WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. Berlinale: Der Wahnsinn beginnt, wenn der Job weg ist – „Wilde Maus“

Film „Wilde Maus“

Der Wahnsinn beginnt, wenn der Job weg ist

Redakteur Feuilleton
„Wilde Maus“ von Josef Hader

Bitterböse erzählt der Kabarettist und Schauspieler Josef Hader in seiner ersten Regiearbeit von privaten Versagensängsten und der Abstiegsfurcht der österreichischen Mittelschicht.

Quelle: N24

Autoplay
Was passiert, wenn einer, der sich für sehr wichtig hält, von seinem Chef gefeuert wird? Auf der Berlinale zeigt Josef Hader in seinem Regiedebüt „Wilde Maus“, wie schnell eine Welt untergehen kann.

Einer der schönsten Effekte einer Achterbahn ist es ja, wenn man mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit, in mehr oder weniger kuscheligen Karren wohlverwahrt durch dickgepolsterte Bügel, einen Hügel hoch rast und oben auf das Nichts zu. Blauer Himmel (wahlweise schwarz und bestirnt), sonst Abgrund. Was aber natürlich nicht stimmt, weil da dann eine Kurve kommt und das einzig Nichtige, was einen da oben erwartet, das ist, was passieren kann. Nichts halt. Man schreit trotzdem. Wider besseren Wissens.

Das ist – auch wenn das komisch klingt – jetzt schon ungefähr die Geschichte von „Wilde Maus“, dem Filmregiedebüt des österreichischen Kabarettisten und Schauspielers Josef Hader. Das hat es tatsächlich und mit Recht und zum Glück in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hat.

„Wilde Maus“ meint dabei gleich zweierlei. Zum einen ist es tatsächlich eine Gattungsbezeichnung für (nicht ganz so) rasante und mittelgroße Vergnügungsbahnen (ohne Inversionen, ohne Überschläge also, freigegeben für Kinder ab sechs Jahren). Ein Exemplar gleichen Namens steht im Wiener Prater und beide – Prater und Maus – spielen eine gewisse Rolle in Haders Durchdrehtragikomödie.

Lange, böse, lustige Reise in den Irrsinn

Zum anderen bekommt der bedeutende Musikkritiker, der da in zunehmender Wildheit durch die Achterbahn seines Lebens rast, aus der er sich geschleudert glaubt, nachdem sein Chefredakteur ihm gekündigt hat, bekommt also dieser Georg schon rein habituell im Verlauf seines Rachefeldzugs eine immer größere Ähnlichkeit mit einem durchdrehenden Nagetier.

Dass Georgs lange und böse und lustige Reise eine in den Irrsinn ist, würde Georg selbst – wenn er den Film sehen würde – schon ahnen, da hat die „Wilde Maus“ das Laufen gerade erst angefangen. Zwar hat ihn der Umgang mit klassischem Kulturgut nicht unbedingt zu einem besseren, zivilisatorisch sozusagen fortgeschritteneren Menschen gemacht. Aber seinen Vivaldi müsste er kennen. Da, am Beginn der „Wilden Maus“, sieht man nämlich einen ziemlich nackten Mann einen verschneiten Hügel hinabrennen, immer schneller läuft er. Vor zwei Männern weg.

Und sehr fein im Rhythmus seiner Sprünge wird eine ziemlich handkantige Version von Vivaldis berühmten Variationen über das im Barock noch berühmtere und gern variierte melodische Modell der „Folia“ geschnitten. Der Georg, denn um den handelt es sich, veitstanzt zu dieser vollendeten Tollheit (so könnte man Folia übersetzen) wie verrückt durch den Schnee. Was dann folgt, ist die Geschichte, wie es soweit kommen konnte. Es ist die Geschichte einer irgendwann nicht mehr aufhaltbaren Selbstverschleuderung eines Mannes aus der kultivierten Komfortzone eines wohlabgesicherten, mittleren Städterlebens.

NUR KOSTENLOS VWB IN ZZH MIT: Berlinale 2017 Wettbewerb - "Wilde Maus" von Josef Hader - AUT 2017 Josef Hader
Schluss mit bürgerlich: Georg (J. Hader) nackt zum Showdown
Quelle: © WEGA Film

Denn eigentlich geht’s dem Georg ja gut. Als Musikkritiker hat er einen Ruf wie Donnerhall (das glaubt vor allem er). Er hat Musiker groß gemacht und Karrieren ruiniert (letzteres vergisst er im Gegensatz zu seinen Opfern gern komplett). Er hat eine feine Wohnung in der Stadt, ein feines Auto mit viel Platz, das in Autoverhältnisse umgerechnet so groß ist wie sein Ego.

Johanna, seine Frau (Pia Hierzegger, die im richtigen Leben die Partnerin Haders ist), hat einen ordentlich Job, sie hilft Menschen, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Anstrengend ist natürlich das Sexualleben, das von einem gewissen Zeugungsdruck geprägt ist. In Johanna tickt laut die biologische Uhr. Sie will Kinder. Georg eher nicht. Das sagt er ihr aber nicht. Wie er ihr natürlich auch nichts sagt, als ihn sein Chefredakteur vor die Tür setzt. Man muss sparen. Print ist eh tot. Musikkritik vermutlich auch, klickt ja keiner. Braucht also auch keiner.

Eine Katastrophe. Jedenfalls für Georg. Eigentlich natürlich nicht. Georg verliert ja bloß seinen Job, nicht seine Bürgerrechte, nicht sein Leben. Oben am Gipfel auch seiner Achterbahn wartet ja nicht der Abgrund. Sondern die Kurve in ein anderes Leben. Georg sieht die Kurve nicht, verpasst auf der Praterinsel nicht nur eine große Freundschaft – zu Erich (Georg Friedrich), einem alten Kumpel, dem er hilft, die Wilde-Prater-Maus neu zum Laufen zu kriegen – sondern auch eine neue Liebe. Alles ist für ihn nur Wahn, überall Wahn.

Showdown in den Bergen

Anzeige

Hader piesackt und zerlegt Georg, diesen bemitleidenswerten seltsamen Heiligen des allgemeinen Mittelstands. Elegant und mit allen Mitteln der Satire. Da läuft nonchalant und unter der Hand zum Beispiel neben wunderbar platzierter Klassik im akustischen und optischen Hintergrund der „Wilden Maus“ eine Nachrichtenton- und bildspur durch. Mit der bringt Hader Georgs Desaster auf seine eigentliche Fallhöhe.

Während Georg nämlich, diese typisch in sich verschlossene Hadersche Untergeherfigur, auseinanderbricht, sich geistig und moralisch beständig abwärts randaliert, bis er bewaffnet und in einer gelben Ludenschleuder zum Showdown in die Berge fährt, zerfällt draußen die Welt. Kümmert aber keinen. Sind alle zu viel mit sich beschäftigt. Und fühlen sich gut in ihrer Wohlmeinendenblase.

Bis was geschieht, das ihr sicheres Selbstbild derart ruiniert, dass sie mit großen Eulenaugen nur noch wie irre um sich schauen. Und es einfach nicht fassen. Und Dinge tun, die man einfach nicht tut. Große tote Fische in den Pool seines Ex-Chefs werfen zum Beispiel. Hader kann das übrigens wie kein zweiter. Irre schauen.

NUR KOSTENLOS VWB IN ZZH MIT: Berlinale 2017 Wettbewerb - "Wilde Maus" von Josef Hader - AUT 2017 Jörg Hartmann, Josef Hader
Scheißdeutsche: Georg (Josef Hader, r.) wird vom neuen Chef, einem Piefke (Jörg Hartmann), gefeuert
Quelle: © WEGA Film

Eigentlich ist „Wilde Maus“, diese elegante, konsequente, Genre mixende Gesellschaftsgroteske, ja schwer zum Aushalten. Wie sich da einer demontiert, den man eigentlich ganz gut kennt, weil er dem im Wesen ziemlich ähnlich ist, den man manchmal morgens rasiert.

Aber lehrreich ist sie halt auch. Hilft brutal gegen Selbstüberschätzung. Lässt einen lachen über den eigenen Narzissmus. Warnt vor dem Aufweichen der Grenzen von Leben und Arbeit. Führt vor, dass Rache, da ist Lorenzo da Pontes Bartolo aus Mozarts „Figaro“ heftig zu widersprechen, eben kein Vergnügen der Weisen ist. Rache ist weder weise noch ein Vergnügen. Rache macht klein. Macht hässlich. Ist ein Gericht, das kalt serviert gehört. Aber halt nicht satt macht.

Der Film wird keinen der Preise kriegen, die er verdient. Weil Komödien nie Preise kriegen auf Filmfestivals. Schon gar nicht in Berlin, wo man mit den Goldenen B��ren zum Lachen gern in sehr tiefe Keller geht. Um so dankbarer ist man für dieses sehr unverhoffte, sehr weise Geschenk.

Die „Wilde Maus“ kämpft um den goldenen Bären

Georg, gespielt von Kabarettist Josef Hader, verliert seinen Job. Der Film „Wilde Maus“ handelt von privaten Versagensängsten und der Abstiegsfurcht der österreichischen Mittelschicht.

Quelle: N24/Sarah Widter

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema