So oft wird gelobt, wie breitgefächert das Studienangebot heutzutage ist, wie viele Möglichkeiten dem ambitionierten Abiturienten von heute geboten werden. Unis rühmen sich ihrer über hundertdreißig verschiedenen Studiengänge, man kann Ausbildungen machen, von denen noch nie jemand gehört hat, oder man macht gleich beides, oder man studiert an zwei Unis oder übers Internet oder per Brief oder nur abends. Immer mehr Studiengänge brauchen einen "Was-ist-das-überhaupt?"-Link, und der Übersetzer läuft sowieso immer im Hintergrund – denn welcher zukunftsorientierte Studiengang hat schon noch einen deutschen Namen?

Früher war das nicht so. Früher studierte man an der rechtswissenschaftlichen Fakultät Jura, nicht "International Studies in Intellectual Property Law". Früher wurde man mit Jura Anwalt oder Richter, heute kann man mit einem Bachelor of Law praktisch alles machen. Früher war alles besser.

Im Idealfall hat einem der Vater schon seit man 15 ist eingetrichtert, was gut für einen ist, man hat dann brav gemacht, was verlangt wurde, eben so, wie man es in der Schule gelernt hat. Die Jugend, die in den 1960ern gegen ihre bevormundenden Eltern rebellierte, hatte keine Ahnung von den Qualen, die einem Abiturienten von heute das 845 Seiten dicke Verzeichnis der deutschen Studiengänge bereitet.

Viele Universitäten wollen jetzt auch ein Motivationsschreiben, in dem man ganz deutlich macht, warum man sich genau für diesen Studiengang bewirbt. Man wird ermutigt, ganz offen und ehrlich zu sein, in sich reinzuhorchen und seine Motive dann darzulegen. Aber ich möchte mal wissen, wer genommen wird, wenn er schreibt: "Mein Abi-Schnitt ist furchtbar schlecht, und bei Ihnen scheint der Anspruch nicht allzu hoch zu sein". Oder: "Mein Freund studiert das, und der konnte mir erklären, was man da genau macht und wie ich mich bewerbe. Deshalb ist das der einzige Studiengang, den ich verstanden habe." Sehr ehrlich wäre auch: "Ich habe sehr lange heulend vor diesem furchtbar dicken Buch gesessen, drei Identitätskrisen durchgemacht, weil ich weder Ziele noch Persönlichkeit habe, und habe dann mit geschlossenen Augen den Finger zufällig auf Ihre Uni gelegt". Aber genau das hört die überforderte Jugend, wenn sie horcht, so sieht es in ihr aus, und ich hatte nicht nur ein Telefonat mit Freunden, in dem tatsächlich geheult wurde.

Wir wollen keine zigtausend Studiengänge, wir wollen keine unbegrenzten Freiheiten, und wir wollen vor allem keine Abschlüsse, mit denen man praktisch alles machen kann. Wir haben nie gelernt, uns selbst zu lenken, wir wissen nicht, wo wir in zehn Jahren stehen wollen und was uns wichtig ist. Wir können das nicht. Zumindest noch nicht.

Eine sehr beliebte Frage ist auch die nach Talenten und Fähigkeiten, die uns für den Studiengang zur genau richtigen Type machen. Auch das soll natürlich ganz ehrlich beantwortet sein, das schon erwähnte Reinhorchen ist wieder gefragt. Aber bei vielen ist es da erstaunlich still. Ich selbst konnte die Frage auch nicht beantworten. Zum einen, weil ich den Studiengang, der mir halbwegs passend schien, nicht verstanden habe. Zum anderen, weil ich in mir folgendes hören konnte: Ich kann gut Zeit abschätzen. Ich kann auch ohne Uhr sagen, wie viele Minuten es noch zur Pause sind. Ich kann hervorragend lügen. Mir fallen ohne Vorbereitung und auch in brenzligen Situationen super Stories ein. Und ich sehe, wenn Menschen traurig sind, ohne dass sie das sagen oder zeigen. Das kommt, wenn ich mich selbst nach meinen Fähigkeiten und Begabungen befrage. Aber auf welchen Studiengang soll das passen?

Das alles, die Überforderung und der Unmut, sind für mich nun fast vier Jahre her. Irgendwann kam sie dann doch, die rettende Eingebung. Um die Entscheidung noch ein wenig hinauszuzögern, habe ich mich nach dem Abi aber erst mal aus dem Staub gemacht. Bei einem Freiwilligendienst in Malawi habe ich ganz andere Dinge gelernt als damals im Matheunterricht. Irgendwie ergab vieles dann aber doch Sinn. Besonders die Worte meines Politiklehrers und seine Begeisterungsfähigkeit bei den Diskussionen im Leistungskurs blieben in meiner Erinnerung als echte Lichtblicke zurück.

Heute studiere ich in Münster Politik und Wirtschaft, ich habe meinen Weg gefunden. Lang hat es gedauert. Und auch jetzt noch habe ich Kommilitonen und Kommilitoninnen, die nach dem Abschluss nochmal was ganz anderes machen wollen. Die Qual der Wahl, die Orientierungslosigkeit – so ganz verschwinden werden sie so bald wohl nicht.