Zuerst fiel der Strom aus. Mitten in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 1948 lieferte das Großkraftwerk Zschornewitz, 120 Kilometer südlich Berlins inmitten des brandenburgischen Braunkohle-Tagebaus Golpa gelegen, plötzlich keine Energie mehr. Die wenigen Kraftwerke in den drei westlichen Sektoren Berlins, vor allem das nach Beseitigung der Schäden durch Demontagen gerade erst wieder in Betrieb genommene Kraftwerk West an der Spree im Ortsteil Siemensstadt, konnten die Versorgungslücke nicht schließen: Die Lichter gingen aus.
Am folgenden Morgen wurden der Güterzugverkehr und die Binnenschifffahrt unterbrochen sowie die Fernstraßen nach Hamburg, Hannover und Nürnberg. Den Grund gab eine scheinbar unverdächtige Meldung an, die der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst nur kurz zuvor herausgab. Die von der SED beherrschte Nachrichtenagentur teilte mit: „Die Transportabteilung der sowjetischen Militärverwaltung sah sich gezwungen, aufgrund technischer Schwierigkeiten den Verkehr aller Güter- und Personenzüge von und nach Berlin einzustellen.“
So begann die Blockade West-Berlins, die erste große Schlacht des Kalten Krieges. 322 Tage lang, bis zum 12. Mai 1949, blieb der Waren- und Personenverkehr von Westdeutschland in die westlichen Sektoren Berlins unterbunden. Möglich war weiterhin der Übertritt der West-Berliner in den Ostsektor, der von der Roten Armee beherrscht und in ihrem Auftrag von der SED verwaltet wurde.
In diesem Übertritt bestand sogar der eigentliche Zweck der Blockade: Die Einwohner des amerikanischen, des britischen und des französischen Sektors sollten so gezwungen werden, sich in Ost-Berlin zu versorgen (und dafür Lebensmittelkarten bei den SED-kontrollierten Bezirksbehörden zu beantragen). Auf diese Weise wollte Stalin, der die Blockade angeordnet hatte, die Legitimation der alliierten Truppen tief in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) delegitimieren.
Es war beileibe nicht der erste derartige Zwischenfall. Schon seit Sommer 1945 stichelten die sowjetischen Militärverwaltung, kurze Zeit später auch die durchweg von Kommunisten beherrschte Stadtverwaltung gegen die Alliierten und die Bezirksämter in den drei westlichen Sektoren. Nach der krachenden Wahlniederlage der SED am 20. Oktober 1946, als die SPD die absolute Mehrheit nur knapp verfehlte, die CDU auf 22 Prozent kam und die SED trotz massiver Unterstützung durch die Sowjets mit 19,8 Prozent nur den dritten Rang erreichte, verschärfte sich die Konfrontation zunehmend.
Am 30. März 1948 verkündete der sowjetische Vizegouverneur, der alliierte Bahn- und Fahrzeugverkehr zwischen Berlin und den Westzonen werde ab dem 1. April kontrolliert, das heißt: behindert. Darauf starteten die Alliierten am 2. April eine Serie von Transportflügen nach West-Berlin.
Doch am 5. April 1948 rammte ein sowjetischer Jäger ein britisches Passagierflugzeug beim Landeanflug. Es war keine Absicht gewesen, doch der Grund lag eindeutig in dem Einschüchterungsversuch des Jagdpiloten. 15 Menschen kamen ums Leben. Auch der Paketverkehr wurde zwangsweise eingestellt.
Es war ein Kräftemessen zwischen den drei westlichen Mächten und Stalin, und skrupelloser war eindeutig der sowjetische Machthaber. Würden die USA, Großbritannien und Frankreich wirklich den Einwohnern der Hauptstadt des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland beispringen? Die Sowjetunion setzte darauf, mit ihrem Muskelspiel zu gewinnen.
Die Währungsreform in den Westzonen am 20. Juni 1948 bot dann den äußeren Anlass, die Transportbeschränkungen zu einer lückenlosen Blockade zu eskalieren. Stalin rechnete damit, binnen einiger Tage, maximal weniger Wochen, sein Ziel zu erreichen.
Doch er irrte sich. Denn in Washington regierte seit drei Jahren Harry S. Truman, der beinharte Nachfolger des zuletzt gegenüber der Sowjetunion zu weichen Franklin D. Roosevelt. Und Truman hatte entschieden, dem kommunistischen Expansionsdrang entgegenzutreten.
So entschlossen sich die drei Westmächte, in einer einzigartigen Kraftanstrengung nicht nur ihre eigenen Truppen in der eingekreisten Teilstadt, also rund 8000 Mann, per Lufttransport zu versorgen, sondern die etwa 2,2 Millionen Einwohner ihrer Sektoren gleich mit. Das bedeutete, dass fortan Tag für Tag deutlich mehr als 1000 Tonnen Lebensmittel eingeflogen werden mussten, außerdem ein Mehrfaches davon an Kohle zur Strom- und Gaserzeugung.
Es war die größte humanitäre Hilfsaktion aller Zeiten. Die „New York Times“ brachte es am 4. Juli 1948 auf den Punkt: „Eine Luftbrücke ist ein kostspieliger Weg zur Versorgung Berlins. Aber in einem Notstand fragt man in unserem Land, dessen Bürger man ,Geldjäger‘ oder ,dollargierig‘ schimpft, nicht nach den Kosten. Wir fragen nur: ,Was wird gebraucht?‘ Und wenn wir die Antwort haben, heißt es: ,Okay, dann mal los.‘“
In Wirklichkeit allerdings war es ein britischer Offizier, der die entscheidende Idee hatte. Air Commodore Rex N. Waite nämlich schlug dem US-Militärgouverneur für Deutschland, General Lucius D. Clay, vor, die Luftversorgung von Anfang April 1948 zu verstetigen. Clay erkannte, dass Waites Vorschlag der einzige mögliche Ausweg war. Denn seine Vorgesetzten in Washington hatten ihm zuvor signalisiert, dass ein ebenfalls möglicher gewaltsamer Durchbruch mit Panzern und Lastwagen von der US-Zone nach West-Berlin nicht genehmigt werden würde.
Die Organisation der Luftbrücke übernahm dann so schnell wie möglich General William H. Tunner, der wichtigste Lufttransport-Experte der US Air Force. Er hatte 1942 die Versorgung der chinesischen Verbündeten der Alliierten im Kampf gegen das japanische Kaiserreich mit einer Luftbrücke über den Himalaja hinweg verwirklicht. Doch Berlin zu versorgen war noch schwieriger.
Tunner aber versprach Clay einfach: „Wir können alles jederzeit überallhin transportieren.“ Und dann setzte er dieses Versprechen konsequent um. Berühmt-berüchtigt war bei seinen Untergebenen Tunners Satz: „Wenn ich 20 Stunden am Tag arbeite, dann könnt ihr wohl 16 Stunden arbeiten.“
Als sich die Deutschen bei US-Piloten bedankten
Mit einer Luftbrücke versorgten Amerikaner und Briten 1948/49 das abgeschottete Berlin mit Hilfsgütern. Der „Welt“ verraten die Zeitzeugen von damals, in welchem Zwiespalt sie standen.
Quelle: Die Welt
Weil auch die West-Berliner mitmachten und sich nahezu ausnahmslos weigerten, sich in Ost-Berlin zu versorgen, entstand eine ungeheure Dynamik. Die Amerikaner wiederum organisierten ihre Versorgungsflüge bald als Wettbewerb der verschiedenen Einheiten untereinander – und steigerten die Effizienz so dramatisch.
Nach elf Monaten gaben die Sowjets ihren Erpressungsversuch schließlich auf. Die Luftbrücke aber dauerte sicherheitshalber noch fast ein halbes Jahr bis über das offizielle Ende der Blockade hinaus an, bis in den Herbst 1949. Bei etwa 280.000 Flügen wurden insgesamt mehr als zwei Millionen Tonnen Fracht eingeflogen. Die Kosten, weitgehend vom US-Steuerzahler getragen, gingen in die Dutzende Milliarden. Aber am Ende siegte die Freiheit und verlor der Kommunismus.
Die Luftbrücke war ein Triumph der internationalen Kooperation gegenüber einer Diktatur und gegenüber allen nationalistischen Versprechungen. „America first“ hätte Harry S. Truman nie gesagt – er wusste, warum.
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