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Film Josef-Hader-Interview

Klassik macht Mittelständler mörderisch

Redakteur Feuilleton
Josef Hader feiert mit „Wilde Maus“ sein Regiedebüt

Georg ist seit Jahrzehnten Musikkritiker einer Wiener Zeitung. Dann aber wird ihm mit sofortiger Wirkung gekündigt. Ein großes Problem: denn mit Mitte 50 bekommt er einfach keinen anderen Job mehr.

Quelle: Majestic

Autoplay
Josef Hader ist einer der berühmtesten Österreicher. Kabarettist, Schauspieler. „Wilde Maus“, sein Regiedebüt, ist jetzt im Kino. Ein Gespräch über Beethoven, Tiefschnee, Terrorismus und dicke Kinder.

Das mit Wien und seinem Lieblingskaffeehaus hat nicht geklappt. Jetzt müssen wir Wien eben in Hannover nachstellen. In der „Holländischen Kakaostube“. Sehr traditionell. „Wilde Maus“, sein Filmregiedebüt, mit dem Josef Hader auf Deutschlandtour ist, der auf der Berlinale lief, ist der erfolgreichste aus Österreich seit Menschengedenken. Ein Musikkritiker, eine wirkliche Instanz, wird darin von seinem (deutschen) Chefredakteur gefeuert. Georg heißt der Kritiker. Hader spielt ihn selbst (das Buch hat er auch geschrieben). Er ist ein lächerlicher Mann, ein Mittelständler, ein Bildungsbürger auf Schussfahrt ins Mörderische. „Wilde Maus“ heißt nicht nur wie eine Achterbahn im Wiener Prater, es ist auch eine. Draußen ist es übrigens ziemlich kalt. Josef Hader hat Husten. Nicht mehr vom Film allerdings. Obwohl er von den Dreharbeiten einen hätte bekommen können. Aber davon später.

Die Welt: Am Anfang, ich gebe es zu, da hatten Sie mich schon gleich, rennt Georg, der geschasste Musikkritiker mit suizidalen Absichten, hakenschlagend und herrlich im Rhythmus einen verschneiten Hang herunter und Il Giardino Armonico spielen eine Art Punkversion von Vivaldis irrwitzigen La-Follia-Variationen. Wie sind Sie denn darauf gekommen?

Josef Hader: Ich wollte als Hauptthema was ganz Zorniges, was – auf gut Deutsch – mit dem Arsch ins G’sicht springt. Das findet sich eher, hatte ich jedenfalls das Gefühl, in der Barockmusik. Zufrieden war ich aber lange nicht mit dem, was ich fand. Auch von Vivaldi nicht. Die Fassung hat dann mein Sohn gefunden.

Die Welt: Vivaldi ist ja nicht allein. Georgs Achterbahnfahrt wird – außer mit Songs der Wiener Band Bilderbuch – vor allem mit Beethoven beschallt. Gibt es eine längere hadersche Klassikgeschichte. Wann ging das los?

Hader: Mit dem Musikunterricht. Erste Klasse im Stiftsgymnasium in Melk. Ich kam ja vom Bauernhof, aus dem Waldviertel. Und da war so eine richtig fette Tonanlage mit Plattenspieler. Das hat so geknistert. Und dann ist die Musik losgegangen, richtig laut. Von dem Moment an hat mich nichts anderes mehr interessiert.

Wilde Maus (Regie: Josef Hader) Regie-Debütant Josef Hader am Set von WILDE MAUS ©Petro Domenigg/Majestic
Eigentlich hatte er nur das Drehbuch schreiben wollen, am Ende machte er alles: Josef Hader bei der Regie-Arbeit am Set der "Wilden Maus"
Quelle: Petro Domenigg/Majestic

Die Welt: Das machte einen, wir sind ungefähr gleich alt, damals relativ einsam ...

Hader: Ich war schon vorher eher so ein einsames Kind. Und habe dann auch mit einem gewissen Trotz die Musik nicht gehört, die Gleichaltrige gehört haben. Da sind wir uns schon ähnlich, der Georg und ich.

Die Welt: Dem armen Kerl nehmen Sie die Arbeit, seine Existenzberechtigung weg. Und jagen ihn auf einer Achterbahn immer tiefer in Schlammassel. Was war denn die Ur-Idee für den Film? Kritikerhass wahrscheinlich nicht.

Hader: Nein. Ein Printjournalist ...

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Die Welt: ... die haben Sie mal als bürgerliche Vorreiter bezeichnet, als „Bergarbeiter des Mittelstands bezeichnet, wo die Gruben alle geschlossen werden“.

Hader: Genau. Der verliert also seine Arbeit und wehrt sich. Von dieser Eskalation zu erzählen, diesem Überschreiten der bürgerlichen Grenzen, das hat mich interessiert. Diese Kombination, dass er seiner Frau seine Entlassung verschweigt und von klassischer Musik zu aufgestachelt wird, des Nachts kleine Terrorakte zu vollführen.

Die Welt: Von Beethoven, genauer gesagt. Der Siebten zum Beispiel. Was man ja eigentlich sehr gut verstehen kann. Aber versteht Georg da dessen revolutionäres Element nicht falsch?

Hader: Wenn ich Beethoven dabei höre, fahre ich zu schnell Auto. Ich finde schon, dass Beethoven einem immer signalisiert, dass man sich mehr oder weniger nichts scheißen soll. Bei Beethoven hat man immer das Gefühl, dass da einer den gordischen Knoten durchschneidet, der, von Mozart und Haydn geknüpft, in Wien herumhängt, und keiner bringt ihn auf. Beethoven schlägt ihn einfach durch und geht bewusst einen anderen Weg. Macht, das mag musikwissenschaftlich jetzt nicht ganz fundiert sein, bürgerliche Kunst. Was ja eine Revolution war damals. Ich weiß auch gar nicht, ob Georg da was falsch versteht. Ich werte ja als Drehbuchautor nicht moralisch, ich bin ein eher freundlicher Insektenforscher, der mit einer gewissen Zuneigung schaut, wozu Menschen fähig sein können. Ich finde es übrigens auch gar nicht so schlimm, was er da macht, das ist im Rahmen der menschlichen Möglichkeiten. Amokläufe finde ich jetzt auch nicht super. Aber wie Georg das macht, dafür habe ich eine gewisse Sympathie.

Wilde Maus (Regie: Josef Hader) "Tatort"- und Theater-Star Jörg Hartmann in Josef Haders Regiedebüt WILDE MAUS ©Wega Film/Majestic
Dass Georgs Chefredakteur (Jörg Hartmann) ein Deutscher ist, macht die Sache auch nicht leichter. Dabei ist er eigentlich ein ganz ein Netter
Quelle: Wega Film/Majestic

Die Welt: Was kann denn Josef Hader in eine Eskalationsspirale schießen? Entlassen werden können Sie ja nicht.

Hader: Ich habe schon Mittel zur Verfügung, wie ich Rückschläge ganz gut verkrafte. Das eine ist, dass ich zur Not das Gefühl der Kindheit abrufe, dass ich zwar alle gegen mich, aber trotzdem recht habe. Das legt man sich zu, wenn man ein dickes Kind war, das ganz schlecht Fußball spielen konnte, in der Schule nicht besonders gut und gesellschaftlich nicht sonderlich integriert war.

Die Welt: Das Programm kenn ich. Wie lang ging das so?

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Hader: Vom sechsten bis zum zwölften, dreizehnten Lebensjahr. Da war ich ein sehr großer Einzelgänger, fühlte mich verkannt. Hatte aber so einen gesunden Trotz entwickelt, dass ich es allen irgendwann mal zeigen würde. Dieses Gefühl kann ich jederzeit abrufen. Das ist das eine. Und das Zweite ist, dass ich zur Not eine stoische Haltung aneignen kann. Ich bin ja nicht so erfolgsabhängig. Jedenfalls nicht so erfolgsabhängig wie Leute, die den Erfolg als einzigen Gradmesser verwenden. Wenn man in ein humanistisches Gymnasium gegangen ist und die richtigen Lehrer hatte, kann man eine philosophische Haltung zum Erfolg entwickeln.

Die Welt: Georg geht es da anders. Der ist einer jener Typen, die irgendwann glauben, sie sind, was sie arbeiten.

Hader: Das ist tatsächlich eine Gefahr. Als Georg entlassen wird und dann noch sehen muss, dass sein Job von jemand vollkommen Unbedarftem erledigt wird, merkt er erst, wie wenig seine Arbeit der Gesellschaft eigentlich wert ist. Wenn ich mal ein schlechtes Kabarettprogramm mache, ändere ich es halt. Oder schreib ein neues. Das ist aber ein ganz anderer Schmerz, der das antreibt, als wenn die ganze Arbeit demoliert wird, weil die Gesellschaft sagt, brauchen wir nicht mehr.

Wilde Maus (Regie: Josef Hader) Kollegen? Konkurrenten? Für die neue Redakteurin (Nora von Waldstätten, li.) und den angesehen Musikkritiker Georg (Josef Hader, re.) wird ihr Job zur Achterbahn in Haders Regiedebüt WILDE MAUS ©Wega Film/Majestic
Dass er gefeuert wird, ist schlimm genug für Georg (Josef Hader). Dass seinen Job eine vollkommen unbedarfte Redakteurin (Nora von Waldstätten) ist aber die eigentliche Demütigung
Quelle: Wega Film/Majestic

Die Welt: Deine Leser sind eh schon alle tot, sagt Georgs Chefredakteur, als er ihn entlässt, sinngemäß.

Hader: Genau. Dann hätte ich auch erhebliche Probleme. Ob ich dann mit meiner Philosophie so weiterkäme, weiß ich auch nicht.

Die Welt: Er könnte ja, statt in diese Eskalationsschleife zu strudeln und sich immer kleiner zu machen, sich an Beethoven ein Beispiel nehmen und eigene Wege gehen.

Hader: Könnte er. Tut er aber nicht. Ihm ist die Bedeutung seines Berufs wichtiger geworden als die Neugier. Der Ursprung von dem, was er in der Zeitung gemacht hat, war ja, denke ich mir, eine Liebe zur Musik. Die Verrisse resultierten am Anfang aus ehrlicher Empörung darüber, dass da jemand seine Musik schlecht gespielt hat. Wenn einem aber das Beurteilen und die eigene Bedeutung plötzlich wichtiger ist als die Musik, landet man irgendwann in so einer Sackgasse.

Die Welt: Diese Sackgasse droht aber nicht nur Musikkritikern.

Hader: Deformiert wird jeder. Auch unter Künstlern gibt es die Gefahr, zu versülzen. Dass man in seiner Bedeutung eingeschlossen ist wie in einem Glas mit Sülze. Umgibt man sich nur mit Menschen, die einem immer nur sagen, wie toll man ist, wächst die Gefahr. Wenn man vor ewig dem gleichen Publikum die ewig gleichen Gedanken abhandelt, wächst die Gefahr. Man muss halt eine Strategie finden. Und meine ist, dass ich mich immer wieder herausfordere, mit Vorhaben, die mich an die Grenzen meines Könnens bringen. Dahin, wo ich auch scheitern könnte. Ich springe nicht weit darüber hinaus, also dahin, wo ich sicher scheitere, so blöd bin ich nicht. Ich versuche immer, so eine Grenze zu finden, wo ich glaube, das könnte sich gerade noch ausgehen.

Wilde Maus (Regie: Josef Hader) Das Missverständnis wird zur handfesten Auseinandersetzung: Georg Friedrich (li.) und Josef Hader (re.) im Regiedebüt des Kult-Kaberettisten: WILDE MAUS ©Ioan Gavril/Majestic
Da haben die beiden, Georg (Josef HaderI und xxxx (Georg Friedrich) die Achterbahn wieder flott bekommen, da prügeln sie sich schon wie die Kids auf dem Schulhof
Quelle: Ioan Gavril/Majestic

Die Welt: Nun könnte man Ihnen auch vorwerfen, Sie arbeiteten gerade an der eigenen Versülzung. Sie spielen vor Mittelständlern kabarettistische Mittelstandssatiren. „Wilde Maus“ ist eine Mittelstandstragikomödie für die gebildeten städtischen Stände, die ihren Kinderwunsch vor dem akustischen Hintergrund fürchterlicher Weltnachrichten diskutieren.

Hader: Ich glaube, dass es besser ist, eine Mittelstandskomödie für Mittelstandsmenschen zu machen, wenn sie ausreichend Möglichkeit enthält, dass diese Mittelstandsmenschen über sich selbst lachen. Das halte ich für sinnvoller, als einen Arthouse-Film für Mittelstandsmenschen darüber zu machen, wie tief die Provinz oder das Proletariat abgesunken ist. Das halte ich einfach deswegen für die künstlerisch weniger wertige Veranstaltung, weil solche Filme Mittelstandsmenschen noch sicherer machen in dem Gefühl, dass sie recht haben, dass sie den besten Menschheitsentwurf verkörpern.

Wilde Maus (Regie: Josef Hader) Eine Achterbahn als Sinnbild des Lebens? - Im Prater versucht Georg (Josef Hader), seinem Leben mit der WILDEN MAUS die rettende Wendung zu geben ©Petro Domenigg/Majestic
Es gibt schon Momente, da könnte er ja glücklich sein. Hält nicht lange vor. Georg hadert lieber mit dem Leben
Quelle: Petro Domenigg/Majestic

Die Welt: Das kann man sich aber eigentlich nicht aussuchen.

Hader: Kann man nicht. Jeder Regisseur, jeder Autor, verhandelt die Dinge, die er durchlebt hat, beispielsweise in der Kindheit. Das sind dann Leute, die eine schwere Kindheit auf dem Land gehabt haben, die kommen in die Stadt und machen ein Leben lang ganz schwere Arthausfilme darüber, wie furchtbar es auf dem Land ist. Und in Cannes sitzen dann die Leute und sagen, dass es ja ganz furchtbar ist auf dem Land. Und in Wien, in den Programmkinos sitzt die liberale Stadtbevölkerung und sagt, es ist wirklich sehr furchtbar auf dem Land. Das ist eigentlich sinnlos.

Die Welt: Hatten Sie denn keine so schlimme Kindheit?

Hader: Nein. Ich bin auch nicht so katholisch obsessiv wie Lars von Trier. Den finde ich besonders lustig, weil diese ganzen liberalen Cineasten sich von ihm quälen lassen müssen mit seinen katholischen Obsessionen. Die müssen sich quälen lassen, die müssen zuschauen, weil es künstlerisch so hochwertig ist, was er macht. Das gefällt mir. Da wird niemand denunziert, da wird das Publikum wirklich herausgefordert. Das wäre der nächste Schritt. So weit würde ich gern kommen, komm ich aber nicht.

Die Welt: Noch nicht. Finster und böse hätte aber auch schon die „Wilde Maus“ werden können.

Hader: Die erste Fassung war sehr tragisch. Ohne Humor. Es war ein richtiger österreichischer Arthaus-Film. Die Frau hatte ein Kind und saß immer mit dem Kind da, und Georg kam heim und belog sie. Die ganze Zeit depressive Stimmung in einer Wiener Bürgerwohnung.

Mit dem Arsch ins G’sicht: Hader als Musikkritiker auf Rachefeldzug
Angeblich war das gar nicht schlimm da im Schnee: Georg (Josef Hader) will sich umbringen. Mit Schlaftabletten und Alkohol einschlafen im Schnee
Quelle: Ioan Gavriel/Wega Film/Majestic

Die Welt: Da haben wir aber Glück gehabt.

Hader: Ja, es war ein richtiger Feelbad-Arthousefilm. Das war aber so weit weg von mir, das wollte ich nicht. Ich wollte einen Schritt weiter als das, was ich bisher gemacht hab, aber nicht fünf Schritte. Irgendwann hab ich dann den Schlüssel gefunden. Bin vom Kind zurück zum Kinderwunsch. Und in dem Moment hatte ich die Idee für die ganze Mittelstandssatire.

Die Welt: Eine Frage noch. Weil man sich ja Sorgen macht. Wie war das im Schnee. Georg will sich ja umbringen und sitzt dann in Boxershorts im Tiefschnee da, eine Flasche Whisky mit Schlaftabletten drin. Als er entdeckt wird und das mit dem Umbringen nicht klappt, rennt er, wie erwähnt, den Hügel runter in den nächstgelegenen Winterwald. Hatten Sie zum Auftauen einen Whirlpool nebenan stehen?

Hader: Natürlich nicht. „Wilde Maus“ ist ein österreichischer Film. Da ist das etwas sparsamer gestaltet. Da war so ein Kleinbus. In dem hatten wir einen Gasbrenner drin. Die Fenster waren einen Spalt offen. Ich konnte mich immer entscheiden, ob ich mehr Sauerstoff haben wollte oder mehr Hitze. Durch kniehohen Schnee rennen war übrigens gar nicht schlimm, auch das Hineinfallen in den Schnee nicht. Sich danach auf die kalten Autositze zu setzen und wegfahren, das war schon unangenehm.

Die Welt: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hader. Und gute Besserung.

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Anfang der 30er Jahre ist Stefan Zweig neben Thomas Mann der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller der Welt. Als die Nazis auch seine Existenz bedrohen, geht Zweig mit seiner Frau ins Exil.

Quelle: X-Verleih

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