Es kommt selten vor, dass Kunstwerke, die in einer Sonderausstellung eines Museums hängen, plötzlich abgehängt werden. In der vergangenen Woche passierte das im Kunsthaus Zürich und mit Ansage. Fünf Werke aus der umstrittenen Sammlung des Waffenproduzenten und Mäzens Emil Georg Bührle wurden aus der Ausstellung „Eine Zukunft für die Vergangenheit“ entfernt: Gustave Courbets „Portrait du Sculpteur Louis-Joseph“ (1863), Claude Monets „Jardin de Monet à Giverny“ (1895), Henri de Toulouse-Lautrecs „Georges-Henri Manuel“ (1891), Vincent van Goghs „Der alte Turm“ (1884) und Paul Gauguins „La route montante“ (1884).
Der Stiftungsrat der Stiftung Sammlung E. G. Bührle hatte ihre Werke einer weiteren Provenienzforschung unterzogen. Grund dafür seien die vom US State Department im März 2024 veröffentlichten neuen „Best Practices“-Regeln (eine Erweiterung der „Washingtoner Prinzipien“) zum Umgang mit NS-Raubkunst. Die entfernten fünf Bilder seien Werke, „die unter den Anwendungsbereich der neuen Richtlinien fallen könnten“, so die Stiftung. Ein sechstes Werk, Édouard Manets „La Sultane“ (um 1871) werde als Fall eingestuft, dem gesondert Rechnung zu tragen sei.
Die Stiftung versuchte damit einer Entscheidung der Zürcher Kunstgesellschaft zuvorzukommen, die das vor wenigen Jahren durch den Architekten David Chipperfield erweiterten Kunsthaus Zürich betreibt und Eigentümer der Kunstsammlung ist. Die Sammlung Bührle ist mit gut 200 Werken, darunter Meisterwerke von Renoir, Monet und Cézanne, seit Herbst 2021 als Dauerleihgabe im Kunsthaus zu sehen – und höchst umstritten.
Der in Pforzheim geborene Unternehmer Bührle (1890–1956) war in den 1920er-Jahren in die Schweiz gekommen und später eingebürgert worden. Er machte unter anderem mit NS-Deutschland Geschäfte und investierte sein Vermögen in Kunst. Die Sammlung umfasst insgesamt mehr als 600 Werke.
Sammler Bührle: Profite aus NS-Zwangsarbeit
Der Bührle-Stiftung wurde vorgeworfen, die Provenienzen der Werke nicht einwandfrei daraufhin geprüft haben, ob etwa Gemälde darin sind, die NS-bedingt hinterzogen oder geraubt wurden. Ebenso umstritten ist, ob Bührles Wohlstand teilweise auf Profiten aus NS-Zwangsarbeit beruht. Das Kunsthaus und die Stadt Zürich hatten deshalb unabhängige Untersuchungen gestartet und ein von Raphael Gross geleitetes Forschungsteam mit einer Provenienzrecherche beauftragt. Der Schweizer Historiker Gross ist Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin.
Am 28. Juni 2024 wurde das Ergebnis mit einem 167-seitigen Prüfungsbericht vorgestellt. „Die bisherige Provenienzforschung der Stiftung Sammlung E. G. Bührle ist nicht ausreichend, um den Standards des Museums zu genügen“, so das Urteil des siebenköpfigen Prüfungsteams, das anders als die Stiftung „personenzentriert“ geforscht habe. „Nicht einzelne Werke, sondern Personen stehen im Zentrum dieser Perspektive.“
Bei der Sichtung der Werke sei eine hohe Zahl an jüdischen Vorbesitzern entdeckt worden, die in der bisherigen Forschung der Stiftung „entweder überhaupt nicht erscheinen oder in den veröffentlichten Ergebnissen keine Rolle spielen“. Die deutliche Einschätzung: „Ohne die jüdischen Sammler“, so Gross, „wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen.“ Sie sei „aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte sowohl Teil der Schweizer als auch der jüdischen Geschichte.“
Raphael Gross verbindet seinen Bericht mit drei Empfehlungen. Erstens müsse weitere Provenienzforschung zur Aufklärung des jüdischen Vorbesitzes und des verfolgungsbedingten Entzuges unternommen werden. Zweitens sollte das Kunsthaus Zürich ein „fachlich und biografisch multiperspektivisch“ besetztes Gremium benennen, das „ein Prüfschema für NS-verfolgungsbedingten Entzug entwickeln und dann sowohl für die eigene Sammlung als auch für die Dauerleihgaben anwenden“ müsse.
Drittens empfiehlt Gross dem Kunsthaus Zürich eine „vielleicht auch öffentlich geführte“ Auseinandersetzung darüber, ob die Sammlung nach Emil Bührle benannt sein sollte, denn die Präsentation der Sammlung „nobilitiert seinen Namen und damit seine Sammlung als Ganzes“. Vor dem Hintergrund der Resultate stelle sich nach der Überprüfung die Frage, ob es mit der „moralisch-ethischen Haltung“ eines Museums übereinstimme. „Wenn also die Dauerleihgabe weiter gezeigt werden soll, müsste zumindest deren Benennung öffentlich diskutiert werden“.
Das Kunsthaus Zürich hatte im Jahr 2023 nach anhaltender Kritik entschieden, die Bührle-Sammlung zu zeigen. Die Werke hätten „keinen Anteil an dem unfassbaren Unrecht, das die Nationalsozialisten begangen haben. Sie legen aber Zeugnis davon ab.“ So könnten sie Anlass geben, „den Opfern des NS-Terrors zu gedenken, ihre Schicksale zu evozieren und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg kritisch zu reflektieren.“
Gehört die Bührle-Sammlung besser in ein Geschichtsmuseum?
Dieser verkürzten Sichtweise sei „nicht zu folgen“, so heißt es im Gross-Bericht. Jedes Werk habe eine jeweils eigene Geschichte durchlaufen, von der Entstehungsgeschichte über die verschiedenen Besitzer bis zur gegenwärtigen Ausstellung und Betrachtung. Die Provenienz der Werke stelle die Verbindung zur NS-Geschichte her, dazu gehöre die Geschichte der zahlreichen verfolgten jüdischen Vorbesitzer ebenso wie die Geschichte von Bührle.
Doch warum Bührles Geschichte ausgerechnet anhand eines Teils seiner Sammlung, hervorgegangen aus seiner Sammlertätigkeit in den Jahren 1936 bis 1956, erzählt werden solle, erörtert der Bericht. „Gehört diese Geschichte nicht eigentlich in ein Geschichtsmuseum – etwa in das Schweizerische Nationalmuseum?“ Wenn das Kunsthaus Zürich an der Ausstellung der Bührle-Leihgaben festhalte, müsse es damit rechnen, dass aufgrund der vorliegenden und künftigen Recherchen diese Sammlung „weiter kontinuierlich schrumpfen wird“.