Aufbausimulationen gehören zu den beliebtesten Computerspielgenres. Mit begrenzten Mitteln und unter Zeitdruck stampft man darin eine Stadt oder einen Vergnügungspark aus dem Boden, errichtet eine Armee oder gleich ein ganzes Imperium. Traditionell schaut man aus der Vogelperspektive auf das Erreichte und will mehr davon.  

Tetris ist das genaue Gegenteil, eine Abbausimulation; das höchste Ziel ist das Nichts. Es geht darum, die unablässig herabfallenden Steine – bestehend aus je vier unterschiedlich angeordneten Quadraten – so abzusetzen, dass ein möglichst geschlossenes Bild entsteht. Man kann die Steine drehen und nach links oder rechts verschieben. Hat man eine lückenlose Horizontale gepuzzelt, löst sie sich auf und erweitert so den Spielraum am oberen Bildschirmrand. Je länger man durchhält, desto höher die Punktzahl. 

Vor 40 Jahren hielt der Russe Alexei Paschitnow die erste spielbare Version von Tetris in den Händen, am 6. Juni 1984. Er hatte es in seiner Freizeit erfunden und ahnte nicht, dass es zu einem der meistverkauften Games in der Geschichte der Computerspiele werden sollte. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs übrigens. 

Kein Wunder, könnte man sagen, das Spielprinzip ist einfach und doch komplex, der Einstieg ist niedrigschwellig, die Lernkurve reißt nicht ab. Ein Teil des Reizes ist aber metaphorischer Art. Da tut sich der Himmel auf und es regnet Steine in zufälliger Abfolge, ohne Unterlass. Erinnert das nicht ans Leben oder zumindest an den Teil, den man Alltag nennt? Wenn die übergroßen Ansprüche der Jugend an das eigene Dasein erst mal gedrosselt sind, geht es doch vor allem darum, abzuhaken. Tetris ist auch ein Symbol für den Kampf gegen die niemals endende To-do-Liste. Sie mag schrumpfen, aber das sind nur Phasen. Zumal jene, die besonders gut puzzeln, in Levels aufsteigen, in denen die Probleme noch schneller vom Himmel fallen. 

Es ist ja schön, hoch hinauszuwollen, doch je weiter so ein Lebenswerk aufragt, desto dringlicher stellt sich die Frage, wer das alles verwalten und erhalten soll. Nichts gegen Hinterlassenschaften, aber ein erfolgreiches Leben zeichnet sich auch dadurch aus, dass man der nächsten Generation nichts vermacht, was sich nicht in ein paar Wochen wegräumen oder photosynthetisieren ließe.

Wenn Kartellbosse oder andere Filmbösewichte ein Problem haben, sagen sie gern den Satz: Make it go away. Die Interpretation des Befehls überlassen sie ihren Handlangern, denen selten mehr einfällt als die Beseitigung durch Erschießen. Anders als in vielen Computerspielen wird bei Tetris nicht geschossen, hier ist das Auslöschen nicht destruktiv, sondern lebensverlängernd. Jede weggeräumte Reihe zögert das Game Over hinaus, ohne es je abwenden zu können.  

Zum Spiel wie zum Leben gehört das Gefühl, hinterher zu sein. Man kann es auch im Baumarktsprech sagen: Es gibt immer was zu tun. Und wenn das eines Tages nicht mehr so ist, sollte man sich fragen, ob man nicht schon oberhalb der Steingrenze residiert und aus der Vogelperspektive zuschaut. 

Asche zu Asche und den langen Vierer in die Lücke ganz links. Tetris