Ich bin ein bisschen spät zur Party, was daran liegen dürfte, dass ich auch gar nicht eingeladen war. Ich interessiere mich nämlich nicht für Mode. Prêt-à-porter und Haute Couture kann ich mit Mühe schreiben und ganz gewiss nicht unterscheiden. Von Yves Saint-Laurent weiß ich nur, dass er mit einem Nervenzusammenbruch zur Welt kam, aber schon nicht mehr, wer das eigentlich behauptet hat. Supermodels finde ich super langweilig und Luxus immer etwas obszön, und was Karl Lagerfeld angeht: Er war präsent, solange ich lebe, und bestenfalls kann ich sagen: In seiner Selbstverständlichkeit hat er mich nicht gestört.
Zur Zielgruppe von „Becoming Karl Lagerfeld“ gehöre ich also nicht, ich bin auch an den vielen Plakaten, die gerade für die Serie werben, eher ungerührt vorbeigelaufen. Dass ich die sechs Folgen jetzt dennoch gesehen habe, war quasi ein Unfall, den es ja auch auf Sofas gibt, und hatte ein bisschen was mit Daniel Brühl zu tun, von dem ich durchaus wusste, dass er ein guter Schauspieler ist. Das war ja in „Inside Wikileaks“, in „Die Einkreisung“ oder zuletzt in „Im Westen nichts Neues“ auch eigentlich nicht zu übersehen. Aber, Hand aufs Herz: Ich habe nicht gewusst, wie wahnsinnig sagenhaft fantastisch gut Daniel Brühl ist, bevor ich ihn als Karl Lagerfeld gesehen habe.
Klar, er profitiert von einer Serie, die hervorragend gemacht ist: Das Drehbuch basiert auf einem offenbar hochinteressanten Buch („Kaiser Karl“, das ich natürlich nicht kenne), Regie und Kamera machen ausgezeichnete Bilder, die Ausstattung (muss ja in diesem Fall) ist exquisit, und die Schauspieler an Daniel Brühls Seite (Sunnyi Melles als alternde Marlene Dietrich, Arnaud Valois als Saint-Laurent) machen einen tollen Job, allen voran Théodore Pellerin als Jacques de Bascher, der so etwas wie Lagerfelds Lebensgefährte war (selbstredend kannte ich ihn auch nicht).
Doch das alles erklärt Brühls sagenhafte Leistung nicht, denn Karl Lagerfeld zu spielen, ist schrecklich schwer, wenn nicht eigentlich unmöglich, denn, wenn ich Ignorant es richtig verstehe: Der Mann hat sich ja schon sein Leben lang selber gespielt. Brühl schlüpft in eine Rolle, die es nur als Rolle gibt – und wie anders soll das enden als in einer unfreiwilligen Parodie? Ist dieser Fächer zum Beispiel nicht eigentlich immer Karneval? Ist diese unverwechselbare, immer leicht überhastete Artikulation nicht schon deshalb unkopierbar, weil die Kopie sofort wie Kabarett wirkt? Zumal man in einem solchen Fall ja sowieso nur noch hören würde, wie, aber nicht was gesprochen wird.
Ein innerer Lagerfeld
Brühls Geheimnis: Er kopiert Lagerfeld gar nicht, er verwandelt ihn sich an, und eine Maske (oder eine der vielen Masken, die Lagerfeld im Laufe seines langen Lebens trug), ist dazu gar nicht notwendig. Natürlich gibt es Requisiten – den Fächer, die Brille, den Zopf und manchmal ziemlich wunderliche Stiefel –, sie sind aber nicht aufdringlicher als die über der Manschette getragene Uhr, und Brühl setzt sie äußerst sparsam und gerade deshalb mit großer Selbstverständlichkeit ein.
In ein Körperkostüm schlüpft er darüber hinaus nicht: Er trippelt ein bisschen, manchmal schnappt er ein wenig, wenn er spricht, aber den Versuch, dem Zuschauer einen äußeren Lagerfeld zu zeigen, unternimmt er gar nicht. Brühl sieht im Wesentlichen wie Brühl aus, wenn er einen inneren Lagerfeld gibt: einen Einsamen und vielfach Verwundeten, aber auch einen harten, gelegentlich grausamen, beinahe absurd willensstarken Mann, den oftmals schon seine außerordentliche Intelligenz zum Alleinsein in Arbeit verurteilt.
Sie sehen: Ich habe angefangen, über Karl Lagerfeld nachzudenken. Vor allem aber hat mir Daniel Brühl vor Augen geführt, wie herausragende Schauspielkunst wirkt. Sie bringt uns etwas nahe, von dem wir nicht mal ahnten, wie sehr es uns berührt.
„Becoming Karl Lagerfeld“ ist auf Disney+ zu sehen.