Die einen schauten Netflix, die anderen kauften per Online-Versand Naturweine oder ein neues Sofa. Daniel Brühl, 43, spielte Tennis. „Das hatte eine antidepressive Wirkung“, sagt der Schauspieler. „Es ist ja auch ein pandemiefreundlicher Sport – an der frischen Luft, mit großem Abstand und nur zwei Personen. Meinem Kumpel und mir hat diese Routine sehr geholfen. Selbst bei Minusgraden waren wir fast jeden Tag auf dem Platz. Dann halt mit Skiunterwäsche.“
Brühl sitzt im Berliner Hotel „Das Stue“, in der Pause einer Fotoproduktion, wo er für die italienische Luxus-Kaschmir-Marke Loro Piana fotografiert wird. Genau genommen wirbt er für deren Sweater Jacket, ein Hybrid-Kleidungsstück, das die Anschmiegsamkeit einer Strickjacke mit der Eleganz eines Sakkos verbinden will. An sich kein großes Ding: Schauspieler werben für Produkte, zu denen ihr Image oder ihr Gesicht passt, und haben so einen kleinen Nebenverdienst. Die Marken profitieren von der Prominenz ihrer sogenannten Partner. Bei Brühl ist es, wie oft, ein bisschen komplizierter. Und sympathischer.
Unter den deutschen Schauspielern seiner Generation, die grob gesagt von Til Schweiger über Matthias Schweighöfer bis Elyas M’Barek reicht, ist er der Ernsthafte und Normale. Berühmt wurde er 2003 mit dem Film „Good Bye, Lenin!“, der bis heute, zumindest aus der Sicht des westdeutschen Autors dieses Artikels, wie eine Blaupause für einen gesunden Umgang mit der Wiedervereinigung gelten könnte: humorvoll, zart, sogar ein bisschen nostalgisch. Brühl spielte den Sohn einer Mutter, die im Koma die Wende verpasst hatte und der er die Nachricht nicht zumuten wollte, dass die DDR verschwunden war. Der Film fand über sechs Millionen Zuschauer, gewann diverse Preise, veränderte Brühls Leben und gab ihm in gewisser Weise auch ein Thema.
Treffen sich zwei Nachbarn in einer Kneipe
„Als meine Freunde noch studierten und jobbten, drehte ich schon Filme und konnte mir eine eigene Wohnung im Prenzlauer Berg leisten“, sagt er. „Ich war einer von denen, über die man redete.“ Was er meint, ist die viel gescholtene Übernahme und Verbürgerlichung von Berliner Stadtteilen wie Prenzlauer Berg oder auch Kreuzberg, für die ein Schauspieler, der von der Limousine zum Rote-Teppich-Event oder zum Flughafen gebracht wird, natürlich der perfekte Protagonist ist.
Genau das ist auch das Thema seines Regiedebüts „Nebenan“, den Daniel Brühl während der Pandemie gedreht hat. Das Drehbuch hat Daniel Kehlmann geschrieben, der erste Drehtag fiel auf den Beginn des ersten Lockdowns im März 2020, die Geschichte erzählt die Begegnung zwischen einem erfolgreichen Schauspieler und einem Nachbarn. Zufällig (oder auch nicht) treffen die beiden in der fast leeren Kiezkneipe „Zur Brust“ aufeinander, und es stellt sich heraus, dass der Nachbar weit tiefer in das Leben des anderen eingedrungen ist, als es diesem lieb ist. „Der hat eine totale Filmaffinität“, sagt Brühl über Kehlmann, mit dem er seit langem befreundet ist: „Was er bei ‚Nebenan‘ mit den Dialogen gemacht hat, wie er die Schraube ständig angezogen hat, wie er über 90 Minuten die Spannung hält, das ist echte Kunst“. Und den Hauptdarsteller hat er auch nicht geschont. Brühl spielt einen Lässigkeitsdarsteller, der perfide nah dran ist an seinem Image.
Diesen performativen Perfektionismus spürt man auch im Gespräch. Wie Brühl scheinbar zufällig zum Du wechselt, wie er gleich zu Anfang ein kurioses Bild produziert (der Filmstar in Skiunterwäsche), wie er ungefragt zu einem seiner Standardthemen wechselt, das gleichermaßen charmant wie unverfänglich ist: seine spanische Tapas-Bar und die spanische Küche im Allgemeinen. Einer der Gründe nämlich, warum man sich in jenem Hotel treffe, sei der Sternekoch Paco Pérez, der hier mal Küchenchef war. „Er kam zu uns und hat versucht, High-End-Tapas mit mir zu kochen. Da habe ich kläglich versagt. In seiner Küche würde ich keinen Tag überleben.“
Brühl ist niemand, der sich gern verkleidet
Diese Rolle, der Normalo, der souverän und selbstironisch damit umgeht, dass er einer ist, liegt Brühl. Er sagt Dinge wie „Holla, die Waldfee“ oder dass er mit dem Film „Nebenan“ die „Hose runterlassen“ wollte. Denn dass man auf der einen Seite einen Film über die sozialen Spannungen in Berlin dreht und andererseits ganz klar auf der Gewinnerseite steht, sei ja offensichtlich. Die Werbung für eine Kaschmir-Jacke (die Schurwolle-Version der Sweater Jacket kostet 8500 Euro) kann man also fast programmatisch verstehen. Zumal sie stilistisch, um im Jargon zu bleiben, zu Daniel Brühl passt wie die Faust aufs Auge.
„Bei den italienischen Marken wie Loro Piana schätze ich, dass es nicht in den Bling-Bling-Chichi-Bereich geht“, sagt er, was eine Donatella Versace sicher gar nicht gern hören würde. Als Schauspieler gehöre ein vernünftiger Auftritt zu seinem Job, aber er mag sich halt nicht verkleidet fühlen: „Auf der Kleiderstange heute hing zum Glück nichts, was ich nicht auch gern tragen würde. Sachen, in denen ich nicht eckig und komisch rumstehe.“ Während andere Kollegen jeden roten Teppich als Bühne für modische Extravaganzen nutzen, bleibt Daniel Brühl auch dort in seiner Rolle.
Was ihn interessiert, sind die Klassiker der Herrenmode: die Anzüge seines spanischen Großvaters oder, als etwas jüngerer Mann, der stilsichere, aber nicht superflamboyante Look von Britpop-Stars wie Damon Albarn oder Jarvis Cocker. Und wenn er mal etwas aus seinen Rollen mit ins Privatleben nimmt, sind es nicht Niki Laudas Schlaghosen aus „Rush“, sondern die maßgefertigten Schuhe aus dem 20er-Jahre-Drama „Was nützt die Liebe in Gedanken“, die er sich sogar noch mal nachbauen ließ, als das erste Paar auseinanderfiel.
Was hat ihm die Pandemie außer Tennis noch gebracht? Auch Brühl verspürt die grassierende Stadtmüdigkeit und will eine Zeit in Spanien auf dem Land zu verbringen. In welcher Gegend? Das möchte er, dabei freundlich zum Sie zurückkehrend, lieber für sich behalten.
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