Bill Gates hat die Corona-Impfung genutzt, um uns Chips einzupflanzen. Die Welt wird insgeheim von einer Elite reptilienhafter Wesen regiert, die sich als Menschen verkleiden. Und natürlich: Der Klimawandel ist eine Erfindung. Man könnte über solch absurde Thesen lachen, die im Internet verbreitet werden. Wäre Desinformation in den vergangenen Jahren nicht zu einem echten gesellschaftlichen Problem geworden.  

Doch nun gibt es einen wichtigen Erfolg gegen die Wissenschaftsleugnung: Der Klimaforscher Michael E. Mann hat sich gegen einen Angriff auf ihn und seine Wissenschaft gewehrt – und vergangene Woche vor dem Gericht in Columbia recht bekommen. Die beiden angeklagten Blogger Mark Steyn und Rand Simberg wurden wegen Rufschädigung und der "schamlosen Missachtung beweisbarer Fakten" schuldig gesprochen. Und müssen Mann nun mehr als eine Million US-Dollar Entschädigung zahlen. 

Dabei geht es um einen der größten Skandale der Klimawandelleugnung. Zwölf Jahre dauerte der Prozess. Der Streit, um den es dabei geht, liegt sogar noch länger zurück. Man kann ihn rekonstruieren aus Gerichtsberichten (PDF), Manns eigenen Erzählungen, Medienberichten, wissenschaftlichen Papieren, zahlreichen Blogs, die sich mit Lobbyismus in der Klimapolitik beschäftigen, und natürlich den Seiten der beiden verurteilten Blogger.

Alles beginnt 1998, mit der Grafik, die Michael Mann berühmt macht: die Hockeyschläger-Kurve. Erstmals zeigt sie, wie sich die globalen Temperaturen über ein Jahrtausend hinweg entwickelt hatten. Dafür hatten Mann und seine Kollegen Temperaturschätzungen aus Baumringen, Eisbohrkernen und Korallen zusammengetragen und sie mit Messungen kombiniert (Nature: Mann et al., 1998, Geophysical Research Letters: Mann et al., 1999).

Zwar gibt es in der Wissenschaft zu dieser Zeit schon einen breiten Konsens über den Klimawandel. Doch die Grafik schafft etwas, was wissenschaftlichen Papieren selten gelingt: Sie macht ihn auf einen Blick verständlich. Und weil sie aussieht wie ein auf der Seite liegender Hockeyschläger – die Temperaturen verlaufen für viele Jahrhunderte nahezu konstant, steigen dann aber wie die Spitze des Schlägers steil an –, erreicht sie als Hockeyschläger-Kurve einen fast schon ikonischen Status in der Klimawissenschaft.  

Doch die Grafik wird angegriffen – und mit ihr Michael Mann, der gerade erst sein Promotionsstudium an der Yale-Universität abgeschlossen hatte. "Dass der Hockeystick ausgerechnet zu der Zeit berühmt wurde, als die Klimawandelleugner neue und härtere Attacken auf die Klimawissenschaft planten, war ein zeitlicher Zufall, der tiefgreifende Auswirkungen auf meine eigene Karriere hatte", schreibt er. 

Der Climategate-Skandal

Zunächst kommt die Kritik – zumindest scheinbar – aus der Wissenschaft selbst. In einem Papier in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters, in der zuvor auch die Hockeyschläger-Grafik publiziert wurde, wird der Arbeit vorgeworfen, Daten manipuliert zu haben. Insbesondere geht es um eine Zeitreihe aus Baumringen. Einer der Kritiker, der in der Fachzeitschrift die Arbeit Manns infrage stellt, war laut dem Blog DeSmog schon zu diesem Zeitpunkt mit Thinktanks assoziiert, die wiederum Gelder von der fossilen Industrie erhalten haben. 

Aber die Arbeit wird nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert. Auch diverse Blogs greifen die angeblichen Mängel der Forschung auf. Eine erste Untersuchung der National Academy for Science kommt hingegen zu dem Schluss, dass die Daten zur Zeit vor 1600 zwar mit großen Unsicherheiten behaftet, die grundsätzliche Methodik und Schlussfolgerungen von Manns Papier aber richtig sind. 

Der eigentliche Skandal folgt Jahre später: 2009, kurz bevor in Kopenhagen eine wichtige Klimakonferenz stattfinden soll, veröffentlichen Hacker Tausende E-Mails von Klimaforschenden. Sie zeigen angeblich, wie Mann und seine Kollegen die Daten manipuliert hätten, um die ikonische Grafik zu erstellen. Und wie sie Fehler in ihrer Arbeit vertuschten. Einer der Wissenschaftler schreibt in einer Mail von einem "Trick", den Mann benutzt – eine Formulierung, die zwar nachlässig erscheinen mag, in der Mathematik aber durchaus üblich ist und laut den Autoren im Sinne von "Kniff" zu verstehen ist. Die am heftigsten kritisierte Formulierung stammt von Mann selbst, "hide the decline" schreibt er, "versteckt den Rückgang [der Temperatur]".

Spätestens da greift auch die Presse die Vorwürfe gegen Mann auf. Der Fernsehsender Fox News skandalisiert den angeblichen Betrug als Climategate. Und suggeriert, dass es dabei um mehr als nur eine unsaubere wissenschaftliche Arbeitsweise geht – die E-Mails seien ein Beleg dafür, dass die gesamte Klimawissenschaft eine Lüge ist, sämtliche Daten manipuliert wären und es den Anstieg der Temperaturen überhaupt nicht geben würde. Laut Medienberichten soll ein Fox-News-Chef sogar seine Mitarbeitenden in einer E-Mail dazu angewiesen haben: "Angesichts der Kontroverse über die Glaubwürdigkeit der Klimawandeldaten sollten wir darauf verzichten zu behaupten, dass sich der Planet in einem bestimmten Zeitraum erwärmt (oder abgekühlt) hat, ohne SOFORT darauf hinzuweisen, dass solche Theorien auf Daten beruhen, die von Kritikern infrage gestellt wurden."

Auch Mann persönlich wird bedroht, 2010 erhält er einen Brief mit weißem Pulver, im Nachhinein stellt es sich nur als Mehl heraus. Vor Gericht muss er sich außerdem gegen Anschuldigungen verteidigen, betrogen zu haben.

Mann wehrt sich gegen persönliche Angriffe

Doch Mann leistet Widerstand. Nicht gegen die Kampagne gegen seine Arbeit – denn für einen solchen Angriff auf die Wissenschaft gibt es rechtlich keinen Hebel. Und wer die E-Mails gehackt hat, ist immer noch unbekannt. Stattdessen verklagt Mann die beiden Blogger Mark Steyn und Rand Simberg – wegen Angriffen auf ihn ganz persönlich. 

Die beiden hatten eine Parallele zu einem zweiten Skandal konstruiert, der sich an der Penn State University, an der Mann zu diesem Zeitpunkt forschte und lehrte, etwa gleichzeitig ereignete: Dem Footballcoach Jerry Sandusky war vielfache Vergewaltigung von Kindern nachgewiesen worden. Und den Direktoren der Universität wurde vorgeworfen, den Fall verschleiert zu haben. "Man könnte Mann den Jerry Sandusky der Klimawissenschaft nennen", schreibt Simberg, "nur dass er statt Kindern Daten misshandelt hat [...]." Und Steyn ergänzt: "Wenn eine Institution bereit ist, systematische Vergewaltigung von Minderjährigen zu vertuschen, was wird sie dann nicht vertuschen?" 

Der Vergleich mit dem Vergewaltiger habe ihn als Vater einer kleinen Tochter besonders hart getroffen, sagt Mann. Außerdem sei durch die Anschuldigungen seine Karriere geschädigt worden, argumentiert er vor Gericht, durch den Skandal habe er weniger Forschungsgelder einwerben können. Andererseits gilt Mann heute als einer der berühmtesten Klimawissenschaftler. Vermutlich hat der Skandal zu seinem Ruhm eher beigetragen, als ihn nachhaltig zu schädigen.

Mehr als ein Jahrzehnt später bekommt er nun recht: Am vergangenen Donnerstag wurden Steyn und Simberg schuldig gesprochen. Zwar belaufen sich die Schadensersatzzahlungen auf lediglich jeweils einen Dollar von jedem der beiden Blogger. Doch dazu kommen hohe punitive damages – Zahlungen an den Geschädigten, die nicht einen tatsächlich entstandenen Schaden kompensieren, sondern darauf abzielen, besonders verwerfliches Verhalten zu bestrafen. 1.000 Dollar muss Simberg zahlen, Steyn sogar eine Million.