenden Jahren sah die Küste ganz anders aus. Heute ist sie geprägt von Kögen, Marschland und Deichen
Vor Tausenden Jahren sah die Küste ganz anders aus. Heute ist sie geprägt von Kögen, Marschland und Deichen
Quelle: picture alliance / blickwinkel/C. Kaiser

Abgetrennt vom Miele-Fluss liegen im Neuen Meldorfer Hafen Segelboote und kleine Yachten. Eine Treppe führt hier hinauf auf den Deich, Wolle wippt im Schafdraht, und vor dem Horizont liegt die Nordsee. Gleich am Hafen befindet sich die Nabu-Nationalparkstation Wattwurm. Betreut von zwei Freiwilligen, zeigt hier eine Ausstellung die Geschichte des Speicherkoogs und der Naturschutzgebiete Kronenloch und Wöhrdener Loch.

Das halbrunde Gebäude ist von der Form an einen Wattwurm angelehnt. Hier kann man sich nach Exkursionen in das Hinterland erkundigen, die auf Feldwegen und verwunschenen Pfaden durch den Speicherkoog führen. Wer genau hinsieht auf die frischen Maulwurfhaufen auf den Wiesen, der findet Muschelschalen, die die Tiere ausgebuddelt haben.

Und wer genau hinhört, vernimmt hier die liebliche Melodie der Feldlerche und mit viel Glück auch die dumpfen Rufe der Rohrdommel, die wie in einen Flaschenhals hineingepustet klingen. Man sieht den Eisvogel schillernd bunt wie ein fliegender Edelstein, Schwalben sausen durch die Luft, oben kreisen Seeadler am Himmel. Man spürt den Seewind, riecht die Nordsee, schmeckt die Sanddornbeeren zur Reifezeit. Der Weg endet am Ufer der Miele, Schilf wiegt sich im Wind, es rauscht und raschelt.

Vögel ziehen vom Eidersperrwerk bis in die Antarktis

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Weiter nördlich, an Büsum vorbei, taucht das Eidersperrwerk auf. Es ist Deutschlands größtes Küstenschutzbauwerk und dämmt seit den frühen 1970er-Jahren die Eidermündung ab. Die war bis dahin ein gefährliches Einfallstor für Sturmfluten.

Küstenseeschwalben fliegen um die halbe Welt – und hier brüten sie, ziehen ihre Jungen groß, auf dem gewaltigen Menschenwerk. Es sind schöne, elegante Vögel, kaum anderswo kann man sie so gut beobachten wie am Eidersperrwerk. Aber: Es gilt, Abstand zu halten auf der Nordmole und die Vögel nur aus der Distanz und in Ruhe zu betrachten.

Interessant zu beobachten sind die „Versorgungsflüge“ der Schwalben. Der Anflug mit dem Futter im spitzen Schnabel gestaltet sich als schwierig, denn der Wind wirbelt hier von allen Seiten. Die Kleinen reißen hoffnungsvoll den Schnabel auf, sobald eine Elternschwalbe sich nähert, doch andauernd driften die Altvögel in einer starken Böe ab.

Immer wieder versuchen sie es, und irgendwann plumpst das Futter dann doch in die Schnäbel der fiependen Brut. Die muss rechtzeitig groß werden. Denn bald geht es auf die Langstrecke. Küstenseeschwalben sind Wandelnde zwischen den Welten, zwischen Eidersperrwerk und Antarktis – sie sind die Zugvögel, die weltweit die längsten Strecken überwinden. Sie sind in der Lage, am Tag 500 Kilometer weit zu fliegen.

Der Radweg führt auf dem Deich Richtung Norden

Die Halbinsel Eiderstedt bestand einst ebenfalls aus Inseln. Koog um Koog, Zeitalter um Zeitalter machten die Leute auch diese Gegend fest. Ein Regenbogen spannt sich über das Land, und die Silos des Husumer Hafens tauchen am Horizont auf. Windkraftanlagen übrigens haben die Leute auf Eiderstedt so gut wie nicht in ihre Landschaft gestellt; es gibt an der Küste Köge mit und Köge ohne diese auffälligen Windräder.

Nördlich von Husum bestimmen wieder Dämme und Deiche das Bild. Es wirkt so, als ob sich das feste Land immer mehr auflöst und nur noch von diesen Küstenschutzanlagen zusammengehalten wird.

Linker Hand die Nordsee und rechts ebenfalls Wasser – das Arlau-Speicherbecken und der Holmer See. Dies ist der Beltringharder Koog, der augenscheinlich aus mehr Wasser als Land besteht. Am Himmel sind erneut Seeadler unterwegs. Nun läuft das Hochwasser auf, und immer mehr Vögel kehren an die Küste zurück.

Schleswig-Holstein: Der Beltringharder Koog mit Nonnengänsen und Marschland
Der Beltringharder Koog mit Nonnengänsen und Marschland
Quelle: picture alliance / imageBROKER/K. Wernicke

Ab dem Holmer Siel führt der Radweg auf dem Deich nach Norden. Seine Route ist hier kaum mehr als ein schmaler Strich zwischen der Nordsee und dem menschenleeren Koog. Man radelt durch ein Labyrinth aus Seen und Sumpf, aus Süß- und Salzwasser.

Es wird Abend auf dem Deich. Dämmerung legt sich über die Wiesen und das Wasser, angenehm einsam ist es. Unendlichkeit in allen Richtungen – das Meer, das platte Land, darüber der sich langsam verdunkelnde Himmel.

Jetzt ist eine gute Zeit, auf dem Deich zu sitzen, zu gucken und zu hören. Hier und da sieht man in der Ferne, wie die Leuchttürme ihr Führlicht über die Nordsee schwenken. Und von irgendwo, vielleicht Fahretoft, vielleicht Ockholm, schlägt eine Kirchturmglocke, während die Sonne hinter dem Wattenmeer versinkt.

Nationalpark Wattenmeer: Steinmonumente am Nordstrander Holmer Siel
Steinmonumente am Nordstrander Holmer Siel
Quelle: picture alliance / rtn - radio tele nord/rtn, peter wüst

Tipps und Informationen

Anreise: Mit dem Zug zum Beispiel bis Meldorf als gutem Ausgangspunkt für eine Tour Richtung Norden. Oder bis Niebüll als Startpunkt für eine Koog-Tour gen Süden (bahn.de). Regelungen zur Mitnahme von Fahrrädern in den Zügen beachten. Routenvorschlag: Meldorf – Büsum – Tönning – Husum – Nordstrand – Schlüttsiel – Niebüll (oder umgekehrt).

Unterkunft: In Meldorf etwa im Hotel „Zur Linde“, Doppelzimmer ab 86 Euro (linde-meldorf.de); in Husum im „Hotel am Schlosspark“, Doppelzimmer ab 95 Euro (hotel-am-schlosspark-husum.de); in Niebüll beispielsweise im „Hotel“ Landhafen ab 99 Euro (landhafen.com). Über Anbieter wie Fewo-direkt oder HomeToGo finden sich auch Ferienwohnungen in direkter Deichnähe.

Führungen: Der Nabu führt etwa über den Speicherkoog (schleswig-holstein.nabu.de; Suchwort: Wattwurm); von der Schutzstation Wattenmeer auf Nordstrand geht es über den für Beltringharder Koog (schutzstation-wattenmeer.de/unsere-stationen/nordstrand); der Verein Jordsand zeigt Besuchern bei Führungen den Hauke-Haien-Koog (jordsand.eu/hauke-haien-koog)

Auskunft und Corona-Lage: Unter anderem der Kreis Nordfriesland mit Sylt und die Gemeinde Büsum sind als Modellregionen ausgewählt worden, in denen den Mai über Tourismus unter Auflagen wieder ermöglicht werden soll. Im übrigen westlichen Schleswig-Holstein gilt weiterhin ein Beherbergungsverbot, Näheres unter schleswig-holstein.de.

Allgemeine Auskünfte: dithmarschen.de; nordseetourismus.de; nordfrieslandtourismus.de

Was die „Notbremse“ für die Modellregionen bedeutet

Das bekannte Modellprojekt in Tübingen muss wegen der bundesweiten „Notbremse“ beendet werden. Das gilt größtenteils auch für das Saarland-Modell. Ganz anders sieht es allerdings in einigen Regionen in Schleswig-Holstein aus. Hier startet sogar wieder der Tourismus.

Quelle: WELT/ Angela Knäble

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