Eine Bemerkung eines Gastes nach dem Essen hat mich unlängst dazu gebracht, einmal grundsätzlich über die in der Spitzengastronomie verbreitete Mode nachzudenken, nur noch alles mit den Fingern zu essen. Dieser Gast, nebenbei bemerkt ein Food-Journalist, fand es nämlich, wie er es bezeichnete, sehr erfreulich, bei mir „endlich mal wieder mit Messer und Gabel zu essen“.
Er sei oft kulinarisch unterwegs und hatte das Gefühl, überall nur noch mit den Fingern essen zu müssen. Das sei eben guter Ton heute. Ich habe daraufhin über das Thema aus den verschiedensten Perspektiven nachgedacht. Kulturell gibt es dazu auf der ganzen Welt sehr unterschiedliche Techniken und Traditionen. Bei uns sind Messer und Gabel Teil des Zivilisationsprozesses, aber ist diese Art von Besteck vielleicht anderswo verpönt?
Die ersten modernen Gerichte, die man mit den Fingern aß, habe ich 2002 im „El Bulli“ bei Ferran Adrià nahe dem katalanischen Ort Roses erlebt. Das war damals in Europa, abgesehen vielleicht von Kanapees, komplett neu. Noch bewusster ist es mir dann im „Noma“ bei René Redzepi in Kopenhagen geworden, bei dem man ein Ochsen-Tartar mit Wacholderstaub ohne Besteck serviert bekam. Es war trocken gereiftes Fleisch, das ohne Ei angemacht war und nicht auseinander fiel, wenn man es durch den Staub zog. Im selben Menü wurde auch ein Langustinenschwanz mit einer Austernemulsion und der Anweisung serviert, ihn doch bitte mit den Fingern zu genießen. Mich hat das damals irritiert, weil ich das so nicht kannte. Gleichzeitig war es auch beeindruckend, auf diesem Niveau mit den Fingern zu essen.
Bei mir im Restaurant serviere ich viele Amuse-Bouches so, dass man sie ohne Besteck isst, etwa meine gefüllte japanische Waffel. Allerdings ist es dabei unerlässlich, unseren Gästen dazu ein warmes Oshibori-Tuch zu reichen, mit dem sie sich die Finger abwischen können. Auch die viele Jahre verschwundene Finger-Bowl mit Wasser und einer Scheibe Zitrone feiert gerade ein Comeback. Denn genauso wie Froschschenkel wieder auf die Karten kommen, braucht es natürlich etwas, um die Finger zu reinigen. Das Gleiche gilt für Austern, die genauso wieder en vogue sind.
In einem japanischen Top-Sushi-Restaurant ist das Essen mit den Fingern wiederum geradezu Pflicht. Wenn der Meister dir nach und nach auf einer Granitplatte seine frisch geformten Nigiri einzeln serviert, die man traditionell mit drei Fingern greift, wäre es ein kultureller Affront, nach Stäbchen oder, Gott bewahre, Messer und Gabel zu verlangen. Auch in Marokko wird ein Schmorgericht aus der Tajine traditionell mit Fladenbrot und den Fingern gegessen, das Gleiche gilt für die indische Küche.
Nur in unserem westlichen Kulturkreis hat das Besteck einen so hohen Stellenwert erreicht, der aber teilweise auch schon wieder schwindet: Selten werden in Restaurants heute noch Fischbesteck, Hummergabeln oder Schneckenzangen eingedeckt. In meiner Prüfung zum Küchenmeister musste ich diese noch einwandfrei ihrer Verwendung zuordnen können. Dafür haben in manchen progressiv orientierten Restaurants Pinzetten und Piekser Einzug gehalten.
Ich bin da vielleicht etwas konservativ eingestellt, aber wenn man über ein ganzes Menü nur noch Häppchen mit den Fingern, der Pinzette oder auf Spießen serviert bekommt, geht doch auch ein gutes Stück Tafelkultur verloren. Klar, so spart man sich Besteck und oft auch das Porzellan. Aber das darf nicht der Beweggrund sein. Ich freue mich nach etwas Fingerfood über jedes Gericht, das man mit einer schönen Sauce aus einem tiefen Teller löffeln kann. Die Balance macht wie immer den Unterschied.