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  4. Nikita Chruschtschow: Stalins Exekutor scheitert mit Berlin-Ultimatum

Kopf des Tages Nikita Chruschtschow

Woran Stalins Nachfolger bei seinem Berlin-Ultimatum scheiterte

1958 fühlte sich der starke Mann der KPdSU obenauf. Deshalb setzte Nikita Chruschtschow dem Westen am 27. November eine Frist von sechs Monaten, Berlin preiszugeben. Doch er verkalkulierte sich, vor allem aus einem Grund.
Leitender Redakteur Geschichte
Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow hält lachend eine 2-Liter-Flasche Enzian im Arm. Die Flasche hatte er auf einem Buffet-Tisch, der auf der Moserbodensperre für die Gäste errichtet worden war, entdeckt. Chruschtschow hat am 5. Juli 1960 während seines Österreich-Besuchs das Kraftwerk Kaprun besichtigt Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow hält lachend eine 2-Liter-Flasche Enzian im Arm. Die Flasche hatte er auf einem Buffet-Tisch, der auf der Moserbodensperre für die Gäste errichtet worden war, entdeckt. Chruschtschow hat am 5. Juli 1960 während seines Österreich-Besuchs das Kraftwerk Kaprun besichtigt
27. November 1958: Ministerpräsident Nikita Chruschtschow (1894 bis 1971) setzt den Westmächten eine Frist
Quelle: picture-alliance / dpa

Es war eine Drohung mit Ansage; so sollten wohl die Empfänger in Unruhe versetzt werden. Am 10. November 1958 hatte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow im Moskauer Sportpalast gefordert, „eine normale Lage in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen“. Zehn Tage später gab die Regierung bekannt, demnächst werde eine Erklärung zur Berlin-Frage folgen.

Doch erst einmal folgte – nichts: keine Note an die drei westlichen Schutzmächte der geteilten Stadt, keine weitere Rede des Kreml-Herrn, nicht einmal substanzielle Spekulationen. Erst mit der Einladung an westliche Korrespondenten zu einer Pressekonferenz in den Kreml am 27. November änderte sich das. Derlei kam relativ selten vor; freie Medien rangierten im Verständnis der KPdSU-Funktionäre ziemlich weit unten.

Der sowjetische Politiker Nikita Chruschtschow hält eine Rede zu den Arbeitern bei FIAT Österreich. Juli 1960.
Auch als mächtigster Mann der UdSSR blieb Chruschtschow immer tölpelhaft
Quelle: picture alliance / IMAGNO/Votava

Vor dem Erscheinen des Ministerpräsidenten händigten Mitarbeiter der Regierung den Journalisten der Text einer Note aus, die zeitgleich den Regierungen in Washington, London und Paris sowie Bonn übergeben wurde. Darin hieß es: „Die Frage Berlins, das im Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik liegt, dessen westlicher Teil jedoch als Folge fremder Besetzung von der DDR getrennt ist, berührt zutiefst nicht nur die nationalen Interessen des deutschen Volkes, sondern auch die Interessen aller Völker, die einen dauerhaften Frieden in Europa schaffen wollen.“

Es folgten diplomatisch verbrämte Ausführungen zu den Zielen der Sowjetunion, bevor die Note dann zum Kern kam: „In Anbetracht dessen beabsichtigt die sowjetische Regierung, im Laufe eines halben Jahres keine Änderung des gegenwärtig bestehenden Modus für militärische Transporte der USA, Großbritanniens und Frankreichs aus West-Berlin in die Bundesrepublik vorzunehmen. Sie erachtet diese Frist als vollkommen ausreichend, um eine gewisse Grundlage für die Regelung der Fragen zu finden, die mit der Änderung der Lage Berlins zusammenhängen.“

Soviet prime minister Nikita Chruschtschow at press conference in Paris on 18 May 1960.
Chruschtschow neigte zu wenigstens verbaler Gewalt
Quelle: picture-alliance/ dpa

Sollte in diesen sechs Monaten jedoch keine Übereinkunft erzielt werden, werde die Sowjetunion der DDR die Regelung des Zugangs zu West-Berlin vollständig übertragen. Alliierte Sonderrechte würden dann nicht mehr akzeptiert. Ein diplomatischer und politischer Affront. Chruschtschow versuchte, den Westmächten die Aufgabe ihrer Position in West-Berlin aufzuzwingen und drohte indirekt, das Potsdamer Abkommen von 1945 aufzukündigen.

In der Pressekonferenz präzisierte der Ministerpräsident seine Forderungen: „Es wäre sehr unerfreulich, wenn die Regierungen, die es betrifft und an die wir uns wenden, mit unseren Vorschlägen nicht einverstanden wären. Sollte aber diese unerwünschte Erscheinung eintreten, so wird uns das nicht abhalten.“ Das war nichts weniger als ein eindeutiges Ultimatum.

Nikita Chruschtschow fühlte sich fraglos stark an diesem Donnerstag. Seit dem erfolgreichen Start des ersten Satelliten „Sputnik“ im Oktober 1957 schien die Sowjetunion beim Kräftemessen mit den USA im Vorteil. In den folgenden Monaten versuchten die Kommunisten gleichzeitig, das SED-Regime in ihrer Besatzungszone zu stabilisieren und die Bundesrepublik aus dem westlichen Bündnis herauszubrechen – doch beides ohne Erfolg. Also griff der 64-jährige Machthaber zu dem Mittel, das er ohnehin bevorzugte: brachiale verbale Gewalt.

Geboren 1894 als ethnischer Russe in der östlichen Ukraine, machte Nikita Chruschtschow eine Lehre zum Schlosser und gehörte als Facharbeiter bereits zur privilegierten Schicht im schwächelnden Zarenreich. Bald nach der Oktoberrevolution 1917 trat er der Kommunistischen Partei bei und kämpfte im Bürgerkrieg. Seit 1921 vor allem Funktionär, wurde er zum Schützling von Lasar Kaganowitsch, der wiederum einer der engsten Vertrauten von Josef Stalin war. Drei Jahre später übernahm Chruschtschow als Bezirksparteisekretär erstmals größere Verantwortung und erwies sich als rücksichtsloser Funktionär und Stalin-Unterstützer. Doch für eine steile Karriere reichte das noch nicht.

Die begann, als Stalins Ehefrau Nadeschda Allilujewa, die Chruschtschow aus Kursen an der Arbeiterfakultät kannte, ihn ihrem Mann vorstellte. 1931 wurde er nach Moskau berufen, anderthalb Jahre später war er Parteichef der Hauptstadt, anschließend Mitglied der Zentralkomitees. Dabei halfen ihm vor allem die Hetzreden gegen Stalins Konkurrenten Leo Trotzki, den er als „Judas“ bezeichnete.

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Als treuer Vasall Stalins ging seine Karriere weiter, indem er Funktionen übernahm, deren bisherigen Inhaber Opfer des Großen Terrors geworden waren – zuerst als Kandidat des Politbüros, dann als Parteichef der Ukraine. Mit dem bewusst herbeigeführten millionenfachen Sterben der ukrainischen Bauern im Holodomor hatte er zwar nicht direkt etwas zu tun, er unterstützte aber Stalins Politik, die dazu führte.

Inzwischen war Chruschtschow einer der wichtigsten Funktionäre der KPdSU außerhalb Moskaus. Zu seinen Aufgaben zählte 1939/40 die Eingliederung des annektierten Ostpolens. Der deutsche Angriff 1941 spülte Chruschtschow als Frontkommissar nach Stalingrad, wo er die Haltebefehle seines Herrn in Moskau rücksichtslos exekutierte.

Weil er Stalin trotzdem nicht gefährlich werden konnte, stieg er 1949 in Sekretariat des ZK auf, unter anderem erneut als Parteichef von Moskau. Nach dem Tod des Diktators 1953 stand Chruschtschow auf dem vierten Platz der Hierarchie. KGB-Chef Lawrenti Beria wurde bald von den Stalin-Diadochen gestürzt, und Chruschtschow rückte nun auf Platz drei vor, hinter Georgi Malenkow und Nikolai Bulganin.

In diesem Triumvirat setzte sich Chruschtschow, inzwischen offiziell Parteichef der KPdSU, unter anderem durch seine „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag 1956 durch: Er stürzte den Säulenheiligen Stalin und setzte ein (zeitweiliges) Tauwetter in den kommunistischen Diktaturen durch, griff aber im Oktober brutal in Ungarn durch. Malenkow und Bulganin scheiterten 1957 mit einem versuchten Putsch gegen Chruschtschow, der nun auf dem Höhepunkt seiner Macht stand.

Und gleich in Turbulenzen geriet. Denn die westlichen Mächten wiesen Chruschtschows Forderungen kühl zurück, ignorierten sein sorgfältig inszeniertes Berlin-Ultimatum faktisch. Die Erpressung misslang, weil sich die vorgesehenen Opfer nicht erpressen ließen. Im Mai 1959 verstrich die gesetzte Frist, ohne dass Nennenswertes geschah.

Noch hielt sich der Parteichef, doch seine Machtbasis bröckelte. Nach dem Bau der Berliner Mauer und der Niederlage der UdSSR in der Kubakrise jedoch stürzte ihn im Oktober 1964 sein eigener Kronprinz Leonid Breschnew. Nikita Chruschtschow verbrachte die restlichen knapp sieben Jahren seines Lebens zurückgezogen bei Moskau.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2021 veröffentlicht.

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