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Kultur John Neumeiers Abschied

Alles ist gesagt, nicht alles ist getanzt

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Szene aus John Neumeiers vorerst letztem Abend für Hamburg Szene aus John Neumeiers vorerst letztem Abend für Hamburg
Szene aus John Neumeiers „Epilog“
Quelle: © Kiran West
In 51 Jahren hat der Choreograph John Neumeier Hamburg zu einem Zentrum des Welttanzes gemacht. Jetzt nimmt er Abschied. „Epilog“ heißt sein vorerst letzter Abend in der Hansestadt. Und findet die Essenz des Tanzes.
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Ein Mann geht aus dem Licht der Bühne in das Dunkel der Kulissengasse der Oper Hamburg. Ist das nicht die Essenz des Tanzes? Bewegung füllt den Raum – und verlässt ihn wieder. Um ihn am Ende wieder zu betreten. Weit weg übrigens von den realen Zuschauern. Gerade wurde gesungen – „Ist das der Tod?“ Nein, ist es nicht, nicht für John Neumeier, der 51 Jahre in Hamburg das Tanzgeschehen an der Alster bestimmt, der die Hansestadt überhaupt auf die Welttanzkarte gebracht hat. Und der jetzt aufhört – um ganz sicher weiterzumachen, neu anzufangen. Anderswo. Aber sicherlich auch zu Hause.

„Epilog“. So endet sprachlich korrekt wie nüchtern diese einzigartige Ära, die von keinem Kreativen der Kunstwelt je erreicht wurde. Und die 1973 mit dem Pas de Deux „Désir“ begonnen hatte. Und die Sehnsucht, sie glüht in dem 85-jährigen Neumeier sogar nach 173 Stücken noch. Vielleicht bisweilen auf kleinerer Flamme, innerlicher, konzentrierter.

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Die Lorbeerkränze sind längst geflochten, die Elogen gesungen, die Orden und Ehrenbürgerschaften verliehen. Auch die Zukunft dieses Erbes, das der deutsche Steuerzahler mitermöglicht hat, scheint gesichert. Eine Stiftung, an der die Stadt beteiligt ist, wird die Rechte am Neumeier-Werkkatalog halten. Ein Institut, für das bereits ein Gebäude gekauft wurde, wird Neumeiers wertvolle Sammlung von Tanzmemorabilia mit Schwerpunkten in der Romantik wie der Ballets russes um sein Idol Vaclav Nijinsky Wissenschaftlern wie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Zwischen deren Artefakten lebt er gegenwärtig noch.

Das sind die Schlusssteine eines Tanzimperiums, das eine organisatorisch unabhängige, weltberühmte Kompanie mit mehr als 60 Tänzern umfasst, die von der Oper querfinanziert wird. Ein großzügig-lichtes, eigenes Domizil, in dem auch die Schule, das Internat und das Bundesjugendballett mit weiteren acht Tänzern beheimatet sind. Letzteres wird John Neumeier weiterführen. Dass seine Choreografien im Repertoire des Hamburg Balletts auch künftig gut betreut werden, dafür sorgt in der Zukunft als stellvertretender Direktor sein Vertrauter Lloyd Riggins, während fast alle kreativen Schlüsselpositionen ebenfalls mit ehemaligen Neumeier-Tänzern besetzt sind. Und sie alle warten jetzt, was der 39-jährige neue Ballettchef – der in Deutschland aufgewachsene in Stuttgart an der Cranko-Schule wie beim Ballett groß gewordene Argentinier Demis Volpi – anzubieten hat.

Schubert und Simon & Garfunkel

Dieses 51. Neumeier-Jahr, es war ein Geschenk. Weil Volpi nicht früher kommen konnte. Eine Zeit des Übergangs, des Loslassenlernens, Insichgehens. Auch des Feierns wie Etablierens seines neuen, allherbstlichen Neumeier Festivals in Baden-Baden. An dessen Ende, nach der letzten, etwas großmächtig verquasten „Dona Nonis Pacem“-Uraufführung zu Bachs h-moll-Messe nun dieser allerletzte, auch immerhin zweistündige „Epilog“ steht.

Wieder hat John Neumeier das locker gefügt, mit Freunden und Vertrauten. David Fray, der Klavierinspirator für die ganz und gar erstaunliche Corona-Kreation „Ghost Light“, sitzt neuerlich am Klavier und spielt zart späten Schubert. Drei Simon & Garfunkel-Songs lockern die erste Hälfte mit amerikanischer Sixties-Nostalgie auf, sehnsüchtig, kein bisschen kitschig. Im zweiten Teil steht dann, Neumeier wollte sie immer choreografieren, aber erst jetzt sind sie rechte- und erbeneinflussfrei, die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss.

Diesen vokalmythischen Schwanengesang der deutschen Spätestromantik singt nüchtern-flackrig Starsopran Asmik Grigorian, die sich zudem wunderbar bewegen könnte, aber durch ihr Stehpult mit den Noten, die sie nicht auswendig gelernt hat, daran weitestgehend gehindert wird. Ihr und aller anderen Kostüme, locker-raffiniert fallende, scheinbar einfache Kleider und Anzüge, hat der Neumeier-bewährte Akris-Chef Albert Kriemler entworfen; auf Neumeier-Wunsch in der von diesem so geliebten, gedeckten Piero-della-Francesca-Farbpalette.

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Viele Neumeier-Versatzstücke, -Reminiszenzen, -Requisiten, -Manieren wie -Manierismen tauchen nun auf. Da sitzt eine Familie am Tisch, steif, spießig, und ein Junge (Louis Musin), der dort ausbrechen will, windet sich darunter. Der wiederum hat einen Doppelgänger, die nunmehr letzte Neumeier-Jünglingsentdeckung, den zartgliedrigen Aspiranten Caspar Sasse. Er läuft ebenfalls als Neumeiers Alter Ergo durch das Werk, am Ende mit Zylinder, Zauberlehrling wie Meister, der dies alles erlebt wie eben auch geschaffen hat. Und der doch selbst in einem Zwiespalt zwischen männlichem Begehren mit vielen halbnackten Leibern, Duos, Gruppen und der balletttraditionellen Anbetung der Frau als Muse und Ballerina, Star und Göttin auf Spitzenschuhe steckt, wie sie jetzt die feinherbe Anna Laudere als eine Art Mutterfigur und die strahlende Ida Praetorius als Solistin verkörpern.

Man darf diesen „Epilog“ nicht zu sehr als Ganzes, als großen Bogen sehen, es sind eher Erinnerungen des Augenblicks, Déjà-vus, Verweise. Am Ende, im zweiten Teil, wenn man sich aus einem Wimmelbild mit Stühlen geschält hat, wird es repräsentativer, weniger autobiografisch. Da taucht noch ein drittes Neumeier-Abbild auf, Aleix Martínez, der hibbelige Temperamentsbolzen vieler jüngerer Kreationen. Auch er interagiert mit den anderen beiden Johns, den Müttern und Musen. Und die ewig kindliche Alina Cojocaru darf sich mit dem kraftvollen Jacobo Belussi in einem herbstlich-melancholischen Neumeier-Pas-de-Deux zum „September“-Lied aufschwingen.

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Es ist alles gesagt, fast alles getanzt. John Neumeier zieht Bilanz, lässt die blendend aufgestellte, ungemein individuelle Truppe noch einmal vor und um sich herumwuseln, mit großen wie kleinen Schritten, ungemein clever verschränkt, dann wieder klar auseinanderdividiert, oder einzeln schreitend. Er zeigt sein Handwerk, spielerisch, selbst staunend, und freut sich an den Tänzern als Bedeutungsträger wie Instrument, die doch zum Selbstgestalten angehalten sind. Schubert hält das zusammen.

Der Rest ist Jubel eines Publikums, das vielfach mit Neumeier durch fünf Tanzjahrzehnte gegangen ist. Mindestens zwei weitere Hamburger Neumeier-Premieren sind allerdings schon geplant …

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