Die Atlantische Umwälzströmung (AMOC,  Atlantic Meridional Overturning Circulation), die für den Austausch warmer und kalter Wassermassen in dem Ozean verantwortlich ist und so auch das Klima in Europa beeinflusst, nähert sich womöglich einer kritischen Schwelle. Das schreibt Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachmagazin Nature Climate Change. Auch der Golfstrom ist Teil der AMOC.

Das komplexe Strömungssystem befördert warmes Wasser aus den Tropen an der Ozeanoberfläche Richtung Norden und bringt kaltes Wasser in größerer Tiefe gen Süden. In Westeuropa sorgt dieser Kreislauf für vergleichsweise milde Temperaturen, auch auf andere globale Regionen der Welt hat es Auswirkungen. Ein Zusammenbruch dieses wichtigen Systems hätte schwerwiegende Folgen für das weltweite und vor allem auf das europäische Klima.

Strömung so schwach wie nie zuvor

Die Strömung scheint Boers zufolge momentan so schwach wie nie zuvor in den vergangenen 1.000 Jahren zu sein. Bereits Anfang des Jahres hatte Boers Kollege am PIK, der Klimaforscher Stefan Rahmstorf, dies mit seinem Team in einer Übersichtsarbeit zeigen können (Nature Geoscience: Caesar et al., 2021). In einem Interview mit ZEIT ONLINE warnte er vor den möglichen Folgen, unter anderem Hitzewellen in Europa und steigenden Meeresspiegeln.


Unklar ist bislang, ob hinter der Abschwächung der AMOC nur eine Veränderung des mittleren Zirkulationszustands oder aber ein wirklicher Verlust an dynamischer Stabilität steckt – und dieser Unterschied sei entscheidend, erläutert Boers in einer PIK-Mitteilung. Eine Verringerung der Stabilität würde bedeuten, dass sich die Atlantikströmung der kritischen Schwelle angenähert habe, hinter der das Zirkulationssystem zusammenbrechen könnte.

Um das zu beleuchten, hat sich Boers sogenannte Fingerabdrücke in Temperatur- und Salzgehaltmustern auf der Atlantikoberfläche angeschaut. "Eine detaillierte Analyse dieser Fingerabdrücke in acht unabhängigen Indizes deutet nun darauf hin, dass die Abschwächung der AMOC während des letzten Jahrhunderts in der Tat wahrscheinlich mit einem Stabilitätsverlust verbunden ist", schreibt das PIK dazu.

Faktoren, die auf die Strömung einwirken, sind neben den direkten Auswirkungen der Atlantikerwärmung unter anderem der Zufluss von Süßwasser durch schmelzende Eismassen, zunehmender Niederschlag und Wasser aus Flüssen. Dass diese Süßwassermengen bereits eine solche Reaktion hervorrufen würden, hätte er nicht erwartet, erklärte Boers. Die Faktoren müssten zwar noch näher untersucht werden – klar sei jedoch schon jetzt, dass sie mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung stünden.

Unklar, ob und wann Strömungssystem zum Erliegen kommt

Wann sich die Strömung genau abschwächt, sei sehr schwer abzuschätzen, sagte Boers der Nachrichtenagentur dpa. "Es hängt erst mal davon ab, wie viel CO2 freigesetzt wird und wie stark die Temperaturen dadurch steigen." Zudem gebe es Unsicherheiten etwa darüber, wie viel wärmer es in der Arktis wird und wie stark der Süßwasserfluss in den Atlantik durch den Temperaturanstieg zunimmt.

Der entscheidende Punkt der Studie sei, "dass wir – früher und deutlicher als erwartet – klare Anzeichen für Stabilitätsverlust sehen", betonte Boers. "Das heißt, das System bewegt sich hin zum kritischen Schwellenwert und jedes Gramm CO2, das noch freigesetzt wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die AMOC irgendwann den kritischen Wert erreicht." Wenn der kritische Punkt überschritten werde, werde die AMOC innerhalb weniger Jahrzehnte weitgehend zum Erliegen kommen. Allerdings können Forscherinnen und Forscher bislang nicht genau bestimmen, wo dieser Punkt liegt.

Pariser Klimaabkommen - Sind 1,5 Grad überhaupt noch zu schaffen? Um katastrophale Klimafolgen abzuwenden, müssen Staaten mehr tun, als sie bislang versprochen haben. Wir erklären, was das Pariser Klimaabkommen verlangt. Aus dem Archiv © Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images, John MacDougall/AFP/Getty Images