Vor der Berliner Humboldt-Universität kreischt eine junge Frau mit Kopftuch: „Zionism a crime, take your hands off Palestine“: die jüdische nationale Befreiungsbewegung sei ein Verbrechen, „Hände weg von Palästina“, heißt das. Mehrere Dutzend junge Männer und Frauen mit und ohne Palästinenser-Tüchern, manche vermummt mit medizinischen Masken, sprechen ihr in Chören nach. Es ist 13.30 Uhr: Getrennt durch einen Zaun von dieser Ansammlung draußen sitzen im Ehrenhof des Hauptgebäudes der Universität noch knapp 30 weitere israelfeindliche Demonstranten auf dem Boden.
Mehrere Dutzend Polizeibeamte haben mit der Räumung begonnen, nachdem die Demonstranten Gesprächsangebote der Universitätsleitung verweigert hatten. Laut übereinstimmenden Medienberichten und hatten die Versammelten die Universitätspräsidentin zuvor angebrüllt und „Zionistin“ genannt.
Zum Protest im Ehrenhof hatte laut Universität die Gruppe Student Coalition Berlin aufgerufen. Im Netz behauptet die Gruppe, gegen „Verletzungen der akademischen Freiheit in Berlin und Brandenburg“ vorzugehen. Was damit gemeint ist, ist unklar. Im März hatte die schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin nach antisemitischen Protestaktionen und Gewalttaten im Universitätskontext die Möglichkeit wiedereingeführt, Studenten als Ordnungsmaßnahme zu exmatrikulieren. Rot-Rot-Grün hatte das erst 2021 abgeschafft.
Was den Teilnehmern der israelfeindlichen Versammlung am Freitag nun droht, ist ungewiss. Die Polizei teilte am frühen Samstagmorgen mit, es seien rund 150 Menschen registriert worden. Von 40 Menschen habe man Personalien aufgenommen. Laut „Tagesspiegel“ riefen Teilnehmer die verbotene Parole „From the river to the sea“, was die Auslöschung Israels impliziert. Ein Video zeigt, wie die Demonstranten im Vorhof „Yallah, Yallah, Intifada“ rufen, also terroristische Mordkampagnen gegen Juden in Israel, wie zum Beispiel im Jahr 2000, glorifizieren. Der Ruf war auch unter den Teilnehmern auf der Straße zu hören.
Die Terror-Attacke der Hamas im Oktober vergangenen Jahres klagt niemand an. Die Geiseln bleiben unerwähnt. Die Sprechchöre der Demonstranten kennen nur einen Aggressor: Israel. Immer wieder verbreiten sie die Verschwörungstheorie, Israel führe in Gaza einen Genozid durch, wolle also bewusst die in Gaza ansässige Bevölkerung ermorden. Ein Aktivist mit Kippa in Palästinenser-Farben, Kleid und mit Blümchentasche von der israelfeindlichen Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ läuft aufgeregt um die Gruppe im Innenhof herum. Er filmt die Polizisten und fragt Pressefotografen, ob sie „Arier“ seien. Israel ermorde „systematisch“ Kinder, sagt er einmal.
Das uralte antisemitische Kindermörder-Motiv bedienen auch die Demonstranten auf dem Boden, ein Mann mit schwarzer Sonnenbrille und buntem Sonnenschirm lässt sie nachsprechen: „Zionisten sind Faschisten, töten Kinder und Zivilisten.“ Dabei soll es hier angeblich um Studentenanliegen gehen; auf einem Flyer der Demonstranten heißt es auf Englisch: „Wir fordern, dass Universitäten die deutsche Komplizenschaft am fortdauernden Genozid anprangern“ und, dass die Universitäten „palästinensische Staatlichkeit“ anerkennen. Die Palästinenserführer haben in der Vergangenheit mehrfach einen eigenen Staat abgelehnt.
In der Propaganda von Hamas und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) kommen solche Tatsachen freilich nicht vor. Auch, wer seine Informationen hauptsächlich durch Medien wie das katarische Medium al-Jazeera bezieht, dürfte mehr schlecht als recht über die israelisch-palästinensische Geschichte informiert sein.
Auf dem Ehrenhof der Humboldt-Universität aber sitzen – zumindest behauptet das eine junge Frau mit runder Brille und kurzen Haaren, die ihren Mitstreitern mit einem Tuch Schatten spendet – deutsche Studenten. Die meisten sind junge Frauen, offenkundig ohne arabischen Migrationshintergrund. Dennoch identifizieren sie sich, manchen Sprechchören zufolge, als palästinensische Freiheitskämpfer: „We are thousands, we are millions, we all are Palestinians“ – „Wir alle sind Palästinenser“ – rufen sie.
Pressefeindliche Stimmung und Parolen gegen Polizisten
Die Aktion startete um die Mittagszeit laut Polizeiangaben mit 90 Personen im Humboldt-Uni-Vorhof, um 16 Uhr sitzen noch 15 Demonstranten im Vorhof, durch Polizisten abgeschirmt von den vielen Dutzend Demonstranten auf dem Gehsteig draußen. Unter den Vorhof-Besetzern ist auch eine Frau, die augenscheinlich über 60 ist; ob sie Studentin ist, will sie nicht beantworten, gibt sie auf Englisch zu verstehen. Als sie später von der Polizei abgeführt wird, kann sie dann doch Deutsch reden und fragt immer wieder: „Was ist der Grund?“
Neben den Demonstranten stapeln sich Wasserflaschen, und umso häufiger die Polizeibeamten in die Gruppe stoßen, um zwei oder drei der Sitzenden rauszuziehen, desto mehr versuchen die umstehenden Unterstützer, die Gruppe vor Kameras abzuschirmen. Die Grundstimmung ist pressefeindlich. Oft rufen die Gruppe auf dem Hof und die Versammelten, dass „deutsche Medien lügen“. Eine Person, angezogen wie eine muslimische Frau, Palästinenser-Tuch um den Kopf gewickelt, Hosenanzug, überlanger schwarzer Blazer, ruft in Richtung einiger Presseleute: „Zionisten-Dreck!“
Die Polizeibeamten werden in den Parolen der Demonstranten entmenschlicht: „Oink, oink, piggy, piggy“, „Grunz, Grunz“, ihr Schweine, schlägt ihnen in Sprechchören auf Englisch entgegen. Eine aufgebrachte junge Frau mit pinken Haaren brüllt es den Polizisten aus nächster Nähe entgegen, als sie wieder zum Räumen anrücken. Jedes Mal heißt es: „Wir machen das Angebot, freiwillig aufzustehen“, das geschieht aber nicht.
Einen hochgewachsenen Mann mit schwarzem Bart und rotem Palästinenser-Tuch brüllt ein Beamter an: „Hören Sie auf, sich zu wehren!“ Dann ziehen sie ihn zu zweit aus dem Menschenknäuel auf den Vorplatz, ein Beamter zwingt mit der flachen Hand im Gesicht des Mannes dessen Kopf in den Nacken.
Draußen auf der Straße werden die Abgeführten mit Jubel und „Peace“-Zeichen begrüßt. Auf dem Vorhof kümmern sich Umstehende um sie, wedeln ihnen Luft mit ihren Protestschildern zu. Auf einem steht: „There is no academia without truth“ – „Es gibt keine Universität ohne Wahrheit“. Innerhalb der Sitzgruppe fragen sie untereinander, nachdem die Polizisten da waren: „Alles ok bei euch?“, und bieten sich gegenseitig Sonnencreme an.
Zwischendurch sammelt zwischen ihnen ein Umstehender, dem eine Regenbogen-Unterhose aus der Hose lugt, weggeworfene medizinische Masken und Mandarinenschalen ein. Die außenstehende junge Frau mit der Brille und dem Tuch fragt wie eine Lehrerin während einer Klausur in die Runde, ob jemand Traubenzucker möchte, aber keiner nimmt ihr ein Stück ab; in ihrer Hosentasche steckt eine Banane.
Um etwa 16.30 Uhr sitzen nur noch drei Demonstranten auf dem Boden, darunter die alte Frau. Als die Gruppe noch größer war, hatten sie immer wieder in beseelter Kirchentagsmanier in einer Art Kanon mit mädchenhaft klingenden Stimmen in Mantren gesungen: „Nieder, nieder mit dem Gennozid ... Nieder mit dem Kapital ... Nieder mit dem Bullenstaat.“ Als die verbliebenen drei auf die Straße abgeführt werden, brandet ein letztes Mal Jubel der Demonstranten außerhalb des Uni-Geländes auf. Dann fangen sie an zu brüllen: „Ganz Berlin hasst die Polizei!“.
Ungefähr ab der gleichen Zeit tauchen im Netz Videos von israelfeindlichen Accounts auf, die angebliche Polizeibrutalität gegen „propalästinensische Studenten“ zeigen sollen. Die Humboldt-Universität gleichzeitig hat, nach innen und nach einem brüsk von den Demonstranten zurückgewiesenen Gesprächsangebot, null Toleranz gegen Israelfeindlichkeit gezeigt, ihre Studentenschaft vor allem: Desinteresse. Nicht mal hundert Teilnehmer der Sitzdemonstration im Ehrenhof, laut Polizei bis 300 Demonstranten auf der Straße, teils angeblich Studenten, von knapp 40.000 Humboldt-Studenten insgesamt, waren da.
Eine groß angelegte Gegenkundgebung gab es nicht. Fotos zeigen nur eine einsame Frau, die vor einer der Säulen auf der Straße vor dem Eingangsportal des Ehrenhofs ein Schild hochhält: „Glaubt israelischen Frauen“, steht darauf. Mutmaßlich bezieht sie sich auf die Vergewaltigungen und von den Vereinten Nationen beschriebene „sexualisierte Folter“, die Terroristen aus Gaza beim Überfall vom 7. Oktober israelischen Frauen und später den nach Gaza verschleppten Geiseln angetan haben. Auf dem T-Shirt der Frau steht außerdem: „Bring them home now“. Ungefähr 130 Geiseln sollen sich noch, seit über 200 Tagen, im Hamas-Gefangenenschaft befinden; unklar ist, wie viele davon längst tot sind.