Welche Beiträge zur Pflege sind heute und morgen noch zumutbar? Diese Frage sollte nicht für alle gleich beantwortet werden, schreibt der Ökonom Georg Cremer. Er analysiert in loser Reihenfolge für ZEIT ONLINE aktuelle sozialpolitische Themen.

Ein Bericht aus dem Bundeskabinett hat vergangene Woche aufgezeigt, wie es um die Finanzierung der Pflegeversicherung steht. Nüchtern, aber schonungslos legt er dar, vor welchen Dilemmata die Regierung steht, wenn sie die Pflege wie angekündigt reformieren will. Je stärker sie den Wünschen entgegenkommt, die Pflegebedürftigen zu entlasten, desto teurer wird es für die Beitragszahlenden. Das birgt hohes Konfliktpotenzial. Und nicht alles, was vielleicht sozial klingt, wäre auch gerecht.

Es gibt ein verbreitetes Missverständnis. Die Pflegeversicherung gilt vielen als defizitär, weil sie nicht alle Kosten trägt, wie das die Krankenversicherung bei einem Krankenhausaufenthalt macht. Aber die Pflegeversicherung ist ein Teilleistungssystem. Sie stellt lediglich einen gedeckelten Betrag zur Verfügung, seine Höhe ist abhängig vom Grad der Pflegebedürftigkeit. Alles, was darüber hinausgeht, müssen die Pflegebedürftigen zahlen.

Eine Vollversorgung war nie versprochen worden. Norbert Blüm, Arbeits- und Sozialminister unter Helmut Kohl, hat in den 1990er-Jahren die Pflegeversicherung durchgeboxt. Seine klare Ansage: "Der Pflegebedürftige muss in zumutbarem Umfang zu den Kosten beitragen."

Ein Drittel der Pflegebedürftigen ist auf Sozialhilfe angewiesen

Was aber ist "zumutbar"? Wer heute in einem Pflegeheim lebt, zahlt viel Geld pro Monat: Im Bundesdurchschnitt sind es 921 Euro für Unterkunft und Verpflegung und 485 Euro zur Deckung der Investitionskosten, zwei Posten, die die Pflegeversicherung in keinem Fall übernimmt. Und er zahlt 975 Euro für die Pflegekosten, die durch den pauschalen Beitrag der Pflegeversicherung nicht gedeckt sind. Bei allen, die das nicht können, springt die Sozialhilfe ein und leistet "Hilfe zur Pflege". Etwa ein Drittel der Heimbewohner ist auf sie angewiesen.

Im Umkehrschluss heißt das: Zwei Drittel können die Eigenanteile selbst stemmen. Wäre es wirklich fair, alle gleichermaßen von einer Mitfinanzierung der für sie anfallenden Pflegekosten freizustellen, auch jene, die gute Alterseinkommen oder Vermögen haben? Denn das ist es, was – zur Freude der Erben – passiert, wenn die Politik jenen großen Wurf wagt, den viele Sozialverbände fordern: eine Pflegevollversicherung einzuführen. Doch Erbenschutz ist keine Aufgabe des Sozialstaats.

Die möglichen Entlastungen werden graduell bleiben

Auch die Interessen der Beitragszahlenden dürfen nicht ignoriert werden. Wie der Kabinettsbericht zeigt, würde bei einer Vollversicherung der Beitragssatz von heute 3,4 bis 2040 auf 9 Prozent steigen – zumindest dann, wenn er für alle Pflegebedürftige greift, inklusive für jene, die derzeit von Angehörigen gepflegt werden. Bleibt es beim derzeitigen Rechtsrahmen, geht der Beitrag immer noch auf 4,2 Prozent hoch. Letzteres erscheint auf den ersten Blick verkraftbar, aber man muss das Gesamtsystem im Blick behalten. Seriösen Prognosen zufolge wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also Rente, Krankenversicherung, Pflege und Arbeitslosenversicherung zusammengenommen, von heute 40 Prozent bis 2030 auf 43 bis 45 Prozent (PDF) und bis 2040 möglicherweise bis auf 50 Prozent (PDF) steigen, wenn nicht gegengesteuert wird. 

Die Kabinettsvorlage zeigt viele Stellschrauben auf, um die Belastungen zu senken und quantifiziert ihre Wirkungen. Mehr Digitalisierung? Kann vielleicht 0,15 Beitragspunkte einsparen. Mehr Prävention? Bringt, optimistisch geschätzt, einen halben Beitragspunkt. Und wenn man alle Einkommensarten zur Finanzierung heranzieht, nicht nur den Arbeitslohn, und die Beitragsbemessungsgrenze anhebt? Das könnte es zu einer Senkung um immerhin 0,34 Beitragspunkte führen. Ist eine Pflegebürgerversicherung, in die auch Beamte und Gutverdienende einzahlen müssen, die Lösung? Wenn die bisher privat Versicherten Bestandsschutz haben, bringt sie kurzfristig erst einmal wenig, 2060 aber dann immerhin einen Viertelbeitragspunkt.

Alle Optionen, die Belastung der Beitragszahlenden zu begrenzen, helfen, aber die Entlastungen werden eher graduell bleiben.