Wenn sich in Film und Fernsehen Menschen zur Feier beispielsweise des Geburtstags einer rüstigen, älteren Dame in deren seit vier Jahrzehnten ästhetisch auf der Stelle tretendem Haus irgendwo in der Provinz zur Familienaufstellung versammeln, kann man sich beruhigt zurücklehnen: Das geht schief.
Fragt sich eigentlich nur noch: Wann geht es schief. Und geht es blutig schief.
Wird also kurioserweise durch das Auspacken sämtlicher Schmutzwäsche richtig reiner Tisch gemacht, oder geht der Krieg aus wie’s Hornberger Schießen und vertagt sich auf den nächsten runden Geburtstag.
„Festen“ für den österreichischen Hausgebrauch
Eigentlich darf man so etwas natürlich gar nicht mehr machen. Eigentlich drehen sich einem schon die Augäpfel nach innen, sobald sie auch nur andeutungsweise davon Kenntnis kriegen, dass wieder mal wer so etwas Ähnliches wie „Festen“ für den Hausgebrauch dreht.
Auch das kann nur schiefgehen. Tut es auch meistens. Manchmal nicht. Und dann sitzt man da und kann es einfach nicht fassen.
Vielleicht kriegen das aber auch wirklich nur die Österreicher hin. Dieses aktive und lustvolle Zertrümmern eines prekären familiären Zusammenhangs, nach allen Regeln des austriakischen Selbsthasses. In Form einer Komödie wohlgemerkt (bei den Deutschen endet so etwas immer in melancholischen Halbtragödien mit Corinna Harfouch in der Hauptrolle).
Ein bisschen ist es gemildert vielleicht in diesem Fall dadurch, dass beim Patchworkfamilien-Katastrophenfilm „Die Notlüge“, weil die ARD koproduzierte, auch Piefkes zuschauen. Und die müssen ja nicht alles sehen.
Weswegen es möglicherweise vom Doppeldebüt von Pia Hierzegger (Drehbuch) und Marie Kreutzer (Regie) noch eine verschärfte Form für den heimischen Markt gibt, die dann wahrscheinlich, um die öffentliche Ordnung nicht zu stören, irgendwann im Sommer zu nachtschlafender Zeit versendet wird.
Das Grazer Geburtstagsdesaster eröffnete jedenfalls eine Fernsehoffensive, mit der man im ORF mit Stadtkomödien auf den Boom der Provinzkrimis antworten wollte.
Ein laufender Scherz wird totgeschossen
Womit wir gleich eine der Eingangsfragen klären können. Es wird geschossen, es stirbt auch wer. Aber keiner aus der Familie. Und die Polizei braucht nicht kommen. Mehr zu verraten, würde einen der in dem Fall tatsächlich laufenden Gags zerstören. An denen herrscht zwar kein Mangel, aber schade wär’s schon um den Scherz.
Zurück zu dem, was tatsächlich der Fall ist. Es ist Sommer. Und das Erste, was wir sehen sind zwei Menschen die mit Mühe einen großen, roten Kühlschrank in ein sorgfältig aus Kuben geschachteltes Designhaus wuchten.
Patricia und Hubert, wissen wir bald (gespielt vom tatsächlichen Schauspielpaar Pia Hierzegger und Josef Hader), heißen sie. Machen beide in Medien. Hubert ist eine berühmte Fernsehnase.
Der Wolfi erbt einfach alles
Der Wolfi begrüßt sie an der Tür, der hat nicht nur einen Freeclimber-Body, sondern ist auch noch ein sonniger, rechter Scherzkeks. Kaum steht der Kühlschrank im Haus, sagt der Wolfi zum Beispiel, das sei ja lustig, alles, was der Hubert nicht mehr brauche, bekomme er. Erst die Frau, dann den Kühlschrank.
Er sei schon, sagt er dann, sehr gespannt, was als Nächstes komme. In dem Moment kommt Teil eins von Wolfis Hubert-Erbe die Treppe herunter, Helga, Huberts Ex (Brigitte Hobmaier). Und die ist hochschwanger.
Sie wollen zum Geburtstag von Huberts Mutti. In die Steiermark, nach Graz (da wo Pia Hierzegger herkommt). Das ganze Patchwork, was eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist.
Katzen, Kampusch, Katastrophen
Weil nämlich der Lucki mitkommt, der ist Wolfis Sohn aus einer, wenn nicht der vorangegangenen Beziehung. Und Kathi und Paula, die Kinder von Helga und Hubert. Und das Ungeborene von Helga und Wolfi. Patricia hat – Hubert hat sie noch gar nicht nach ihrem Kinderwunsch gefragt – nur Katzen.
Stadtkatzen, die nicht rausdürfen. Was ihr später am Grazer Geburtstagstisch den Vorwurf einbringt, denen gehe es damit auch nicht besser als der Kampusch im Keller. Woraufhin dann die Paula fragt, was denn ein Kampusch sei.
Aber wir greifen vor. Oder auch nicht. Weil es so wie mit dem Kühlschrank nämlich weitergeht. Ein bisschen berechenbar, das sei natürlich zugegeben. Aber sehr, sehr lustig.
Man sieht sie alle gern mit offenem Mund herumstehen vor Staunen, was Menschen Menschen in kleinen Familienunternehmen so nolens volens und nebenbei an Gemeinheiten mitgeben können. Sie nehmen sich nichts. Sie sticheln herum. Und sie verstricken sich selbst in einem Netz von Notlügen wie eine Spinne ihre fette Beute.
Los geht’s mit Hubert. Der ist ein Georg mit andern Mitteln, Georg, Josef Haders geschasster Musikkritiker aus seinem Regiedebüt „Wilde Maus“. Der Hubert ist – wahlweise – feiges Arschloch, fieser Verdränger. Man könnt ihn gleichzeitig schlagen und in den Arm nehmen.
Huberts Hauptproblem: Der Medienmann ist der totale Kommunikationsverweigerer. Seiner Mutti hat er natürlich nichts gesagt.
Mutti freut sich ein Loch in den Bauch
Nicht, dass Helga jetzt mit dem Wolfi in seinem Haus (nicht mehr sein Haus, sagt Helga) wohnt, dass Helga jetzt Huberts Auto (nicht mehr sein Auto, sagt Helga) fährt. Von Patricia weiß sie nichts (und Huberts Schwester, die steirisch gekocht hat, nichts von deren Vegetariertum).
Helgas Schwangerschaft hält Mutter dementsprechend für hubertgemacht. Und freut sich ein Loch in den Bauch übers neue Enkelkind.
Da will man ja nicht herzlos sein. Mutti ist schließlich herzkrank. Und spielt heile Familie in Omas Haus, das aussieht, als habe es schon einmal Ulrich Seidl, dem gnadenlosesten Familienanalytiker des nicht nur österreichischen Films, als Mehrkampfstätte gedient.
Geht natürlich schief. Weil es bei der einen Notlüge nicht bleibt. Weil alles, was sich Hubert, der König der Konfliktvermeidung, an Fake Family News zurecht erzählt hat, zusammenkracht. Weil jeder zum Geburtstag ein Paketerl Geheimnisse mitgebracht hat, von dem niemand nichts weiß in der Familie. Und alle Paketerl in einer Kettenreaktion aufploppen.
Man dreht sich gegenseitig derart die Worte im Mund rum, dass man sich als Zuschauer fragt, wie Hubert und Co. überhaupt so viel essen, vor allem trinken können. Manchmal geht Piesacken und Proseccosaufen sogar exakt gleichzeitig.
Eine schauspielerisch hochvirtuose Veranstaltung ist das, hochkomisch, präzise notiert wie im Alltag erlitten, todernst. Man bekommt sie sehr lieb, diese schrecklich nette Familie. Vielleicht sieht man sie ja wieder. Beim nächsten runden Geburtstag von Mutti.
„Die Notlüge“: ARD, Mittwoch, 24. Januar, 20.15 Uhr