Zehn Plätze, 20 Gänge für 400 Dollar und über Wochen ausgebucht: Schon kurz nach der Eröffnung zählt das „Yoshino“ zu den gefragtesten Restaurants in Manhattan. Das Menü folgt dem Omakase-Prinzip: Es wechselt ständig, und allein der Chefkoch entscheidet, was auf den Tisch kommt. Zum Interview hat Inhaber Tadashi Yoshida einen Dolmetscher bestellt. Während er über seine Antworten nachdenkt, reibt er sich die Stirn.
ICONIST: Herr Yoshida, entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Wird man in Ihrem Restaurant noch reingelassen, wenn man zu spät zum Omakase-Dinner kommt?
Tadashi Yoshida: Bei mir ja. 15 Minuten lasse ich den Gästen Zeit, wer später kommt, verpasst den ersten Gang.
ICONIST: Im „Yoshino“ gibt es nur zehn Plätze. Warum dieses intime Setting?
Yoshida: So bekomme ich genau mit, wie es den Gästen schmeckt und wie sie reagieren. Auf diese Art anwesend zu sein und dabei Sushi zuzubereiten, dafür sind zehn Plätze das Limit.
ICONIST: Manche Menschen macht es nervös, wenn der Koch sie stets im Auge hat.
Yoshida: Ich bin auch nervös! Ich treffe die meisten Gäste immerhin zum ersten Mal. Aber am Ende eines Dinners sind alle entspannt und glücklich.
ICONIST: Nennen Sie drei Regeln für eine erfolgreiche Omakase-Erfahrung.
Yoshida: Natürlich sollte man die anderen Gäste nicht stören, man sollte nicht telefonieren, ansonsten gibt es keine strengen Regeln. Man darf mit Stäbchen oder mit den Fingern essen. Die Gäste, die hierherkommen, wissen aber auch, was erwartet wird. Keiner fläzt sich breitbeinig zurückgelehnt in den Stuhl.
ICONIST: Darf das Essen fotografiert werden?
Yoshida: Das ist erlaubt.
ICONIST: Fotografieren die Gäste jede Speise?
Yoshida: Oh ja. Jede.
ICONIST: Ist Ihre Küche traditionell japanisch aufgebaut – mit einer Station für kalte Speisen und Sushi, einer für die Zubereitung mit Flüssigkeiten und einer für Gegrilltes?
Yoshida: Ja, auch die offene Küche hinter der Theke ist traditionell. Heute gibt es das in vielen Restaurants, aber ich glaube, dass Sushi-Chefs mit die Ersten waren, die so gearbeitet haben.
ICONIST: Im letzten Jahrzehnt haben sich viele Köche an den japanischen Traditionen orientiert. Empfinden Sie das als Bedrohung oder als Kompliment?
Yoshida: Ich sehe Esskultur global. Ich selbst binde Elemente aus der westlichen Küche ein. Und als Japaner macht es mich glücklich, wenn Traditionen aus meiner Heimat in anderen Küchen Platz finden.
ICONIST: Betritt man einmal diesen schmalen, fensterlosen Raum, fühlt man sich wie in Japan. Ist das beabsichtigt?
Yoshida: Ja, damit es authentisch ist, haben wir eine Kassettendecke aus Hinoki-Holz eingezogen, die für die japanische Tempelarchitektur typisch ist. Die Bar ist aus demselben 300 Jahre alten Holz gefertigt, und die Wand ist dunkelgrüne Tsuchikabe, sandiger Lehmputz.
ICONIST: Sie haben Ihr Restaurant in Japan geschlossen, um eines in New York aufzumachen. Ist das die Fortsetzung Ihrer Karriere oder ein Neuanfang?
Yoshida: Zuerst arbeitete ich im Sushi-Restaurant meines Vaters in der Präfektur Gifu, dann hatte ich mein eigenes Restaurant in Nagoya. Für mich ist dies das dritte Kapitel meines Lebens, in Zukunft wird es weitere geben. Es ist wichtig, sich immer wieder selbst herauszufordern. Wenn man damit aufhört, ist alles zu Ende.
ICONIST: Warum New York?
Yoshida: Im Omakase-Setting agiert man wie auf einer Bühne. Für mich ist ein Sushi-Meister nicht nur Koch, sondern auch Entertainer. Und dafür ist New York der richtige Ort. Natürlich gibt es Meister, die in aller Stille arbeiten und nicht performen, aber das ist nicht mein Stil.
ICONIST: Hat die Reihenfolge der Gerichte einen dramaturgischen Bogen?
Yoshida: Ich sehe das Menü als Geschichte, die ich erzähle. Die erste Vorspeise ist eine Einführung, und langsam gehe ich von frischen zu intensiveren Aromen über.
ICONIST: Manche sagen, die Zeit des Sushi sei vorbei. Was können Sie Neues hinzufügen?
Yoshida: Schon in Japan habe ich Sushi immer weiterentwickelt und mich nicht an die Klassiker gehalten. Ich will diese Originalität in New York noch weiterbringen. Nach dem Lockdown wissen die Gäste Omakase mehr zu schätzen denn je.
ICONIST: Alle Aufmerksamkeit liegt auf Ihren Händen, wenn Sie das Sushi formen. Wie pflegen Sie sie?
Yoshida: Am Ende des Abends tauche ich die Fingerspitzen in eine Chlorlösung, um auch die letzte Spur von Tintenfisch-Tinte hinter den Fingernägeln herauszuwaschen. Danach schrubbe ich sie mit einer hartborstigen Tawashi-Bürste. Bevor ich schlafe, reibe ich sie mit Vaseline ein, damit sie geschmeidig bleiben.
ICONIST: Für welche Kreation kennt man Sie?
Yoshida: Für Saba-Sushi, eine kurz von Hand mit Binchōtan-Kohle angegrillte Makrele.
ICONIST: Sie arbeiten auch mit Trüffel, Leber, Zwiebeln und anderen Lebensmitteln, die man eher der französischen Küche zuordnen würde.
Yoshida: Im Alter zwischen 18 und 27 habe ich in Tokio bei einem Sushi-Meister gelernt, der auch ein französisches Restaurant betrieb. Manchmal habe ich dort ausgeholfen. Ich bringe viel von dem, was ich dort gelernt habe, in meine Art des Kochens ein. Es reicht nicht, etwas Trüffel über ein Gericht zu reiben, man muss ein tieferes Verständnis für die französische Küche und ihre Aromen haben.
ICONIST: Gibt es eine Zutat, die Sie in letzter Zeit für sich neu entdeckt haben?
Yoshida: Rohes Ei! Ich habe eine Farm in New Jersey entdeckt, die eine besondere Hühnerrasse hat und die Eier wie in Japan pasteurisiert, sodass ich keimfreie rohe Eier verarbeiten kann. Das war eine Wiederentdeckung für mich. Bei dem Gericht, das ich anbiete, gießt man das rohe Eigelb über den Reis. Dazu gibt es gegrillten Fisch.
ICONIST: Wie sieht Ihre tägliche Routine aus?
Yoshida: Ich stehe um sechs Uhr auf. Die Arbeit im Restaurant startet um neun Uhr, aber ich bin schon früher da. Ich schaue nach, ob der Müll, den wir abends hinausgetragen haben, abgeholt wurde und es vor dem Lokal ordentlich aussieht. Dann setzen wir die Dashi-Brühe an und überprüfen die Fischlieferungen, die in der Nacht aus Japan angekommen sind. Um 17.30 Uhr beginnt das erste Omakase-Dinner, und um 20.30 Uhr das zweite. Um halb ein Uhr nachts bin ich zu Hause.
ICONIST: Ist es in Japan oder den USA schwieriger, Anerkennung als Koch zu finden?
Yoshida: Wenn ich hier ein Sushi serviere, sagen die Gäste jedes Mal „Thank you, chef“. Das würde man in Japan nicht hören.
Tadashi Yoshida, Sushi-Meister: In seinem Heimatland Japan zählt Tadashi Yoshida zu den angesehensten Köchen. Er gilt als Shokunin, also als vollendeter Meister, der sich seinem Fach mit größter Hingabe widmet. Mit 52 schloss er sein Restaurant in Nagayo, um in New York noch einmal neu anzufangen.
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