Die Entwarnung kam zu früh. „Reaktionäres Komplott aufgedeckt“, meldete die SPD-Zeitung „Vorwärts“ in ihrer Abendausgabe am 12. März 1920. „Kurz vor Redaktionsschluss“, also etwa um die Mittagszeit an diesem Freitag, habe man erfahren, dass der Spitzenbeamte Wolfgang Kapp und der Hauptmann Waldemar Pabst, gegen die kurz zuvor Haftbefehl erlassen worden war, „aus ihren Wohnungen geflüchtet“ seien. Der „Vorwärts“-Redaktion schien die Gefahr gebannt.
Das Gegenteil war richtig. Kapp, im Hauptberuf mit dem Titel „Generallandschaftsdirektor“ faktisch der heimliche Verwaltungschef in Ostpreußen, und Pabst, im Januar 1919 führend verwickelt in den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, schlugen nun erst recht zu. Kapp wie Pabst waren erklärte Feinde der Republik und der demokratisch legitimierten Regierung; sie planten schon seit einem halben Jahr zusammen mit anderen Militärs einen reaktionären Staatsstreich.
Das Inkrafttreten des in Deutschland verhassten Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 trieb Kapp und Pabst dann weitere Unterstützer zu. Denn zu den ersten Maßnahmen, die nun umzusetzen waren, gehörte die Entwaffnung der seit Ende 1918 entstandenen Freikorps, irregulärer Verbände meist reaktionärer Ausrichtung. Der Vertrag gestattete Deutschland nur noch ein Heer von 100.000 Mann – doch die Freikorps umfassten ein Mehrfaches.
Ein scharfer Gegner der Abrüstung war General der Infanterie Walther Freiherr von Lüttwitz, der Chef der „Vorläufigen Reichswehr“ in Berlin. Er hatte am 10. März 1920 dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert ein Ultimatum gestellt, die Nationalversammlung aufzulösen, Neuwahlen zum Reichstag anzusetzen und einer Volkswahl des Staatsoberhauptes zuzustimmen. Daraufhin war er wegen Insubordination von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) abgesetzt worden.
Lüttwitz, der für die teilweise überbrutale Niederschlagung des kommunistischen Spartakus-Aufstandes im Januar 1919 verantwortlich gewesen war, schlug sich nun auf die Seite von Kapp und Pabst. Und er brachte die noch etwa 3000 Mann der Marinebrigade Ehrhardt mit, eines ursprünglich von Marineoffizieren in Wilhelmshaven gegründeten Freikorps unter dem Kommando von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Dieses Freikorps hatte Noske im Zuge der Abrüstungsverpflichtungen am 29. Februar 1920 für aufgelöst erklärt; es befand sich auf dem Truppenübungsplatz Dallgow-Döberitz westlich der damals noch eigenständigen Stadt Spandau bei Berlin.
Mit der Auflösung der Marinebrigade wäre den reaktionären, antirepublikanischen Kräften in Berlin ihr kampfstärkster Verband verloren gegangen. Also schlugen sie zu. In der Nacht vom 12. auf den 13. März 1920 marschierte die Brigade Ehrhardt von Döberitz über die Heerstraße nach Berlin und ins Regierungsviertel. Gegen 23 Uhr erfuhr die Reichsregierung davon.
Im Reichswehrministerium am Landwehrkanal verlangte Noske nun, dass sich reguläre Reichswehrverbände der Marinebrigade entgegenstellen sollten. Doch die Offiziere um den Chef des Truppenamtes, General Hans von Seeckt, fürchteten um den Zusammenhalt ihrer Verbände – und lehnten ab. Mit anderen Worten: Sie verweigerten den Befehl ihres zivilen Vorgesetzten. Diese Haltung kondensierte in dem Seeckt zugeschriebenen, freilich nicht wörtlich belegten Satz: „Truppe schießt nicht auf Truppe!“
Die ganze Nacht über beriet die Regierung, unter Vorsitz von Ebert, in der Reichskanzlei. Man kam überein, allerdings nicht einstimmig, Berlin zu verlassen und alle Deutschen zum Generalstreik gegen den Putsch aufzurufen. Kurz nach sechs Uhr am Samstagmorgen, über die Charlottenburger Chaussee durch den Tiergarten näherte sich die Vorhut der Marinebrigade dem Brandenburger Tor, unterbrach Ebert die Sitzung. Die Regierungsmitglieder und ihr engster Stab bestiegen bereitstehende Autos und verließen Berlin, zunächst Richtung Dresden und dann weiter nach Stuttgart. Es war eine tiefe Demütigung der Demokratie.
Auf dem Boulevard Unter den Linden präsentierte sich am Vormittag des 13. März 1920 die vermeintlich siegreiche Marinebrigade Ehrhardt. Es gab zwar kleinere Gefechte mit Gruppen linker Arbeiter, die versteckte Waffen herausgeholt hatten. Doch im Regierungsviertel dominierten eindeutig die Putschisten. Viele von ihnen hatten auf die Stahlhelme weiße Hakenkreuze als Erkennungszeichen gemalt, allerdings meist gerade und nicht um 45 Grad gedreht wie das Symbol, das wenig später zum Zeichen einer bayerischen Splitterpartei namens NSDAP werden sollte.
Am Samstagvormittag besetzten Putschisten die Schaltstellen in Berlin und proklamierten Kapp zum Reichskanzler. Er wählte als Hauptquartier die Reichskanzlei in der Wilhelmstraße 77 und das nahe gelegne Hotel „Adlon“ am Pariser Platz. In einem Aufruf kündigte er eine „neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat“ unter seiner Führung an.
Doch Kapp, der 1917 eine wichtige Rolle bei der Gründung der erzreaktionären Deutschen Vaterlandspartei gespielt hatte, war nur eine Galionsfigur. Die eigentliche Macht lag bei Lüttwitz und dem früheren Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung Erich Ludendorff – zu dieser Zeit der böse Geist der deutschen Politik, der schon im November 1919 faktisch die Dolchstoßlegende lanciert hatte.
Doch die legitime Spitze des Reiches war anders als von Kapp geplant nicht verhaftet worden. Von Dresden aus verbreitete Reichspräsident Ebert noch am 13. März 1920 einen Aufruf „An das deutsche Volk!“. Darin hieß es: „Durch einen wahnwitzigen Handstreich sind die Regierungsgebäude Berlins in die Hände der Aufrührer gelangt. Keine politische Partei, kein Mann von besonnener Denkungsart steht hinter diesen Vorgängen. Man missbilligt sie.“
Direkt wandte sich Ebert an alle Beamten und stellte fest: „Jeder bleibt an den Gehorsam gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung gebunden. Nur sie kann Befehle erteilen und Zahlungsanweisungen ausstellen.“
Gleichzeitig verbreitete sich ein Aufruf zum Generalstreik, den der Pressechef der Reichskanzlei, Ulrich Rauscher, formuliert hatte. Ob mit oder ohne Wissen Eberts und des glücklosen Reichskanzlers Gustav Bauer (SPD), ist unklar. Jedenfalls schlossen sich alle relevanten Gewerkschaften diesem Aufruf an; das Geschäfts- und das öffentliche Leben in Deutschland kamen am Samstagabend und am ganzen Sonntag zum Erliegen. Doch was würde der Wochenbeginn bringen?
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Dieser Artikel wurde erstmals im März 2020 veröffentlicht.