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Geschichte Dolchstoß-Legende

Mit zynischem Kalkül drängten die Generäle zum Frieden

Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg forderten Ende September 1918 einen raschen Waffenstillstand. Gleichzeitig erfanden sie die Dolchstoß-Legende – eine der folgenreichsten Lügen der Geschichte.
UNSPECIFIED - CIRCA 1800: General Paul Von Hindenburg 1847 1934 and chief of staff Erich Von Ludendorff 1865 1937 at the map table after a painting by Hugo Vogel From Tannenberg published Berlin 1928 (Photo by Universal History Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images UNSPECIFIED - CIRCA 1800: General Paul Von Hindenburg 1847 1934 and chief of staff Erich Von Ludendorff 1865 1937 at the map table after a painting by Hugo Vogel From Tannenberg published Berlin 1928 (Photo by Universal History Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff auf einem Heldengemälde
Quelle: Getty Images

Im Westen nichts Neues. Am 28. September 1918 vermeldete der tägliche Rapport aus dem Großen Hauptquartier des Deutschen Kaiserreichs im belgischen Kurort Spa kaum anderes als in den Tagen und Wochen zuvor – nämlich „fortgesetzte schwere Angriffe“ der gegnerischen Truppen auf die eigenen Stellungen in Belgien und im Nordosten Frankreichs.

In Wirklichkeit gab es am frühen Abend des 28. September 1918 viel Neues – zumindest im Kurhotel „Britannique“ in Spa, dem Sitz des Großen Hauptquartiers. Hier liefen die Meldungen von allen deutschen Einheiten zusammen. Das Bild, das sich daraus ergab, war eindeutig: Nach Wochen kleinerer Attacken und ständigen Drucks hatten französische und amerikanische Streitkräfte am frühen Morgen des 26. September einen Großangriff begonnen.

Angesichts dessen und der Nachricht, dass sich mit Bulgarien der erste Verbündete des Kaiserreichs um einen Separatfrieden bemühe, suchte am Nachmittag General Erich Ludendorff mit düsterer Miene seinen Vorgesetzten auf, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Es war ein schwerer Gang für den Ersten Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung, formal den zweithöchsten Soldaten des deutschen Heeres.

German general Paul von Hindenburg with his officers, including General Erich Ludendorff (left). Original Publication: People Disc - HE0241 (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Paul von Hindenburg und seine engsten Mitarbeiter 1917/18
Quelle: Getty Images

Ludendorff schlug vor, in Verhandlungen um einen Waffenstillstand einzutreten. Zwar sei die Lage auf keinen Fall so, dass sie „eine Kapitulation vor unserem Volke und vor unseren Kindern“ rechtfertige; auf jeden Fall aber müsse, wenn es irgend möglich sei, „der Weg zum Frieden beschritten werden“, notierte der 53-Jährige später.

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So offen hatten Hindenburg und sein wichtigster General wohl noch nie gesprochen. Dabei wussten beide, dass die Situation der deutschen Truppen in Belgien und Nordostfrankreich dramatisch schlecht war. Viele Kompanien verfügten schon seit Monaten nur noch über ein Viertel ihrer nominellen Stärke, doch Hindenburg und Ludendorff hatten angeordnet, die „Feldstärke“ der deutschen Truppen zu melden statt die „Grabenstärke“; auch erschöpfte, kranke und leicht verletzte Soldaten in der Etappe wurden also mitgezählt. Mit derlei Selbsttäuschung war nun Schluss.

Ludendorff, faktisch der eigentliche Machthaber in Deutschland, hatte den tatkräftigsten Minister des Reiches nach Spa bestellt. Paul von Hintze, der 54-jährige Chef des Auswärtigen Amtes, galt als intrigant, aber durchsetzungsstark – kein Vergleich zu Reichskanzler Georg von Hertling. Denn der Regierungschef war mit seinen 75 Jahren ein Greis: Er schlief selbst während wichtiger Konferenzen häufig ein und brauchte seiner schwachen Augen wegen für die Aktenarbeit oft einen Vorleser. Ludendorff setzte auf Hintze, doch der selbstbewusste Diplomat verfolgte eigene Pläne.

Kurz nach Ankunft seines Sonderzugs in Spa kam es am Sonntag, dem 29. September 1918, morgens um zehn Uhr zur entscheidenden Besprechung. Der Außenminister skizzierte drei Möglichkeiten für die weitere Entwicklung Deutschlands: eine Militärdiktatur, um die absehbaren inneren Unruhen bei einer Fortsetzung des Krieges zu unterdrücken; eine Revolution von unten, die jedoch die Hohenzollern-Dynastie wegfegen werde und das Reich „wehrlos dem Feinde“ preisgebe. Beides war natürlich indiskutabel.

ACHTUNG: DIE NAMEN SIND FALSCH! RECHTS IST NICHT LUDENDORFF! NAMEN UNBEDINGT ABSCHNEIDEN BEIN CROPPEN!
Wilhelm II. 1918 in der Villa Neubois, seiner Residenz im belgischen Kurort Spa
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Als dritten Weg beschrieb Hintze eine Revolution von oben, die den „unvermeidlich beim Übergang von Siegeszuversicht zur Niederlage eintretenden Schock von Reich, Monarchie, Dynastie“ ablenke. Dazu sollen gemäßigte Sozialdemokraten und Liberale in die Regierung geholt werden. Erst dieses neue Kabinett könne mit Aussicht auf Erfolg Kontakt zu den Feindstaaten aufnehmen.

Ludendorff willigte ein. Gemeinsam fuhr man zur Residenz Wilhelms II. in Spa, einer herrschaftlichen Villa am Rande des Kurortes. Zunächst konnte Hintze den Kaiser für seinen Vorschlag gewinnen. Doch als Reichskanzler Georg von Hertling eine Bedenkzeit von 14 Tagen vor der Kontaktaufnahme mit dem Feind vorschlug, schwankte Wilhelm wieder.

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Schon wollte er die Audienz beenden, da tat Hintze Unerhörtes: Er insistierte, dass eine neue Regierung das Gebot der Stunde sei und nicht hinausgeschoben werden dürfe. Daraufhin unterzeichnete der Kaiser tatsächlich die vorbereitete Weisung.

Hintze hatte sie in gönnerhaftem Ton formuliert: „Ich will, dass in dieser Schicksalsstunde Deutschlands das deutsche Volk mehr als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitwirkt. Es ist daher mein Wille, dass in weiterem Umfang die Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind, teilnehmen an den Pflichten und der Verantwortung der Regierung.“ Kanzler Hertling war damit gar nicht einverstanden.

Um 19.25 Uhr ging der Erlass des Kaisers ans Auswärtige Amt ab, mit der Weisung, gleich am folgenden Tag veröffentlicht zu werden. Doch die Beamten fanden die Order schlecht formuliert – zu düster und zu selbstgefällig. Sie strichen „in dieser Schicksalsstunde“ und ersetzen „Verantwortung“ durch „Rechte“. Außerdem fügten sie ein, der Kaiser habe Hertlings Rücktritt angenommen.

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Damit steht fest: Unter Beteiligung von Liberalen und Sozialdemokraten sollte eine neue Regierung gebildet werden; die Aufgabe dieses parlamentarisch gestützten Kabinetts würde sein, den Gegner um Waffenstillstand zu bitten und Friedensverhandlungen zu beginnen. Die „Vossische Zeitung“ titelte: „Der Kaiser für eine Volksregierung“, das „Berliner Tageblatt“ verkündet zurückhaltender: „Der Kaiser für eine Beteiligung des Volkes an der Regierung“.

Ludendorff sah sofort die Gelegenheit, die Verantwortung für die katastrophale Lage abzuschieben. Noch bevor Hertlings Rücktritt und Wilhelms Aufforderung an die Opposition im Reichstag bekannt wurden, eröffnete der Generalquartiermeister am Vormittag des 30. September den Vertretern der deutschen Fürsten im Großen Hauptquartier die neue Lage; Sachsens Verbindungsoffizier fällt die Ruhe Ludendorffs auf, er „war bestimmt und klar“.

Doch offenbar unterschätzte der General die Wirkung, die seine Mitteilung machte; jedenfalls gab er sich keine 24 Stunden später völlig anders, als er am Morgen des 1. Oktober 1918 die Mitarbeiter der Obersten Heeresleitung informierte. Seinem Stabschef Albrecht von Thaer fiel Ludendorffs Gesicht auf, „von tiefstem Kummer erfüllt, bleich, aber mit hocherhobenem Haupt“. Thaer fühlte sich an die Sagenfigur Siegfried erinnert, doch heldenhaft war es nicht, was sein direkter Vorgesetzter verkündete.

„Ich habe Seine Majestät gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind“, sagte Ludendorff nämlich. „Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“

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Damit war das Fundament der Dolchstoß-Legende gelegt. Ohne sie wäre es wohl weder zum Nationalsozialismus noch zum Zweiten Weltkrieg gekommen. Ludendorff hatte eine der folgenreichsten Lügen der deutschen Geschichte begründet.

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