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Film „The Favourite“

Hier wird Lesbensex geadelt

Chefkorrespondent Feuilleton
„The Favourite“

Der englische Königshof im 18. Jahrhundert: England befindet sich im Krieg gegen Frankreich, doch die kranke und geschwächte Königin Anne ist kaum in der Lage, die Nation zu regieren.

Quelle: FOX

Autoplay
Zehnmal für den Oscar nominiert, und jedes Mal zu Recht: Giorgos Lanthimos baut mit seinem Film „The Favourite“ einen grandiosen Schrein zu Ehren der Frauen. Männer sind darin nur tumbe Tiere.

Irgendwie haben es dem Regisseur Giorgos Lanthimos die Tiere angetan. Nach dem zergrübelten Sci-Fi-Meisterwerk „The Lobster“ („Der Hummer“) und dem sperrig-hermetischen „The Killing of a Sacred Deer“ („Das Töten eines heiligen Hirschs“) sind jetzt, im vielfach oscarnominierten „The Favourite“, die Enten dran.

Zudem machen ein paar Hummer ihre Aufwartung, schier unzählige Kaninchen hoppeln umher, Pferde galoppieren bildfüllend, ansonsten hängen an den Wänden des royalen Landsitzes Heerscharen von Füchsen, Ebern und wahrscheinlich auch ein paar Hirsche, ich habe irgendwann das Mitschreiben gelassen.

Gut, ohne die Tauben, auf die permanent geballert wird, wäre „The Favourite“ nicht „The Favourite“, sie spielen eine zentrale symbolische Rolle, und nicht gerade als Sendboten des Friedens; man könnte eher von Kriegstauben sprechen. Unbedingt erwähnenswert sind zudem Dachse und wie gesagt Enten.

Als einziger Dachs muss die Königin selbst herhalten, gespielt von Olivia Colman. Wegen ihrer vom vielen Heulen verschmierten Schminke nennt sie so ihre Lieblingsedelzofe Sarah Churchill, auch bekannt als Herzogin von Marlborough. Die kann sich dergleichen erlauben, denn, das darf man ruhig verraten, sie verrichtet an der Königin intime Dienste.

Ja, richtig gelesen, Lesbensexszenen in den Betten des britischen Oberadels gibt es zur Genüge, aber bleiben wir einen Moment bei den Enten. Das heißt, bei den Männern. Alle, früher hätte man gesagt: Kerle sind hier triebgesteuerte Vollidioten, die in Zeitlupe fettschwabbelnde Nackedeis mit Apfelsinen bewerfen, barbarische Treibjagden veranstalten, den vollbusigeren Teil des Gesindes anbaggern und, wenn sie sich mal zusammenreißen, kraft ihrer unrettbaren Verdummung die Politik versauen.

Lanthimos’ Kostümdesignerin Sandy Powell steckt diese Zweibein-Schweine in die aberwitzigsten Klamotten, die zum größten Teil aus obszön überdimensionierten Perücken, Schnallen-High-Heels und zu Tode ornamentierten Gehröcken bestehen. Dazu haben sie gern ihre Lieblingsente dabei, die ist ausdrücklich ein Erpel und hört auf den Namen Horatio. Der Übergang vom Duke zur Duck ist fließend.

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Klar, dass ein solches Geschlechterverhältnis, wenn es zur Audienz zwischen Lady Marlborough, die die gicht- und depressionsgeplagte Königin vertritt, und dem nächsten schwachmatischen Tory-Politiker kommt, entsprechende Dialoge zeitigt. Sir Harley: „Ich möchte der Königin etwas vortragen.“ Lady Marlborough: „Tragt es mir vor. Ich liebe Komödien. Gibt es Kuchen?“

Rachel Weisz spielt die Dame mit feinem Charme, süffisanter Smartness und cooler Abgefeimtheit. All das im Zaum hält ein adretter Rüschenkragen. Darunter schlägt zu allem Überfluss ein heißes Herz. Das hat sie ihrer Rivalin Abigail (Emma Stone) voraus, auch wenn die erst mal die Unschuld vom Lande mimt, sich buchstäblich aus dem Dreck über die Küche ins Schlafzimmer der Königin emporarbeitet.

Früh verätzt sie sich beim Bodenschrubben die Hände. Das macht ihr wenig aus; nicht nur kennt sie die richtigen Heilkräuterchen, sie ist auch selbst viel ätzender als jede dahergelaufene Lauge.

THE FAVOURITE - INTRIGEN UND IRRSINN (2018) Emma Stone
Keine Unschuld vom Lande: Emma Stone als die Zofe Abigail
Quelle: © 2018 Twentieth Century Fox
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Lanthimos ist sichtlich verliebt in sein weibliches Dreigestirn. Das Fischaugenobjektiv (nota bene, selbst die Technik ist tierisch) seines Kameramanns Robbie Ryan rückt sie jeweils ins Zentrum des cineastischen Universums, orgiastisch umglänzt vom Frührokoko der Tapeten, Bilder, Gardinen, Lüster, Wandbehänge, Holzvertäfelungen, dem Stuck, Parkett, den Teppichen, Chaiselongues, Himmelbetten und so weiter und so fort, das Meiste gefilmt im mit britischem Understatement Hatfield House genannten Palast in Hertfordshire, gut 30 Kilometer nördlich von London.

„The Favourite“ tanzt mit unablässiger Ausdauer einen schwindelig-schwelgerischer Reigen provozierendster Dekadenz. Die Szenen zeigen – so was gibt es, zumindest ab sofort – rasante Tableaus, Hochgeschwindigkeitsschreine zu Ehren ihrer göttlichen Darstellerinnen.

Colman, Weisz und Stone sind zu Recht für den Oscar nominiert, Colman in der Kategorie beste Hauptrolle, die anderen beiden als beste Nebenrolle. Doch schon der Filmtitel, der nicht von der Königin spricht, sondern von ihren wechselnden Favoritinnen, legt nahe, dass es auch anders hätte kommen können.

THE FAVOURITE - INTRIGEN UND IRRSINN (2018) Olivia Colman, Rachel Weisz
Die Depressive und das Biest: Olivia Colman als Königin Anne (l.) und Rachel Weisz als Lieblingszofe Sarah Churchill
Quelle: © 2018 Twentieth Century Fox

Hauptrollen spielen sie alle drei. Ihnen zuzusehen ist das Fest, in dem zu verlieren sie selbst sich ränkehalber nicht gestatten können. Jedes Mienenspiel ein Minenfeld, jede Replik eine womöglich tödliche Wunde. Keine der drei ist wirklich liebenswert, wobei man schon eine Hierarchie der Sympathiewerte aufstellen könnte, die sich im Laufe der Handlung wiederum ein paarmal dreht.

Der wichtigste und in jeder Einstellung präsente Sympathieträger, der diesem, schaute man allein auf die Standbilder, vermeintlich bräsigen Kostümfilm den irren Schwung gibt, ist, neben der tollen Kamera und dem Licht, die messerscharfe Intelligenz des Drehbuchs und der Regie.

Irgendwo hinterm Horizont gibt es tatsächlich ein paar nützliche Angehörige des männlichen Geschlechts, den Ehemann von Lady Marlborough zum Beispiel, der als Befehlshaber der Armeen dafür sorgt, dass zwischen den europäischen Großmächten die nächsten zwei Jahrhunderte ein gewisses Gleichgewicht herrschen wird.

Lanthimos begnügt sich mit einer lässigen Schraffur des historischen Hintergrunds, der übrigens bis ins Bettgeflüster zumindest nicht so leicht zu falsifizieren ist. Stattdessen konzentriert er sich aufs mänadische Schlachtfeld höfischer Ranküne, auf dem die fernen Generäle zu opferbereiten Schachfiguren schrumpfen. So geht ein beispielhafter Schlagabtausch zwischen Abigail und Sarah: „Und wenn Euer Ehemann fällt?“ Sarah: „Habt Ihr nicht Eure Möse einem fetten Deutschen geopfert, um Euren Vater zu retten?“ Abigail: „Ja.“ Sarah: „Es muss immer ein Preis bezahlt werden. Ich bin bereit, ihn zu zahlen.“

Zurück zum Lesbensex

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Apropos, diese überwältigende Menschen- und Materialschlacht soll bloß 15 läppische Millionen gekostet haben. In einem sehr guten Filmjahr habe ich keinen besseren Film gesehen.

Aber zurück zum Lesbensex, hatte ich ja versprochen. Er ist ebenfalls zu loben. Dafür nämlich, dass Lanthimos der Versuchung geringerer Talente, entweder verlogen-keusche oder erniedrigend-aufgeilende Bilder zu produzieren, nicht mal widersteht. Dafür ist er ein viel zu vollkommener Filmemacher und das heißt Mensch.

Er weiß, was die Stunde geschlagen hat – den Frauen die aktive Rolle zuteil werden zu lassen, die ihnen das Leben immer schon und nur die Dramaturgien so selten gewährten. Darin erweist er sich als ihr ergebener Diener, man möchte wetten, als ihr Favorit.

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