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Deutschland Antisemitismus-Report

Wenn in der Straßenbahn über „Judenviecher“ geschimpft wird

Politikredakteur
„Absolut katastrophale Zahlen. Judenfeindliche Vorfälle haben sich fast verdoppelt“

Die Meldestelle Rias hat bundesweit eine drastische Zunahme antisemitischer Vorfälle registriert. Im vergangenen Jahr erfasste der Verband über 4000 Vorfälle. Das sei eine Zunahme von rund 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Quelle: WELT TV

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Angriffe und Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Beleidigungen: Die Meldestelle Rias dokumentiert für 2023 Tausende antisemitische Vorfälle in Deutschland. Judenhass sei „omnipräsent“ und „täglich spürbar“. Eine WELT-Recherche zeigt: Selbst bei Gewalt läuft die Strafverfolgung teilweise ins Leere.
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Zwei Wochen nach dem 7. Oktober 2023, dem schwärzesten Tags der jüdischen Gemeinschaft seit dem Ende des Nationalsozialismus, fliegt ein sogenannter Bengalo auf das Haus einer jüdischen Familie im Ruhrgebiet. Der pyrotechnische Gegenstand verursacht kein Feuer. Die Familie vermutet, dass sich Fußball-Ultras zufällig ihren Garten ausgesucht hätten.

Dann kommt die nächste Nacht. Und schon wieder fliegen bengalische Feuer, entzünden Gartenutensilien. Die Familie löscht den Brand, verständigt die Polizei. Die Beamten finden am nächsten Tag eine großflächige Schmiererei am Haus. „Geld regiert die Welt“, heißt es an der Wand, „Fuck Israel“ und „Free Palestine“. Der Familie ist nun klar: Sie ist gezielt Opfer einer antisemitisch motivierten Brandstiftung geworden.

Der Vorfall ist wohl der extremste Fall, den der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in seinem Bericht über antisemitische Vorfälle im Jahr 2023 nennt. „Es ist kaum vorstellbar, was es für das Sicherheitsgefühl einer jüdischen Familie bedeutet, solchen Angriffen im eigenen Haus ausgesetzt zu sein“, heißt es darin. Der Jahresbericht wurde am Dienstag vorgestellt und lag WELT vorab vor.

Frankfurt, Oktober 2023: „Ein Holocaust rechtfertigt nicht einen anderen“ – eine Demonstrantin setzt Israels Krieg gegen die Terrormiliz Hamas mit der Schoah gleich
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Quelle: RIAS Hessen

Insgesamt 4782 antisemitische Vorfälle dokumentierten die Rias-Meldestellen im vergangenen Jahr, davon knapp 60 Prozent nach dem Hamas-Großangriff auf Israel am 7. Oktober. „Die Erfahrungen, die hier lebende Juden seit vielen Jahren machen, verstärkten sich seitdem enorm und wurden zu einer omnipräsenten und täglich spürbaren Belastung“, heißt es in dem Bericht. Viele Juden hätten in der Folge bestimmte Räume nicht mehr oder in ständiger Sorge betreten, mit feindlichen Positionen konfrontiert zu werden.

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Sieben Vorfälle wie den oben genannten aus dem Ruhrgebiet ordnet die Monitoring-Einrichtung als „Fälle extremer Gewalt“ ein. Außerdem wurden 121 Angriffe, 183 Bedrohungen, 329 Fälle gezielter Sachbeschädigungen, 82 antisemitische Massenzuschriften sowie 4060 Fälle von „verletzendem Verhalten“ gezählt, darunter Beleidigungen sowie antisemitische Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und 833 Versammlungen, auf denen antisemitische Inhalte festgestellt wurden. 46 Prozent der Vorfälle ereigneten sich im öffentlichen Raum, etwa jeder Fünfte im Internet.

Ein Poster, das auf ein von der Hamas entführtes israelisches Kind aufmerksam machen soll, wird als „zionistische Propaganda“ diffamiert
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Quelle: Nikolas Lelle

Als verletzendes Verhalten wurde etwa ein Vorfall in Köln gewertet, bei dem eine Jüdin von einem Arbeitskollegen auf ihre Davidstern-Kette angesprochen wurde. Laut Bericht fragte dieser sie, ob sie sich „deshalb“ nicht mit ihm unterhalte und ob sie „alle Deutschen“ aufgrund des jüdischen „Opferkomplexes“ hasse. Den an einen Kippaträger in Göttingen gerichteten Satz „Ich reiße dir deine kleine Mütze vom Kopf“ wertet Rias als Bedrohung.

Der Bericht beruht auf Meldungen durch Betroffene, Zeugen sowie anderer Organisationen. In einigen Bundesländern fand ein Abgleich mit polizeilichen Statistiken statt. Bei knapp einem Drittel der Vorfälle waren jüdische und israelische Einzelpersonen und Institutionen betroffen. Weitere Vorfälle richteten sich etwa gegen Personen, die als jüdisch oder israelisch adressiert wurden sowie gegen Gedenkstätten und politische Parteien. Mehr als die Hälfte der Vorfälle hatte einen Bezug zu Israel.

Der politisch-weltanschauliche Hintergrund blieb bei mehr als 60 Prozent der erfassten Vorfälle unbekannt. Zwölf Prozent wurden dem „antiisraelischen Aktivismus“ zugeordnet, neun Prozent der Kategorie „rechtsextrem und rechtspopulistisch“, sieben Prozent der Kategorie „verschwörungsideologisch“ und lediglich drei Prozent der Kategorie „islamisch/islamistisch“.

Rias erfasst Vorfälle nur dann in der letztgenannten Kategorie, wenn sich die Täter „positiv auf islamische Glaubensinhalte oder Symboliken beziehen und bei denen kein anderer politisch-weltanschaulicher Hintergrund dominiert“. Die Täter können also auch in anderen Kategorien muslimisch sein. Bei einer Befragung von in Deutschland lebenden Juden durch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2018 hatten 41 Prozent „extremistische Muslime“ als angenommene Täter des schwersten selbst erlebten antisemitischen Vorfalls angegeben, 20 Prozent „Rechte und Rechtsextreme“.

„Der Tatverdächtige hob den Arm zum Hitlergruß“

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WELT hat bei Staatsanwaltschaften und den Strafgerichten zur möglichen Strafverfolgung mehrerer Fälle recherchiert.

Als Beispiel für einen rechtsextremen Hintergrund nennt der Bericht einen Vorfall aus Dresden im November. Laut Polizeimeldung hat sich dort ein Mann in einer Straßenbahn zunächst über „Judenviecher“ ausgelassen. Ein Mann, der sich beschwerte, wurde mit dem Tod bedroht und nach dem Ausstieg mit einer Glasflasche beworfen. „Der Tatverdächtige hob den Arm zum Hitlergruß“, heißt es in einer Meldung der Polizeidirektion Dresden. Die Polizei stellte den 54-jährigen Deutschen. Laut Staatsanwaltschaft Dresden sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

In München soll im Juli ein zur Tatzeit 15-Jähriger deutscher Staatsangehörigkeit mit lautstarken Rufen antisemitischer Äußerungen aufgefallen sein. Ein 20-Jähriger, der ihn aufgefordert haben soll, dies zu unterlassen, soll daraufhin von dem Jugendlichen mit einem Messer bedroht und ins Gesicht geschlagen worden sein. Laut Amtsgericht München verhandelt das dortige Jugendschöffengericht den Volksverhetzungsfall in der kommenden Woche – gemeinsam mit weiteren Anklagen gegen den Beschuldigten.

In Berlin-Marzahn soll im Mai 2023 ein Mann, der vor seinem Wohnhaus auf einer Parkbank saß, zunächst antisemitisch angepöbelt worden sein. Einer von zwei Angreifern soll dann versucht haben, ihn zu schlagen und zu treten. „Die Ermittlungen wegen des Tatvorwurfes der versuchten Körperverletzung dauern an“, heißt es von der Berliner Staatsanwaltschaft. „Bislang konnte ein Tatverdächtiger, 23 Jahre, deutsche Staatsangehörigkeit, ermittelt werden.“

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Im August „kam es in Kreuzberg zu einem körperlichen Angriff auf einen Touristen“, heißt es in einer Meldung der Berliner Polizei. Ein 19-jähriger Israeli hatte angegeben, auf Hebräisch telefoniert zu haben. Plötzlich sollen drei Männer aus einem Auto ausgestiegen sein. „Unvermittelt soll einer aus dem Trio den Touristen geschlagen haben, sodass der 19-Jährige zu Boden fiel. Auf den am Boden liegenden jungen Mann sollen nun die drei Männer weiter eingeschlagen und eingetreten haben“, teilte die Polizei mit. Im Krankenhaus wurden leichte Verletzungen behandelt.

Die Polizei suchte damals mit einer Beschreibung der Tatverdächtigen als 20 bis 30 Jahre alt, etwa 180 Zentimeter groß und „möglicherweise arabischstämmig“ nach Zeugen des Vorfalls. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte WELT: „Das Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung wurde im März 2024 mangels Ermittlung eines Tatverdächtigen eingestellt.“

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