Nein, diese Hose wird mir niemals wieder passen. Ich weiß es bereits, wenn ich sie wieder einmal aus dem Schrank nehme und trotzdem stecke ich ab und zu ein Bein hinein vor dem Ganzkörperspiegel. Nur, um dann schwer durchatmend zu resignieren, zu fluchen und mich zu fragen, wieso um Himmels willen die Waden, Oberschenkel, Hüften und der Bauch heute so – neutral gesagt – ANDERS sind als damals, als mir diese Hose, meine Kontrollhose, noch passte. Seit Jahren liegt sie seither im Schrank herum, ihre alleinige Funktion ist es, mir nicht mehr zu passen.

Genauer gesagt habe ich sogar mehrere Kontrollhosen. Eine Jeans ohne Stretchanteil ist so klein, dass mich mein Schneider einmal entgeistert fragte: "Da passen Sie rein?" Die Hose hatte ich mit Liebeskummer gekauft, mit 27 Jahren, Größe 27. Mit Anfang 30 und viel Tragen (und Radfahren) war sie irgendwann durchgescheuert im Schritt, ich wollte sie unbedingt flicken lassen, um damit weiter meine Kalorienzufuhr und Sexiness zu kontrollieren. Frei nach dem Motto: Wenn meine Speckrollen über diesen Hosenbund rollen, gibt es heute kein Abendbrot. Ich sage nicht, dass ich gesund lebte. Aber die Kontrolljeans hatte lange Jahre die Macht über mein Essverhalten und mein Körpergefühl. 

Ist es heute mit 44 Jahren besser? Nein. Denn während ich diese Zeilen schreibe, trage ich Leinenshorts, meine Speckrollen quillen darüber, aber immerhin ging (mit Mühe und Not) der Knopf zu. Die Sommerhose passt noch! Diesen Jubel im Kopf, warum tun wir uns das an? Haben wir noch nie etwas von Body-Acceptance gehört? Warum kaufen wir nicht Klamotten, in die wir bequem passen?

Es muss an dieser gnadenlosen Ehrlichkeit liegen, mit der Kontrollhosen uns unseren Zustand zurückspiegeln. Denn eine Hose wird erst zur Kontrollhose, sobald sie ungnädig ist. Sie ist eng, starr, oft unbequem und doch irgendwie genau deshalb wertvoll. Lügen uns Filter, Diättipps und Fitness Accounts auf Insta an, dass alles federleicht wäre, wenn wir nur daran glaubten, ist die Härte der Kontrollhose unausweichlich. 

Ich bin zwar fest davon überzeugt, dass momentan Leggings, Sweatpants und weite Jeans deshalb so im Trend liegen, weil sich die jüngeren Frauengenerationen genau von dieser Härte freimachen wollen. Ich, Jahrgang 1980, kann es nicht, obwohl ich meine schwarzen Leggings liebe – aber niemals im Büro tragen würde. In den Neunzigern zwängten wir uns in Stoffhosen von Pimkie, in den Nullerjahren in Hüftjeans, die im Grunde extremistische Bauchkontrollhosen waren. 

Es scheint mir, als wäre die Beziehung zu diesen Hosen wie eine toxische Liebesaffäre, von der ich nicht lassen kann. Oder gibt es vielleicht auch etwas Gesundes an ihr, etwas Bewahrenswertes, jenseits ihrer Gnadenlosigkeit? Etwas wie eine nostalgische Selbstliebe? Eine Kollegin sagte mir, ihre Kontrollhose sei wie das Hochzeitskleid, das viele Frauen nie weggeben, in der Hoffnung, wieder hineinzupassen. Kann sein, sage ich als ledige. Vielleicht geht es ja gar nicht nur um Kilos und Speckringe. Sondern eben um Erinnerung. An die Hochzeit als einen schönen Tag, an die Jugend als Zeit der Freiheit und Unbeschwertheit. Auch diese Gefühle sind schließlich konserviert, in dem Jeansstoff, der nie wieder passen wird.

Was erklären würde, warum ich sie nur selten hervorhole. Schließlich kann man nicht jeden Tag die Vergangenheit heranholen und anschmachten.  

Randhosen sind dagegen flüchtige Relikte

Sowie die Tatsache, dass alle Randhosen nach und nach den Schrank verlassen haben. Denn eine Randhose ist, verglichen mit der ewigen Zeitlosigkeit der Kontrollhose, bloß das Relikt einer flüchtigen Phase. Randhosen haben einen übergangsweise begleitet, waren entweder viel zu klein oder viel zu groß, sei es im Überschwang oder vor und nach Schwangerschaften gekauft. "Nein, die muss ich behalten, die erinnert mich an meine guten Jahre!", sagte mir eine Freundin über eine viel zu große Randhose, die sie noch immer im Schrank liegen hat, um sich gut zu fühlen.  

Ist das nicht alles toxisch? Teil eines Selbstwertgefühls, das sich auf Körperlichkeit reduziert und einfach überkommen werden sollte? Müssen wir unsere gesammelten Rand- und Kontrollhosen nicht einfach am besten verbrennen und dabei rufen: "Ciao, ihr stillen Zeugen unserer erfolgreichen Diätversuche, unserer faulen Phasen, unserer Momente des Stolzes, unserer unnötigen Quälereien?"

Da Statistiken zeigen, dass etwa 80 Prozent der Frauen unzufrieden mit ihrem Körper sind, bin ich fest davon überzeugt, dass ein Großteil dieser Frauen ein Kleidungsstück besitzt, das mal gepasst hat. Sollten sie es nicht endlich canceln? Oder uns ein Beispiel an Männern nehmen, die ihren Bauch gern darüber tragen? "Auf keinen Fall", antwortet mir ein Mann und erzählt, dass er ein Kontrollhemd hat. "Sobald die Knöpfe spannen oder abfliegen, kommt es in den Schrank. Für später." Den Moment in der Zukunft, der manchmal nie eintritt.

Gestern sah ich ein Instagram-Video einer Frau, die dazu riet, sich täglich zu wiegen. Nur so erhalte man ein "gesundes Körpergefühl", wenn man sich täglich vermesse und wisse, wie sich der Körper mit jedem Tag verändere. Finde ich nicht. Mir macht die Waage schlechte Laune – und ich möchte nicht jeden Morgen gegen schlechte Laune ankämpfen. Und auch nicht gegen kneifende Hosenbünde.

Im Gegensatz dazu hat die Kontrollhose dann vielleicht doch noch eine Funktion: Verglichen zur obsessiven kühlen Selbstvermessung unserer Zeit ist sie ein wahres, ein ganzheitliches, ein plastisches Erinnerungsstück. Ich behalte sie, als Relikt an mein jugendliches, naives Ich. An das ich mich erinnere, wenn ich sie in die Hand nehme. Es ist wie alte Fotos gucken, nur mit Anfassen. Sich in die Erinnerung fallen zu lassen statt in den Selbsthass, vielleicht ist das eine gute Übung.

Und wenn sie gelingt, stellt sich Freude ein, statt Selbsthass. Sich zu erinnern an die, die wir waren, die Veränderung des Lebens, des eigenen Körpers umarmen zu können und dabei alles Destruktive zu überwinden – genau dafür könnte sie gut sein, diese eine, ewige, gemein ehrliche Hose. Bloß eins mache ich ab jetzt wirklich nicht mehr: versuchen, sie anzuziehen.