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Geschichte Paul von Hindenburg

„Heimliche planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer“

Die Anhörung Hindenburgs im Reichstag am 18. November 1919 wurde zu einem monarchistischen Spektakel. Der Ex-Chef der Obersten Heeresleitung wies alle Schuld an der Niederlage von sich und erfand eine bizarre Legende.
Leitender Redakteur Geschichte
Der Vertrag von Versailles und seine Hypotheken

Der Friedensvertrag, den das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichnete, belastete die junge Weimarer Republik stark. So wurde er zur Keimzelle eines neuen Krieges.

Quelle: WELT/Berthold Seewald/Dominic Basselli

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Der Auftritt war wahrhaft kaiserlich. Schon vor Sonnenaufgang hatten an allen Kreuzungen rund um den Berliner Tiergarten Polizeitrupps Position bezogen. Ab halb zehn Uhr sperrten dann Postenketten die gesamte, rund drei Kilometer lange Strecke vom Quartier des Zeugen am Südrand des Parks bis zum Reichstag ab. Eine Reiterstaffel stand bereit, um eventuelle Proteste zu zerstreuen.

Doch nichts geschah: Heftiges Schneetreiben hatte an diesem 18. November 1919, einem Dienstag, nur wenige Demonstranten im Zentrum Berlins erscheinen lassen. So konnte die ebenfalls enttäuschend geringe Zahl von Unterstützern der Fahrzeugkolonne ihrer Helden ungehindert zujubeln.

8-1919-11-18-A1-2 (1909713) Parlamentarischer Untersuchungsausschuß 1919 / Foto Berlin / Parlamentarischer Untersuchungsausschuß zur Prüfung der Vorgänge bei Kriegsausbruch 1914 und ob das Deutsche Reich während des Ersten Weltkrieges Friedensmöglichkeiten unbeachtet gelassen hatte, Sitzung am 18. November 1919: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff werden vor den Ausschuß geladen. - Militärische Absperrungen im Tiergarten. - Foto. |
Die Fahrtstrecke durch den Berliner Tiergarten wurde von zwei Postenketten gesichert
Quelle: picture alliance / akg-images

Um 9.45 Uhr waren Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der ehemalige Chef der Obersten Heeresleitung, und General Erich Ludendorff, sein Vertrauter und Stellvertreter, vor der Villa des deutschnationalen Politikers Karl Helfferich in einen Wagen gestiegen. Eskortiert von Fahrzeugen von Unterstützern und Polizei, fuhren sie dann zur für zehn Uhr einberufenen 14. Sitzung des Untersuchungsausschusses über die Ursachen des Zusammenbruchs 1918.

Fast auf die Minute genau um zehn Uhr rollten die Autos vor das Südportal des Reichstagsgebäudes. Schon das war eine kalkulierte Missachtung des Ausschusses, den die Nationalversammlung in Weimar eingesetzt hatte: Wie einst der Kaiser erschien Hindenburg erst genau zur bestimmten Zeit am Veranstaltungsort, nicht jedoch im Ausschuss. Sollten dessen Mitglieder doch auf ihn warten.

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Seiner Unterstützer konnte er sich sicher sein – sie skandierten, als die beiden Männer aus dem Wagen stiegen: „Hoch Hindenburg!“ und „Nieder mit der Republik!“, einige auch: „Nieder mit dem Untersuchungsausschuss!“ Huldvoll dankte der Feldmarschall für die Beifallskundgebungen durch Kopfnicken, Ludendorff versuchte, es ihm nachzutun, was freilich misslang.

8-1919-11-18-A1-4 (1909715) Parlamentarischer Untersuchungsausschuß 1919 / Foto Berlin / Parlamentarischer Untersuchungsausschuß zur Prüfung der Vorgänge bei Kriegsausbruch 1914 und ob das Deutsche Reich während des Ersten Weltkrieges Friedensmöglichkeiten unbeachtet gelassen hatte, Sitzung am 18. November 1919: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff werden vor den Ausschuß geladen. - Ankunft von Hindenburg (Mitte) und Ludendorff (rechts); links Karl Helfferich (vorne, mit Melone), Mitglied der DNVP, der ebenfalls vor dem Ausschuß aussagen muß. - Foto. |
Offiziere in Uniform standen stramm für den Kriegsverlierer Hindenburg in Zivil
Quelle: picture alliance / akg-images

Gemessenen Schrittes gingen die beiden geladenen Zeugen die Haupttreppe des Parlaments zum Großen Sitzungssaal über dem Ostportal hinauf. Anders als bei den vorangegangenen Sitzungen waren die Gänge des Reichstagsgebäudes gedrängt voll; mit Ovationen begrüßten die Hindenburg-Anhänger den Feldmarschall.

Im Sitzungssaal lagen auf dem für Hindenburg und Ludendorff vorgesehenen Tisch zwei Chrysanthemensträuße mit schwarz-weiß-roten Schleifen. Die deutschnationale Abgeordnete Käthe Schirmacher hatte sie dorthin gelegt – eine bewusste Provokation der Ausschussmitglieder, hinter deren Plätzen die schwarz-rot-goldene Flagge der Republik hing.

Die Verhältnisse waren klar, noch bevor der amtierende Vorsitzende der Kommission, der liberale Abgeordnete Georg Gothein, um 10.15 Uhr den in Zivil gekleideten Zeugen begrüßte: Hindenburg gewährte den Parlamentariern eine Gunst, die förmliche Vorladung ignorierte er einfach.

8-1919-11-18-A1-3 (1909714) Parlamentarischer Untersuchungsausschuß 1919 / Foto Berlin / Parlamentarischer Untersuchungsausschuß zur Prüfung der Vorgänge bei Kriegsausbruch 1914 und ob das Deutsche Reich während des Ersten Weltkrieges Friedensmöglichkeiten unbeachtet gelassen hatte, Sitzung am 18. November 1919: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff werden vor den Ausschuß geladen. - Ankunft von Hindenburg (Mitte) und Ludendorff (rechts); links Karl Helfferich (mit Melone), Mitglied der DNVP, der ebenfalls vor dem Ausschuß aussagen muß. - Foto. |
Paul von Hindenburgs Ankunft vor dem Reichstagsgebäude am 18. November 1919 um zehn Uhr morgens
Quelle: picture alliance / akg-images

Anders als gewöhnlich trugen die beiden Generäle im Ruhestand Zivil, nicht ihre Uniform (was seinerzeit noch üblich war und bei offiziellen Anlässen auch erwartet wurde). Eine Zeitung erläuterte diese Entscheidung, denn „im Ausschuss sitzen Persönlichkeiten, vor denen sie auch als Zeugen nicht in Uniform und mit den im Krieg erworbenen Orden und Ehrenzeichen erscheinen wollen“. Noch eine kalkulierte Zumutung.

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Gothein erwies Hindenburg jede mögliche Ehre. Er ließ sogar zu, dass sein Begleiter Ludendorff vor der Vereidigung des Zeugen eine Erklärung abgab, in der er die Vernehmung als eine den „Rechtsbegriffen aller Kulturländer widersprechende juristische Abnormität“ kritisierte. Der Feldmarschall und er seien nur erschienen, weil das deutsche Volk „Ansprüche darauf hat, völlig klar zu sehen, wie die Ereignisse sich in Wirklichkeit unverzerrt und ohne Parteihass und Parteivorurteil abgespielt haben“.

Diese Anmaßung musste Gothein dann doch zurückweisen – als „private Willensmeinung des Zeugen“ ohne Relevanz. Anschließend vereidigte er die beiden Zeugen und stellte Hindenburg die erste von sechs vorab mitgeteilten Fragen.

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Quelle: Reuters

Doch statt zu antworten, begann der Feldmarschall, leiernd einen Text zu verlesen. Weder das deutsche Volk noch Kaiser Wilhelm II. hätten 1914 den Krieg gewollt, behauptete er. Schuldig seien allein Deutschlands Gegner.

Mehrfach forderte Gothein den Zeugen auf, sich auf Fakten zu beschränken und jedes Werturteil zu vermeiden, doch ohne Erfolg: Hindenburg fuhr einfach fort, vom Blatt abzulesen. Nach einigen Minuten kam er zur Hauptsache seines Auftrittes: „Die Parteien haben den Widerstandswillen der Heimat erschüttert“, verkündete er. Die loyalen Truppen hätten unter der Einwirkung revolutionärer Kameraden schwer zu leiden gehabt.

Das ging selbst dem nachsichtigen Vorsitzenden zu weit: Per Glocke unterbrach er die Ausführungen Hindenburgs. Doch auf Verlangen zweier deutschnationaler Ausschussmitglieder musste er ihm erneut das Wort erteilen.

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Quelle: U.S. National Archives

Der Feldmarschall kam nun zum Schlüsselsatz seiner Erklärung: „Hinzugekommen ist die heimliche planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer und die revolutionäre Zermürbung der Front. So mussten unsere Operationen misslingen, es musste der Zusammenbruch kommen. Die Revolution bildete nur den Schlussstein.“ Nach einer Kunstpause fügt Hindenburg hinzu: „Ein englischer General sagte mit Recht: ,Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.‘“

Kaum hatte Hindenburg geendet, wiederholte Gothein seine bereits einmal gestellte Frage. Doch er bekam nur eine vage Antwort, denn Hindenburg hatte seine Botschaft verkündet: Durch Verrat sei der Krieg verloren gegangen! Weder die politische noch die militärische Führung des Kaiserreichs trügen die Verantwortung, sondern die Politiker der demokratischen und linken Parteien, die am 9. November 1918 die Regierungsverantwortung übernommen hatten! Die Heimat sei der standhaften Armee in den Rücken gefallen!

Bauern finden auf den Feldern noch immer Munition

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ziehen sich die Spuren der Kämpfe noch immer wie eine Narbe durch Frankreich und Belgien. Die Landwirte finden auf ihren Feldern bis heute Kriegsschrott und scharfe Munition.

Quelle: Die Welt

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Kritisch hinterfragt werden konnten diese völlig falschen Behauptungen in der Ausschusssitzung am 18. November 1919 nicht mehr. Längere fruchtlose Wortwechsel mit den beiden Zeugen und unter Mitgliedern des Ausschusses folgten. Dann vertagte sich die Kommission auf unbestimmte Zeit.

Denn der Feldmarschall weigerte sich rundheraus, am selben Nachmittag erneut zu erscheinen; in den folgenden Wochen werde er gar nicht in Berlin sein, sondern in Hannover, seinem Altersruhesitz. Der Vorsitzende Gothein ließ auch diese Anmaßung durchgehen.

„Der Ausschuss ist Luft“, kommentierte die liberalkonservative „Vossische Zeitung“ die Sitzung treffend. „Über seine Köpfe hinweg und unbekümmert um seine Satzungen reden die Generale zum Volk, reden als Verteidiger eines politischen Systems, dessen unheilvolle Wirkungen gerade an diesem Ort enthüllt werden sollten.“ Der Auftritt Hindenburgs und Ludendorffs sei ein „gelungener Stoß gegen die demokratischen Institutionen“ gewesen, bilanziert der Leitartikel empört.

Paul von Hindenburg, Ludendorff, Helfferich, Untersuchungsausschuss, Hitler Ludendorff Prozess | Verwendung weltweit
Paul von Hindenburg (M.), Erich Ludendorff (r.) und Karl Helfferich nach dem Auftritt im Untersuchungsausschuss am 18. November 1919
Quelle: picture alliance / arkivi

Der Text, den Paul von Hindenburg im Ausschuss verlesen hatte, stammte von Erich Ludendorff und Karl Helfferich. Ihnen ging es darum, den in großen Teilen der deutschen Gesellschaft immer noch guten Ruf des Feldmarschalls zu nutzen, um ihre Sicht der Revolution möglichst prominent in die Öffentlichkeit zu lancieren.

Zum gelungenen Auftritt zählte, dass kein Ausschussmitglied nachfragte, wer denn der „englische General“ gewesen sei, dessen angeblichem Zeugnis zufolge die deutsche Armee „von hinten erdolcht worden“ sei. Auch Moritz Julius Bonn insistierte nicht, obwohl der Feldmarschall seinem Eindruck nach lediglich „eine Geschichte wiederholt“ habe, „die man ihm beigebracht“ und „die er auswendig gelernt“ habe.

Tatsächlich hatte kein englischer General dieses Zitat geäußert. Es handelte sich um einen Satz des Londoner Korrespondenten der „Neuen Zürcher Zeitung“ in einem Artikel vom 17. Dezember 1918, der an die Zusammenfassung zweier Aufsätze des pensionierten Generals Sir Frederick Maurice angefügt war.

Der britische Militär selbst dementierte, jemals von einem „Dolchstoß“ gesprochen oder geschrieben zu haben: „Im Gegenteil habe ich stets die Meinung vertreten, dass die deutschen Heere an der Westfront am 11. November 1918 eines weiteren Kampfes nicht mehr fähig waren.“ Das traf zu.

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