Es gibt inzwischen Kreuzfahrten nur für Schwule, das spanische Valencia wird Gastgeber der Gay Games 2026, Österreich hat sein erstes queeres Hotel, eine Reihe von Ländern, darunter Deutschland, Malta, Schweden, wirbt gezielt um LGBTQ-Gäste, also um Touristen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder queer sind. Das täusche allerdings darüber hinweg, dass queere Reisende noch immer mit vielen Problemen und Gefahren konfrontiert sind, meint Kamilia Kentra. Die Wissenschaftlerin lehrt an der Berlin School of Business and Innovation, wo sie zusammen mit Studenten touristische Projekte für die LGBTQ-Community entwickelt.
WELT: Wie wichtig ist der queere Reisemarkt für die Branche?
Kamilia Kentra: Weltweit bekennen sich etwa 371 Millionen Menschen als der LGBTQ-Community zugehörig. Dieser Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der vor Corona pro Jahr mehr als 200 Milliarden US-Dollar weltweit erwirtschaftet hat, schätzt die International Gay and Lesbian Travel Association. Gleichgeschlechtliche Paare verfügen in der Regel über ein flexibleres, verfügbares Einkommen, da sie seltener Kinder haben und eher beide berufstätig sind. So gesehen ist der queere Reisemarkt ein einflussreicher Sektor innerhalb der Tourismusindustrie.
WELT: San Francisco, New York oder Amsterdam zählen zu beliebten Reisezielen der Community. Was macht diese Städte für queere Touristen attraktiv?
Kentra: Besonders in San Francisco und New York, wo eine schwule-lesbische Subkultur seit dem frühen 20. Jahrhundert fester Bestandteil der Kulturszene ist, sind queere Lebensentwürfe überall sichtbar. Damit sind diese beiden Städte Paradebeispiele, von denen sich andere viel abschauen können – hinsichtlich Organisationen, Paraden, Festivals, Clubs, Literatur, Kunst.
WELT: Wo verorten Sie in diesem Zusammenhang deutsche Städte?
Kentra: Auch in Berlin und Köln gibt es eine lange queere Tradition. Berlin war schon immer Fluchtort für Menschen jenseits des heterosexuellen Mainstreams.
WELT: Wie könnten deutsche Reiseziele für queere Reisende attraktiver werden?
Kentra: Ich denke nicht, dass man deutsche Städte für diese Bevölkerungsgruppe attraktiver machen muss. Vielmehr sollten sich einige Städte mehr darum bemühen, den wachsenden Hass gegenüber Diversität und queeren Lebensentwürfen zu bekämpfen. Die Städte sicherer für die Community zu machen, sollte der Hauptfokus sein.
WELT: Was könnte der nächste Hotspot der queeren Community werden?
Kentra: Das ist schwer zu sagen, weil viele Faktoren eine Rolle spielen. Griechenland zum Beispiel war schon immer ein Hotspot für Touristen und jetzt, da es das erste orthodoxe christliche Land ist, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat, würde ich definitiv erwarten, dass es bei Queer-Touristen noch beliebter wird.
WELT: Von gleichgeschlechtlichen Ehen oder auch nur Queer-Freundlichkeit ist die halbe Welt noch weit entfernt; in 75 Staaten ist Homosexualität verboten und in 15 Ländern droht sogar die Todesstrafe, wie der Gay Travel Index 2024 belegt. Glauben Sie, dass die in Teilen Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens bestehende Homofeindlichkeit in absehbarer Zeit bröckelt?
Kentra: Ich denke nicht, dass diese Feindlichkeit von allein bröckelt. Wir müssen als Gesellschaft Stellung beziehen und das Verhalten solcher Länder immer wieder ansprechen und kritisieren. Hier kommt Social Media eine wichtige Bedeutung zu. Auf digitalen Plattformen können sich Menschen schneller austauschen, Ungerechtigkeiten öffentlich machen oder auf Gefahren hinweisen. Davon abgesehen gibt es viele grandiose und queer-freundliche Reiseziele auf der Welt.
WELT: Zum Beispiel?
Kentra: Die Niederlande, Kanada, Australien, USA, Spanien, auch Deutschland.
WELT: In Ihrer Aufzählung fehlten die Malediven und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Kentra: Ja, denn Homosexualität steht dort offiziell unter Strafe.
WELT: Allerdings werden zahlungskräftige queere Touristen sowohl auf den Malediven als auch in Dubai geduldet. Ist das nicht geheuchelt?
Kentra: Viele dieser Länder sind so sehr von den Dollars der Touristen abhängig, dass es ihnen eigentlich egal ist, ob die Touristen queer sind oder nicht, solange sie Geld ausgeben. Letztlich führt Tourismus durch den Kontakt mit dem Ungewohnten in vielen Fällen zu mehr Verständnis und Sichtbarkeit.
WELT: Haben Sie Studien darüber, was sich queere Touristen von ihren Urlaubsdestinationen wünschen?
Kentra: Sicherheit und Akzeptanz stehen an erster Stelle. Queere Reisende bevorzugen außerdem häufig Reiseziele, die als queer-freundlich gelten.
WELT: Ist das nicht selbstverständlich?
Kentra: Leider nein, es gibt keinen Ort auf der Welt, von dem ich sagen würde, dass er für die queere Community zu 100 Prozent sicher ist, nicht einmal die geschützten Räumlichkeiten von Hotels.
WELT: Gutes Stichwort: Gibt es Tipps für Hoteliers, die ihre Diversität erhöhen wollen?
Kentra: Als Erstes sollten Hoteliers ehrlich mit sich selbst sein: Wie offen sind Sie selbst für Diversität? Achten Sie auf divers besetzte Teams? Überprüfen Sie auf Ihrer Website und in Prospekten die Ansprache, ob sie inklusiv ist oder bestimmte Menschen unbewusst ausschließt? Hoteliers tun gut daran, ihre Mitarbeiter im Umgang mit queeren Menschen zu schulen und zu sensibilisieren.
WELT: Sie sagen „bestimmte Menschen“, an welche denken Sie?
Kentra: Gerade Trans-Menschen erleben immer wieder Ignoranz und Verletzung wie Deadnaming oder Misgendering – also das Ansprechen mit dem abgelegten Namen und das Ignorieren des gewählten Geschlechts. Deshalb ist für solche Menschen das Reisen oft mit sehr viel Stress verbunden, besonders wenn Personalpapiere noch auf das alte Geschlecht und den früheren Namen ausgestellt sind.
WELT: Wie verhalten sich Hotel-Rezeptionisten in diesem Fall richtig?
Kentra: Rezeptionisten sollten einfach aufmerksam sein und zuhören, welche Pronomen Menschen verwenden. Es ist inzwischen durchaus üblich, nach Pronomen zu fragen. Meines Wissens müssen Meldeformulare den Personalpapieren entsprechend ausgefüllt werden. Aber das sollte das Hotelpersonal nicht davon abhalten, die Geschlechtsidentität ihres Gastes im persönlichen Umgang zu berücksichtigen.
Dr. Kamilia Kentra lehrt seit einem Jahr an der Berlin School of Business and Innovation (BSBI) und verfügt über mehr als acht Jahre Erfahrung in der Tourismusbranche. Die 29-Jährige forscht unter anderem in den Bereichen interkulturelles Management, internationaler und einheimischer Tourismus.