30, 20, 10 – was klingt, wie eine Rechenaufgabe für Grundschüler, ist eine neue Idee der Ampel: Steuerrabatte für Ausländer, konkret: Fachkräfte aus dem Ausland. Hinter den Zahlen stecken Prozentzahlen. Der Vorschlag ist, dass Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland zum Arbeiten kommen, im ersten Jahr 30 Prozent weniger Einkommenssteuer zahlen, im zweiten 20 Prozent weniger, im dritten Jahr immerhin noch zehn Prozent weniger. 

Ausländische Fachkräfte würden also deutlich weniger Steuern zahlen und hätten mehr Netto vom Brutto als inländische Beschäftigte. Bewirkt das einen Pull-Effekt? Oder zettelt dieser Vorstoß nur eine Neiddebatte an, bei der Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Gerechtigkeitsfragen am Ende nur wieder die Gesellschaft spalten? 

Konkret sieht der Vorschlag, den Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) befürworten, vor, dass ein Teil des Bruttolohns steuerfrei gestellt werden soll. Es soll aber auch Gehaltsober- und -untergrenzen geben, damit nicht nur Geringverdiener oder nur Hochqualifizierte angelockt würden. Die Details sind unklar, einen Gesetzesentwurf gibt es auch noch nicht, nur viele Überlegungen, etwa, dass die Steuerrabatte für mittlere Gehälter zwischen 40.000 bis 50.000 Jahresbrutto gelten sollen.

Andere Länder machen es schon

Dass die FDP dafür ist, erstaunt nicht. Immerhin stammt das Ganze ursprünglich von ihr. Der grüne Wirtschaftsminister begründet seine Offenheit vor allem mit dem Fachkräftemangel und der Sorge, dass die fehlende Zahl an Arbeitskräften mittelfristig der Wirtschaft schade. "Wir wissen und sehen es überall, dass wir Arbeitskräfte brauchen. Und andere Länder machen es eben auch", verteidigte Wirtschaftsminister Habeck das Vorhaben. 

Tatsächlich gibt es solche Regelungen in vielen anderen Staaten – zum Beispiel in den Niederlanden, wo erst kürzlich Steuererleichterungen für ausländische Beschäftigte eingeführt wurden, oder auch in Österreich und Frankreich. Insgesamt 24 von 38 OECD-Staaten haben Steuervorteile für ausländische Fachkräfte, zeigt eine Auswertung der Industriestaatenorganisation vom Juni, über die die Welt berichtet. Auch in Frankreich, Griechenland, Italien, Irland, Südkorea, Polen, Schweden und Island können ausländische Fachkräfte Steuervorteile nutzen. In so gut wie allen anderen Ländern sind die Rabatte aber auch zeitlich befristet, sogar viel länger, als es die deutsche Regierung vorhat.  

Jedoch sind die Regeln unterschiedlich. Einige Länder wie unser Nachbar Österreich begünstigen nur Hochqualifizierte – konkret: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in Forschung und Lehre etwa als Hochschulprofessoren kommen. Auch in der Alpenrepublik gibt es 30 Prozent Steuererleichterungen. Dänemark, Finnland und Norwegen, aber auch Israel, Portugal und Spanien bieten hochqualifizierten Ausländerinnen und Ausländern günstige Pauschalsteuersätze, in Spanien profitieren Expertinnen und Spezialisten dann von einem Einkommenssteuersatz von nur 24 Prozent für die Dauer von sechs Jahren. Frankreich begünstigt Expats ebenfalls, auch dort sind es 30 Prozent weniger Steuern. Allerdings gilt der Steuerbonus generell für Expats, also Ausländerinnen, die zum Arbeiten nach Frankreich kommen, aber auch Französinnen, die aus dem Ausland wieder nach Frankreich zurückkehren. Außerdem gibt es noch Modelle, bei denen ausländische Fachkräfte besondere Freibeträge und Entlastungen etwa für Umzugskosten erhalten. Das ist zum Beispiel in Österreich möglich, aber auch in der Schweiz, Luxemburg und in Belgien.

Die Arbeitgeber sind dagegen

So weit die Regelungen in anderen Ländern – aber bringen die auch etwas, führen solche fiskalpolitischen Anreize zu einem Pull-Effekt? Die OECD-Studie kommt zu keinem klaren Ergebnis, Untersuchungen, die den Effekt solcher Steueranreize international vergleichen, gibt es ansonsten keine.

Auch deshalb ist die Idee der Steuerrabatte umstritten. Zu den prominenten Kritikern innerhalb der Regierung gehört etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, dem zufolge die Idee noch mal genau geprüft werden müsse. Unterstützung bekommt er von seiner Fraktion. Denn die SPD-Bundestagsfraktion will die geplanten Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte nicht einfach durchwinken. "Eine steuerliche Begünstigung, wie von der FDP vorangetrieben, führt dazu, dass gleiche Arbeit ungleich behandelt wird", sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast der Rheinischen Post am Mittwoch. Sie kündigte an, dass "diese skeptische Haltung"  die Beratungen im Bundestag prägen werde.  

Kritik kommt sogar von den Arbeitgebern. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), kritisiert, dass der Vorschlag der Steuergerechtigkeit widerspreche und in vielen Firmen zu Unruhe führen könnte. "Es gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: mehr Netto vom Brutto. Das größere Potenzial liegt im Inland. Das ist der Denkfehler des Vorschlags", sagt Kampeter.