Wir sitzen an einem großen Tisch im Haus meiner Eltern. Ich auf der einen Seite, meine Eltern auf der anderen. "Seit du studierst, hast du dich verändert, Marco. Früher hast du mit uns am Familientisch gelacht und Späße gemacht. Heute bist du nur noch arrogant und redest über Politik und Geschichte, obwohl das hier keinen interessiert." Es ist mein Vater, der das sagt, und es tut ziemlich weh. Es sollte ein Schlichtungsgespräch werden, aber nach zwei Stunden voller Anschuldigungen, Tränen und aussichtslosen Erklärungen meinerseits ist gar nichts geklärt, und ich fahre traurig und frustriert zurück in die Stadt, in der ich Geisteswissenschaften studiere.

Kurzer Zeitsprung: Drei Wochen vor dem Gespräch kommt das Thema Flüchtlinge beim Essen auf. In der nächstgelegenen Kleinstadt soll auf einem ehemaligen Kasernengelände, das schon seit sechs Jahren leer steht, eine Unterkunft für 600 Flüchtlinge eingerichtet werden. Der Tenor meiner Familie ist schnell klar: Unser Geld für solche Menschen – aber für meine Tochter muss ich jedes Jahr die Schulbücher bezahlen. Als Teenager hätte ich mich aus der Sache rausgehalten, doch dieses Mal ist es anders. Ich versuche, die Thematik näher zu beleuchten und meine Familie darüber aufzuklären, dass allein aus menschlicher Sicht geholfen werden muss und Bildungspolitik mit der Sache nichts zu tun hat. Zehn Minuten später mündet das Gespräch in einem handfesten Streit. Als Student hätte ich noch nichts geleistet, meinen meine Eltern. Ich würde keinen Cent Steuern zahlen und hätte deshalb kein Recht, diese Diskussion zu führen. Schließlich sei es ihr Geld, das dort verpulvert würde.

Dieser Vorfall war nur einer von vielen, und wie die anderen Konflikte auch war er ein Symptom meines Ausbruchs aus der Arbeiterschicht, der meine Eltern seit Kindheitstagen angehören. Im Grunde stört sie weniger, was ich denke oder sage, und vielmehr die Tatsache, wie ich mein Leben gestalte. Für sie ist es unverständlich, dass ich lediglich zehn Stunden die Woche an die Universität gehe und ansonsten zu Hause arbeite. Sie gehen schließlich 40 Stunden in der Woche zur Arbeit. Dass meine Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, viel zu lesen, Themen zu verstehen und wiedergeben zu können, Hausarbeiten zu verfassen und Referate zu halten, ist ihnen fremd. Ich wäre jetzt einer von "denen da oben", die nur geschwollen daherreden und keine Späße verstehen. Dazu kam mein Plan von einem Auslandssemester in Istanbul, der von vorneherein als sehr gefährlich angesehen wurde. Meine Eltern versuchten, mich von Schweden zu überzeugen, da Stockholm nicht so fremd und unsicher sei.

Ich habe großen Respekt vor der Arbeit meiner Eltern und auch Verständnis dafür, dass sie sich für ganz andere Themen interessieren als ich. Sie hatten in ihrem Leben kaum Kontakt zu Menschen, die studiert haben. Dennoch kann man meiner Meinung nach von seinen Eltern erwarten, dass sie die Entscheidungen ihrer Kinder akzeptieren. Wie soll man als Arbeiterkind Freude am Studium haben, wenn die eigenen Eltern so ablehnend darauf reagieren?

Der Autor schreibt unter Pseudonym. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

Dieser Text ist Teil der Serie "Studenten und Eltern". Uns interessiert: Wie erleben unsere Leser ihren Auszug beziehungsweise den ihrer Kinder, wie die Zeit während des Studiums? Welche Probleme gibt es, welche schönen Erlebnisse? Schicken Sie uns Ihre Geschichten an leser-studium@zeit.de. Die besten Einsendungen werden als Leserartikel Teil dieser Serie.