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Kaiser und Fürsten verschwanden 1918 zu Recht

Vor 90 Jahren, im November 1918, traten nach Kriegsende neben dem Kaiser Wilhelm II. auch die deutschen Landesfürsten ab. "Macht euren Dreck alleene", erklärt der König von Sachsen. Der Historiker Lothar Machtan breitet die versammelten Rücktritte in einem Buch aus – und teilt die Schuld zu.

Warum die Dinosaurier ausgestorben sind, ist bis heute umstritten. Bevor Klimawandel und Kontinentaldrift, Meteoriteneinschläge und Vulkanausbrüche als mögliche Gründe für den Massen-Exitus dieser einstigen Könige des Tierreichs kursierten, gingen die Forscher davon aus, dass die Dinosaurier schlichtweg zu dumm und zu groß waren, um sich ihrer Umwelt anzupassen. Zuvor hatten die Reptilien die Fauna des Mesozoikums 170 Millionen Jahre lang dominiert. Nichts wies darauf hin, dass sich an dieser Vormachtstellung etwas ändern würde.

Vielleicht waren auch die deutschen Bundesfürsten in gewisser Weise zu dumm und zu groß, als dass sie ihren wie selbstverständlichen Herrschaftsstil noch den massiv gewandelten Lebensbedingungen hätten anpassen können: Im November 1918 entsagten sie ausnahmslos der Macht.

Während sich jedoch der Niedergang der Dinosaurier über etwa 300.000 Jahre streckte, trug sich die freiwillige Demission der deutschen Herrscher gleichsam über Nacht zu: Binnen nur weniger Tage dankten ihre als gottgegeben und unumstößlich gewähnten Vertreter ab: Nicht nur der Deutsche Kaiser und preußische König Wilhelm II., sondern auch drei weitere Könige sowie die Regenten aller deutschen Fürstenhäuser, darunter jahrhundertealte Dynastien wie die Wettiner oder die Wittelsbacher. Kampflos überließen sie das politische Feld den Novemberrevolutionären, die sich eher getrieben als zielstrebig in diesem Machtvakuum einnisteten.

Einen zwar spektakulären, aber durchaus schlüssigen „Akt kollektiver Selbstentkrönung“ nennt Lothar Machtan, Jahrgang 1949, die Quasi-Selbstaufhebung des deutschen Kaiserreichs, das 1871 von Bismarck als Fürstenbund gegründet worden war. Und der Historiker tröstet royalistisch gesinnte Zeitschriftenleserinnen am Ende einer spannenden Studie mit dem Schiller-Wort, nach dem „die Majestät des Deutschen nie auf dem Haupt seiner Fürsten geruht“ habe.

Um den selbst verordneten Aderlass der regierenden Häuser plastisch und nachvollziehbar zu machen, ist Machtan, der seit 1995 an der Universität Bremen Neuere und Neueste Geschichte lehrt und 2001 mit seiner umstrittenen Studie über Hitlers Homosexualität („Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators“) für Aufregung sorgte, tief in die Archive der Fürstenhäuser hinab gestiegen. Vordem gänzlich unbekannte Quellen hat er für sein designiertes Standardwerk „Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen“ ausgewertet.

Machtans Befund ist eindeutig, und er fällt nicht gerade schmeichelhaft für seine gekrönten Hauptfiguren aus: An Hybris grenzende Selbstgefälligkeit, notorische Reformunwilligkeit und Verschwendungssucht, Realitätsferne und Einfalt sowie ein hohes Maß an Ignoranz gegenüber den dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen im Gefolge des Krieges führten zum Niedergang einer Klasse, die spät, viel zu spät erkannte, wie unzeitgemäß sie längst geworden war.

„Der Zerfall der Monarchie in Deutschland“, fasst Machtan seine konzisen Einzelanalysen zu einem frappierenden Generalverdacht zusammen, „war keine Naturkatastrophe, kein Schicksalsschlag, sondern zum Gutteil Resultat der aktiven und passiven Ruinierung dieser Institution durch ihre vornehmsten Protagonisten. Nur wollte sich bis zuletzt keiner den beklagenswerten Zustand eingestehen, dass man am Ende nur noch auf einem zu Schanden gerittenen Pferd saß.“

„Was war das für ein entsetzlicher Sturmwind"

Es erstaunt, wie hartnäckig sich die Angehörigen der Fürstengeschlechter auch noch dann weigern, ihre Lebenslüge vor sich selbst einzugestehen, als das gute Porzellan längst zerschlagen ist. Immer noch und immer wieder klammern sie sich in ihrem psychoanalytisch schulmäßigen Abwehrverhalten beredt wie fassungslos an die Idee, eine nachgerade numinose Naturgewalt habe die ihnen vertraute Welt aus den Angeln gehoben: „Was war das für ein entsetzlicher Sturmwind, der über Deutschland fegte“, blickt Fürst Leopold V. von Lippe am 17. November 1918 auf den Matrosenaufstand und diesen flankierende Umwälzungen zurück. „Als wenn die Menschheit den Verstand verloren hätte! Wenn man den Glauben an Gott und sein Vaterland nicht gehabt hätte, man hätte es ja nicht ertragen!“

Eine Unwetter-Metapher bemüht auch die vormalige Fürstin Elisa von Reuß, als sie ihrem Bruder Ernst von Hohenlohe-Langenburg am 22. November schreibt, es sei „wie ein Sturm auf uns alle hereingebrochen, und man kann es noch immer kaum fassen: unser großes herrliches Deutschland – von den Feinden gedemütigt, im Inneren zusammengebrochen. Du hast recht, es tut so weh, dass man gar nichts weiter darüber sagen kann.“

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Anna Luise, letzte Fürstin von Schwarzburg-Rudolstadt, zeiht in einem von Fatalismus und Determinismen beseelten Brief an Elisabeth Förster-Nietzsche im Januar 1919 gar „inneren Wahnsinn“ und „Mächte der Finsternis��� als verantwortlich für „so dunkle Rätsel, wie sie die Welt wohl noch nie zu lösen hatte“.

Der „verbissenen Kampf" um die Macht

Lothar Machtan, der anders als in „Hitlers Geheimnis“ auf spekulative und suggestive Versatzstücke verzichtet, ist in seinen Exegesen dieser grotesken Realitätsfluchten wohltuend differenziert. Er schreibt, dass es durchaus „aufgeklärte“, immerhin moderat selbstkritische Fürsten gegeben habe, die um die erwartbar geringe Halbwertzeit des 1871 von Bismarck konstruierten Monarchie-Modells wussten. Und doch hätten sie in ihrem „verbissenen Kampf um dynastische Sonderinteressen“ und andere Partikularismen das fürstliche Machtkartell sehenden Auges havarieren lassen, bis schließlich ein irreparabler Totalschaden entstand. So gesehen, ist es letztlich ein Mangel an aristokratischem Ethos und standesgemäßer Verantwortlichkeit für die Schutzbefohlenen gewesen, der Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fallen ließ.

Machtan, der alle passfertigen Entschuldigungen und Schutzbehauptungen vom „Moloch Weltkrieg“ bis hin zum „schicksalhaften Determinismus“ entzaubert, lässt keinen Zweifel daran, dass die abgewirtschafteten, abgedankten Aristokraten es nicht besser verdient hatten.

Umso problematischer waren die Folgen. Kaum ein demokratischer Nachfolger im Rahmen der Weimarer Republik konnte sich auf eine klare Trennlinie gegenüber seiner einstigen Dynastie verständigen. Der aktuelle Streit, welche Kunstwerke dem Land Baden-Württemberg und welche dem Hause Baden gehören, hat darin seinen tieferen Grund.

Lothar Machtan: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen. Propyläen, Berlin. 427 S., 24,90 Euro.

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