Wo immer über staatliche Regulierung auch nur nachgedacht wird, ist das Gequengel vorhersehbar und groß – und sei die Einschränkung noch so sinnvoll. Spätestens seit dem Vorschlag, einmal pro Woche in Kantinen kein Fleisch anzubieten, werfen sich selbsterklärte Kämpfer einer angeblichen Freiheit wie Kleinkinder in der Autonomiephase auf den Boden und kreischen einigermaßen unverständliches Zeug, wie: "Bevormundung!" oder "DDR 2.0!!" Aus ihnen spricht der infantile Wunsch nach der Abwesenheit jeglicher Regeln. 

Dagegen lässt sich nur sagen: Reguliert mich, bitte! Gerne beispielsweise auch bei den Leckereien, nach denen es mich als triebgesteuertes Wesen manchmal verlangt.  

Eine Zuckersteuer, wie sie etwa Großbritannien 2018 eingeführt hat, erleichtert den Leuten die Abkehr vom süßen Stoff. In Deutschland dagegen ist dieser vergleichsweise milde Eingriff nahezu unvorstellbar – entgegen jeder Evidenz. Der Arzt und Public-Health-Forscher Peter von Philipsborn sagt beispielsweise, dass sich mit einer effektiven Zuckersteuer "160.000 Lebensjahre gewinnen und 16 Milliarden Euro gesellschaftliche Kosten einsparen" ließen. Wie schön wäre da die Nachricht gewesen, die der Guardian kürzlich veröffentlicht hat: Der Zuckerkonsum der Briten habe sich durch die Einführung der Steuer halbiert. Damit hätten sich womöglich selbst die erbitterten Gegner staatlicher Regulierung zum Einlenken bewegen lassen.

Wahr ist leider lediglich, dass der Konsum zuckerhaltiger Lebensmittel im Beobachtungszeitraum der Studie deutlich zurückgegangen ist, also auch schon vor der Einführung der Steuer. Die unzulässige Zuspitzung, die die britische Zeitung inzwischen korrigiert hat, ist allerdings kein Argument gegen die Besteuerung ungesunder Inhaltsstoffe. Vielmehr zeigt der Rückgang unter anderem, dass die Konzerne ihre Produkte bereits lange vor dem Inkrafttreten angepasst haben, weil sie natürlich auch unter dem neuen Gesetz ihre Drinks verkaufen wollen. Ein ähnlicher Effekt ließ sich kürzlich bei den neuen Deckeln an Flaschen und Milchpackungen auch hierzulande beobachten: Sie waren schon Monate, bevor das Gesetz galt, gängig.

Wer will, kann ja weiter Zuckerwürfel einwerfen

Zu viel Zucker ist ungesund, daran gibt es keinen Zweifel. Auch nicht daran, dass sehr viele Menschen viel zu viel davon zu sich nehmen und es gut wäre, wenn sich daran sehr schnell etwas ändert. In nur etwas mehr als 30 Jahren hat sich der Anteil stark übergewichtiger Menschen auf der Welt verdoppelt – unter Kindern und Jugendlichen gar vervierfacht. Starkes Übergewicht begünstigt nachweislich die Entstehung zahlreicher Erkrankungen wie etwa Diabetes, Bluthochdruck oder koronarer Herzkrankheit, Gelenkarthrose und auch Krebs. Laut Weltgesundheitsorganisation sollte freier Zucker nicht mehr als zehn Prozent unserer Gesamtenergiezufuhr ausmachen, also etwa 50 Gramm pro Tag. Allein eine Dose Cola enthält aber etwa 35 Gramm Zucker, eine Tafel Schokolade 57 Gramm und selbst eine Fertigpizza je nach Sorte noch etwa zehn Gramm. 

Schon Kinder im Vorschulalter wissen, dass Süßigkeiten nicht satt machen und schlecht für die Zähne sind. Es ist ihnen ohne Weiteres plausibel zu machen, dass Genussmittel nur in Maßen ein echter Genuss sind. Sie werfen sich trotzdem manchmal auf den Boden, weil sie geradezu süchtig sind nach dem Gefühl, das Softdrinks, Schokolade und Gummibärchen in ihrem Körper auslösen. Die Aufgabe der Erwachsenen ist es, den Kleinen einen gesunden Umgang damit zu vermitteln. 

Zucker durch eine Steuer teurer zu machen, ist keine Bevormundung, sondern eine Regel, die sich aus dem gesammelten Wissen ergibt. Es geht darum, sich als Gesellschaft nicht der Industrie auszuliefern. Zucker soll ja auch nicht verboten werden. Wer sich den destruktiven Luxus unbedingt leisten will, kann sich trotz Steuer ausschließlich Zuckerwürfel einwerfen.

Das Argument, Süßes würde durch die Steuer für arme Menschen unerschwinglich, ist nicht zu halten. Vielmehr führt eine Steuer auf Zucker dazu, dass billige Lebensmittel weniger davon enthalten. So hat die Besteuerung das Potenzial, günstige Produkte ein kleines bisschen besser zu machen. Und den Einkauf im Supermarkt etwas entspannter. Wer will schon Lebenszeit damit verschwenden, unter all den ungesunden Produkten die wenigen gesunden zu finden? 

Und noch was: Die Vorstellung, ein Staat dürfe nicht wie ein Vater für seine Kinder sein, zeugt eher von einem autoritären als einem modernen Vaterbild und Erziehungsverständnis. Denn Erziehung, auch das wird von den Deregulierungsschreihälsen gerne falsch verstanden, geschieht im besten Fall ja längst nicht mehr von oben herab. Es geht darum, sich gemeinsam und selbstbestimmt auf gewisse Regeln zu verständigen, die ein möglichst gutes Leben für alle bedeuten. Und selbst Erwachsene, die keine Probleme damit haben, sich zu mäßigen, profitieren ja davon, wenn im Getränkeregal mehr Flaschen stehen, die für sie infrage kommen.