Wie fälscht man Salatköpfe und frittierte Garnelen? Fake Food, also aus Wachs oder Plastik nachgebildete Gerichte, gehören zur japanischen Kultur. Und einer der witzigsten Workshops, die man auf einer Tokio-Reise machen kann, ist die Herstellung jener Teller mit perfekt nachgemachten Ess-Attrappen, die so viele Restaurants in ihren Vitrinen auslegen.
Entstanden ist die Fake-Food-Tradition (auf Japanisch: Shokuhin Sanpuru) etwa im Jahr 1920, als es noch nicht einmal Farbfotografie gab. Man wollte auf diese Art den Gästen zeigen, was sie später auf den Tisch bekommen werden – eine Art Reklame. Mit Touristen hat die Tradition, entgegen allen Vermutungen, nichts zu tun – auch wenn es natürlich ungemein hilft.
Heute ist das Fake Food so gut nachgebildet, dass man kaum unterscheiden kann: Was ist echt, was ist Plastik? Jede Kaviarperle auf dem Sushi glänzt an der richtigen Stelle, der angeschmolzene Käse zieht sich täuschend echt am Pizzarand entlang, der Schweinebauch versinkt in der Ramen-Suppe, Vanillesauce läuft die gestapelten Pfannkuchen herunter – man möchte am liebsten reinbeißen.
Urlauber lernen die Herstellung von Fake Food
Aber so viel Ähnlichkeit erfordert harte Arbeit: Die Herstellung von Fake Food ist in Japan ein richtiger Ausbildungsberuf – fast drei Jahre muss man lernen, wie man Essen möglichst echt nachbildet.
Manche Traditionsbetriebe bieten aber auch Kurse für Außenstehende an, etwa das Ganso Shokuhin Sample-Ya (ganso-sample.com/en) im Küchenviertel Kappabashi. „Bei uns wird schon seit 80 Jahren Fake Food hergestellt“, erzählt mir Yoko Kumanaka am Eingang. Sie ist eine der 300 Mitarbeiter und will mir zeigen, wie man eine Tempura-Garnele und einen Salatkopf macht.
Die Garnele aus Plastik ist schon fertig, meine Aufgabe ist lediglich die zarte Panade. Dafür muss ich geschmolzenes, gelb gefärbtes Wachs in 42 Grad warmes Wasser tröpfeln – und zwar in einem Zickzackmuster. Dann die Garnele vorsichtig in die Mitte legen und von der Wachspanade einwickeln lassen.
Ich habe zu viel getröpfelt, meine Panade ist eindeutig zu dick und sieht eher nach einer US-Food-Kette aus als nach feiner japanischer Fingerfertigkeit. Yoko freut sich, dass die Garnele vor lauter Panade überhaupt noch zu sehen ist, und lobt mich in höchsten Tönen.
An den Augen ihres Chefs, der das Geschehen am Rande beobachtet, kann ich aber ablesen: Würden alle Bestellungen so rausgehen wie meine, wäre der Laden längst pleite.
Japans Gastronomen bringen ihre Gerichte vorbei
Es ist nämlich besonders wichtig, dass das ausgestellte Plastikessen in der Vitrine genauso aussieht wie später in dem Restaurant. Abweichungen gelten als Täuschung von Gästen, und diese Blöße möchte sich kein Gastronom geben.
Um eine möglichst genaue Übereinstimmung zu garantieren, kommen die Wirte mit ihren echt gekochten Gerichten in den Fake-Food-Laden. Sofort wird alles, bis zur kleinsten Erbse, mit Silikon nachmodelliert, und die genauen Farben werden festgehalten. In zwei Wochen ist das Fake Food dann fertig und kann abgeholt werden.
Aber kann man eigentlich jedes Essen nachmodellieren? „Theoretisch ja“, sagt Yoko. „Aber meistens sind es Restaurants mit Gerichten zwischen zehn und 20 Euro, die Bestellungen aufgeben.“
Im Flugzeug macht das gefälschte Essen neidisch
Ich probiere mich nun an dem Salatkopf. Dafür muss ich grünes Wachs fast flächendeckend in das Wasser gießen und dabei die Wachsschale hoch und runter bewegen – damit im Salat Wellen entstehen. Anschließend soll ich das Riesenblatt zu einem Salatkopf rollen.
Yoko lobt mich, der Chef schaut grimmig. Mein Salatkopf erinnert an einen Tennisball. Am Ende darf ich meine Werke behalten und nehme sie mit.
Auf dem Rückflug beobachte ich ein paar Mal, wie andere Passagiere hungrig auf mein Fake Food in der durchsichtigen Plastikbox rüberstarren. So schlecht scheine ich mich ja doch nicht geschlagen zu haben!
Inna Hemme aus Berlin bloggt auf innasky.com.