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Fernreisen Saudi-Arabien

„Schon der erste Taxifahrer wollte mich vom Islam überzeugen“

Saudi-Arabien war auf der touristischen Landkarte lange ein weißer Fleck. Doch jetzt öffnet sich das Land für Urlauber. Reisebuch-Autor Stephan Orth war dort neun Wochen unterwegs – und tauchte als Couchsurfer in den Alltag Einheimischer ein.
Zu Besuch in der Stadt Nadschran in Saudi-Arabien: Stephan Orth, hier mit dunklem Oberteil, übernachtete bei Einheimischen und lernte dabei ihren Alltag kennen Zu Besuch in der Stadt Nadschran in Saudi-Arabien: Stephan Orth, hier mit dunklem Oberteil, übernachtete bei Einheimischen und lernte dabei ihren Alltag kennen
Zu Besuch in der Stadt Nadschran: Stephan Orth, hier mit dunklem Oberteil, übernachtete bei Einheimischen und lernte dabei ihren Alltag kennen
Quelle: dpa-tmn/Christoph Jorda

Eine Reise durch Saudi-Arabien hört sich ziemlich abenteuerlich an. Der Journalist und Autor Stephan Orth war neun Wochen in dem verschlossenen Land unterwegs. Als Couchsurfer zu Gast bei Einheimischen bekam er einen besonderen Zugang zu den Menschen und erlebte eine Nation im Umbruch. Doch nicht alles wird besser.

Frage: Wie bist du darauf gekommen, nach Saudi-Arabien zu reisen?

Stephan Orth: Im Gespräch mit einer Kollegin kamen wir darauf, dass Saudi-Arabien das perfekte Land für mein nächstes Buch wäre. Weil es sehr verschlossen ist, man wenig darüber weiß und viele Ängste damit verbindet. Zehn Tage nach dem Gespräch hieß es, dass es nun erstmals ein Touristenvisum geben wird. Ich habe sofort den Antrag losgeschickt.

Frage: Was hat das Land für dich so spannend gemacht?

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Orth: Mich hat der Wandel interessiert, weil gerade in den letzten drei Jahren unter Mohammed bin Salman, dem aktuellen Kronprinzen, unfassbar viel passiert ist. Eine massive Modernisierung findet statt, aber die hat eben auch ihre Grenzen. Ich wollte auf meiner Reise herausfinden, was Show ist und was wirkliche Reform.

Frage: Wo ist dieser Prozess der Öffnung denn ernst gemeint und wo dient er mehr der staatlichen Propaganda?

Orth: Es wird viel Geld in den Tourismus investiert und ein Entertainment-Programm für Milliarden von Dollar hochgezogen, mit Konzerten der größten Stars. Ich war auf einem Electro-Festival mit Hunderttausenden Besuchern in der Wüste, wo Männer und Frauen tanzten und David Guetta auflegte.

Ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, dass die jungen Leuten selber nicht genau wissen, wo die Grenzen verlaufen, was erlaubt ist und was nicht. Weil auf einmal Dinge möglich sind, die aus religiösen Gründen vor zwei oder drei Jahren komplett verboten waren.

Und weil manchmal die Regeln innerhalb der Familie strenger sind als die staatlichen Gesetze. Als besonders große Erleichterung empfinden es viele, dass die gefürchtete Religionspolizei entmachtet wurde.

Saudi-Arabien stellt Verhaltenskatalog für Touristen auf

Touristen müssen bei einem Besuch in Saudi-Arabien mit hohen Geldstrafen rechnen, sollten sie sich nicht an Regeln zum Verhalten in der Öffentlichkeit halten. Die Höhe der Bußgelder reicht von umgerechnet etwa zwölf Euro bis 1500 Euro.

Quelle: WELT

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Frage: Und was ist weiterhin tabu?

Orth: Sobald es um mehr Zivilgesellschaft und Demokratie geht, um eine möglicherweise geringere Macht des Königshauses, da hört es auf mit den Reformen. Ich habe mit einem Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation ALQST gesprochen, der meinte, dass es derzeit gefährlicher sei, sich kritisch über die Herrschenden zu äußern als noch vor fünf oder zehn Jahren. Gegen Kritiker wird mit großer Brutalität vorgegangen – wie man etwa am Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi oder der langen Haftstrafe für den Blogger Raif Badawi sehen kann.

Frage: Konntest du dich in deiner Rolle als Tourist frei im Land bewegen oder wurde das irgendwie staatlich kontrolliert?

Orth: Größtenteils war ich ganz frei und konnte reisen, wie ich wollte. Für manche Orte braucht man eine Art Registrierung, zum Beispiel für die King Abdullah Economic City bei Dschidda. Das ist ein Neubauprojekt, eine Trabantenstadt. Da braucht jeder ein Permit, das man aber auch problemlos bekommt. Ich habe mich unterwegs auf jeden Fall nicht beobachtet oder verfolgt gefühlt.

Couchsurfer Stephan Orth traf in Saudi-Arabien auf gastfreundliche und interessierte Menschen
Stephan Orth (r.) traf in Saudi-Arabien auf gastfreundliche und interessierte Menschen
Quelle: dpa-tmn/Christoph Jorda

Frage: Wie haben dich die Menschen im Land aufgenommen?

Orth: Herzlich und gastfreundlich. Ständig wurde ich zu Kaffee, Tee und Datteln eingeladen. Gleichzeitig habe ich die Menschen als sehr social-media-begeistert erlebt. Oft wurde mir schon bei der Begrüßung das Handy ins Gesicht gehalten und ich wurde gefilmt für Snapchat und Instagram.

Noch nie habe ich mich auf einer Reise so sehr selber im Mittelpunkt gefühlt. Ich bin ja beruflich Geschichtensammler, aber hier wurde ich ständig selber zur Geschichte.

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Frage: Wie erklärst du dir diese Begeisterung für deine Person?

Orth: Gerade im ländlichen Bereich ist Tourismus noch etwas ganz Neues. Für viele war ich der erste Gast überhaupt. Der Tourismus ist im Land ein riesiges Thema, man will vom Öl als Haupteinkommensquelle wegkommen. Da war ich als einer der ersten Backpacker eine Neuigkeit. Mit meinem 60-Liter-Rucksack wurde ich einmal sogar gefragt, ob ich Fallschirmspringer sei.

Frage: Wie verbreitet ist Couchsurfing in Saudi-Arabien?

Orth: Bislang haben die Menschen die Website eher genutzt, um sich zu vernetzen und Leute kennenzulernen. Da gab es eine kleine Szene aus Einheimischen und Expats. Ansonsten ist es noch ziemlich neu, es gibt wenige Mitglieder. Ich fand es schwieriger als in anderen Ländern, Gastgeber zu finden. Manchmal hat es nicht geklappt und ich musste ins Hotel ausweichen.

Saudi-Arabien: Hier hat sich Couchsurfer Stephan Orth auf einem Teppich zur Ruhe gelegt
Couchsurfer vor der Couch: Hier hat sich Stephan Orth auf einem Teppich zur Ruhe gelegt
Quelle: dpa-tmn/Christoph Jorda

Frage: Welches Klischee über Saudi-Arabien trifft am wenigsten zu?

Orth: Das Klischee, dass es ein ungastliches Land ist, in dem man sich ständig in Gefahr wähnt. Man hat zum Beispiel im Reisealltag nicht das Gefühl, dass man Angst vor Überfällen haben müsste. Vermutlich wirkt es abschreckend, dass Dieben laut Scharia-Gesetz die Hände abgehackt werden können.

Frage: Und welches Vorurteil hat sich für dich bestätigt?

Orth: Saudi-Arabien ist eines der religiösesten Länder, die ich auf meinen Reisen erlebt habe. Es gibt etwa 94.000 Moscheen im Land bei 34 Millionen Einwohnern. Die fünf Gebetszeiten werden von den meisten konsequent eingehalten. Die Religion spielt eine zentrale Rolle im Alltag und im Denken der Menschen.

Ich habe kein einziges Gespräch geführt, wo jemand mal den Islam kritisiert hat. Man fühlt sich in einer Sonderrolle in der islamischen Welt, wegen der heiligen Stätten Mekka und Medina.

Frage: Kommt man über die Religion gut ins Gespräch?

Orth: Auch wenn im ganzen Land keine Kirche gebaut werden darf, wird man als Christ respektiert. Es ist eine der drei Buchreligionen, es gibt viele gemeinsame Wurzeln. Jesus ist ja auch im Islam ein Prophet, Moses spielt eine wichtige Rolle. Es gibt viele Parallelen, die die Menschen auch kennen.

Ich habe immer wieder Bekehrungsversuche erlebt. (lacht) Die Leute wollten mein Bestes und dass ich zur wahren Religion komme. Schon der erste Taxifahrer wollte mich vom Islam überzeugen. In einem anderen Gespräch habe ich gemerkt, dass es zu großem Befremden geführt hat, als ich gesagt habe, dass ich nicht regelmäßig bete.

Frage: Du warst ein Tourismus-Pionier in Saudi-Arabien, mit einem besonderen Zugang. Für welche Reisenden kann das Land deiner Erfahrung nach eine lohnenswerte Erfahrung sein?

Orth: Spektakulär sind Ausflüge in die Wüste. Im Osten liegt das Leere Viertel, die Rub al-Chali, eine der größten und am wenigsten erforschten Wüsten der Welt. Man sollte dort aber unbedingt mit Leuten unterwegs sein, die sich auskennen – da sind schon einige Geländewagen verschollen.

Saudi-Arabien: Die antike Stadt Hegra ist bekannt für Dutzende aus dem Fels gemeißelte Monumentalgräber
Die antike Stadt Hegra ist bekannt für Dutzende aus dem Fels gemeißelte Monumentalgräber
Quelle: pa/abaca/Derajinski Daniel/ABACA

Im Westen gibt es mit der antiken Felsgräberstadt Hegra eine Topattraktion, die mit Petra in Jordanien mithalten kann. Andererseits muss man sich schon überlegen, ob man in Saudi-Arabien etwa einen Fünf-Sterne-Luxus-Urlaub verbringen will, ob man das in Ordnung findet angesichts der Diktatur. Ich könnte mir nicht vorstellen, dort einen Entspannungsurlaub zu buchen.

Frage: Wäre deine Reise als Frau so möglich gewesen?

Orth: Das schon, aber es wäre etwas komplizierter. Man muss sich noch stärker auf die kulturellen Eigenheiten einstellen und versuchen, keine Missverständnisse auszulösen. Als Frau bekäme man aber einen besseren Einblick in die Welt der Frauen, die für mich verschlossen war. In den neun Wochen hat mir nur ein einziger Gastgeber seine Ehefrau vorgestellt, voll verschleiert, und wohl auch nur, weil sie Amerikanerin war.

Saudi-Arabien: Zwei voll verschleierte Frauen stehen in einem Einkaufszentrum in Riad. Männlichen Touristen bleibt ihre Welt verschlossen
Zwei voll verschleierte Frauen stehen in einem Einkaufszentrum in Riad. Männlichen Touristen bleibt ihre Welt verschlossen
Quelle: dpa-tmn/Stephan Orth

Selbst sehr gute Freunde kennen oft die Ehefrau des anderen nicht. Diese strenge Geschlechtertrennung ist für jemanden, der in Westeuropa aufgewachsen ist, kaum nachzuvollziehen. Ich habe es auf der Reise nur einmal geschafft, eine saudi-arabische Frau zu treffen, die sehr liberal war, in Dschidda, und das ist die modernste Stadt des Landes.

Literaturtipp: Stephan Orth, „Couchsurfing in Saudi-Arabien: Meine Reise durch ein Land zwischen Mittelalter und Zukunft, Malik, 256 Seiten, 18 Euro

Zur Person: Stephan Orth, Jahrgang 1979, ist freier Journalist und Autor. Er hat bereits Reisebücher über Couchsurfing in Iran, Russland und China veröffentlicht.

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dpa

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