EM-Viertelfinale: Spanien – Deutschland 2:1

Tore: 1:0 Dani Olmo (52. Minute), 1:1 Florian Wirtz (89.), 2:1 Mikel Merino (119.)

Wie schied Deutschland aus?

Unerwartet, weil Deutschland in der Verlängerung drängender nach vorne spielte und die größeren Chancen hatte. Und weil am Ende Qualitäten das Spiel entschieden, die man traditionell eher deutschen als spanischen Mannschaften zuschreibt. Ein feiner Kopfball – nach einer Halbfeldflanke. In der 119. Minute, als alle schon mit weichen Muskeln über das Spielfeld wankten, schlug der Spanier Dani Olmo den Ball in den Strafraum, Mikel Merino stieß sich vom Boden ab, stand beide Beine fast wie zum Spagat gespreizt in der Luft und köpfte ins Eck. Vier Minuten später, als die Deutschen noch ein letztes Mal die Gelegenheit zum Ausgleich hatten, köpfte Niclas Füllkrug den Ball vorbei. Viele hatten schon zum Torschrei angesetzt. Ein spanischer Mittelfeldmann traf, Deutschlands bestem Kopfballspieler gelang das nicht. Damit konnte man nicht wirklich rechnen.

Was war das für ein Spiel?

Es war ein wildes Spiel, ein aufregendes auch. Aber: Es gab nicht viel Staunen über endlose Ballzirkulation und traumhafte Pässe, dafür viel Körpereinsatz und vor allem zu Beginn ein paar unschöne Fouls. Stringent vorgetragene Angriffe und Torchancen waren dagegen selten in der ersten Halbzeit; da sah das, was viele als vorweggenommenes Finale bezeichnet hatten, eher aus wie ein verspätetes Gruppenspiel. Später wurde es viel besser, aber es blieb wild. Eine Partie, die eher die Deutschen mit ihrer Intensität prägten als die Spanier mit ihrem überlegten Positionsspiel. Sogar mehr Ballbesitz hatte die Nationalmannschaft. Umso erstaunlicher, dass Deutschland verlor. 

Wie ging es los?

Mit dem, was ausländische Reporter in den vergangenen Wochen auch hin und wieder bemängelt haben: deutscher Unordnung. Der Anstoßtrick, der im Vorbereitungsspiel gegen Frankreich nach sieben Minuten zum Tor geführt hatte, misslang diesmal. Dafür hatte nach 50 Sekunden Spanien die erste sehr gute Chance, aber Pedris Schuss war zu lasch. Kurz darauf rannte Toni Kroos Pedri so wüst um, dass der Spanier vom Feld musste. Julian Nagelsmann hatte Kroos seinen liebsten Adjutanten genommen, Robert Andrich, den Mann fürs Grobe – Kroos übernahm das Grobe deshalb einfach selbst. Emre Can, den Nagelsmann für Robert Andrich aufgestellt hatte, lief oft weit vorne herum, beim Versuch, den Spanier Fabián Ruiz zu stören. Dadurch geriet die deutsche Struktur ins Wanken. Zu Beginn war immer wieder viel freier Raum vor der deutschen Abwehrkette, Spanien hatte Platz für sein Angriffsspiel. Zur Halbzeit brachte Nagelsmann dann den Mann in Pink, Robert Andrich, zurück.

Was war mit Spanien?

Kam in dieser Unordnung zu ein paar Chancen: Lamine Yamal schoss einen Freistoß flach an der Mauer vorbei, Fabián Ruiz und Aymeric Laporte konnten von kurz vor dem Strafraum aufs Tor schießen – aber allzu gefährlich waren diese Distanzschüsse nicht. Und auch die Spanier bekamen wenig Kontrolle ins Spiel. Überhaupt dauerte es eine gute Viertelstunde, bis der Ball mal länger gut lief. Und dann kam auch Deutschland zu ersten Chancen: Kai Havertz kam aus zehn Metern zum Kopfball, doch er stieß den Ball nicht platziert genug aufs Tor. Ein anderes Mal sog er einen langen Ball mit der Brust aus der Luft, schloss dann aber zu schnell ab. Viel mehr war nicht los in der ersten Hälfte.

Wie fiel das Führungstor?

Aus einer scheinbar harmlosen Ausgangssituation: Lamine Yamal, Spaniens dribbelnder Jungspund, passte den Ball von rechts in die Mitte. Da standen eigentlich genug Spieler in weißen Trikots, nur standen sie alle im Strafraum. Auch der Mittelfeldmann Robert Andrich war sehr weit nach hinten gerückt. So hatte Dani Olmo freie Schussbahn, er schob den Ball ins linke Eck. Der Schuss war nicht hart, aber er reichte aus.

Wie reagierte Deutschland?

Mit Plan B. Julian Nagelsmann wechselte Maximilian Mittelstädt und Niclas Füllkrug für David Raum und İlkay Gündoğan ein. Was immer bedeutet: Deutschland fängt das Flanken an. Deutschland wurde aber auch insgesamt zielstrebiger, die Dribblings von Jamal Musiala und Florian Wirtz, der schon zur Halbzeit gekommen war, wurden entschlossener, im Wissen, nun etwas tun zu müssen. Auch das Publikum erwachte und trieb die Mannschaft zum spanischen Tor. Robert Andrichs Distanzschuss hielt Unai Simón, Kai Havertz eroberte sich einen missglückten Abstoß, lupfte dann aber übers Tor. Niclas Füllkrug rutschte in Gedenken an Oliver Neuvilles Tor 2006 gegen Polen in einen scharfen Flachpass, da schepperte der Ball gegen den Pfosten. Deutschland tat alles – außer treffen. Und die Spanier verpassten es, das Spiel zu entscheiden.

Wie traf Deutschland doch noch?

Nach, natürlich, einer Flanke. Die fand Joshua Kimmich am zweiten Pfosten, der all seine 1,77 Meter brauchte, um den Ball zu erreichen. Er legte ihn mit dem Kopf zurück, Florian Wirtz knallte ihn an den linken Innenpfosten, von da flog er ins Tor. Bierbecher und Ersatzspieler flogen aufs Feld, Rüdiger sank zu Boden. Den meisten war klar: Das gibt Verlängerung.

Hätte Deutschland das Spiel da entscheiden können?

Ja. Spanien war nicht allzu torgefährlich, ihr Offensivspiel wirkte nicht mehr gut orchestriert. Ein-, zweimal ließ sich der Torwart Unai Simón viel Zeit beim Abstoß, oft ein Zeichen, dass der Gegner näher am Tor ist. Füllkrug hatte eine Chance per Flugkopfball, nach einem Schuss von Jamal Musiala flog der Ball Spaniens Verteidiger Marc Cucurella an die Hand. Der Schuss wäre wohl gefährlich aufs Tor gerauscht. Absicht war das nicht, aber manch Bundesligaschiedsrichter hat schon für weniger Elfmeter gegeben. Ein solches Spiel per Elfmeter zu entscheiden, das macht kein Schiedsrichter gern.

Wie war Toni Kroos' letztes Spiel?

Es war kein Spiel für galante Dirigenten. Wobei dazu an diesem Tag auch Kroos beitrug: Man sah nicht nur, wie akkurat er passt und wie gut er das Spiel liest, sondern auch vor allem, dass er sich wild in Zweikämpfe werfen kann – auch wenn er dabei gerne mal spät dran ist. Später prägte er das Spiel auch wieder mehr durch sein Passspiel. Es endete dann mit einem seiner Freistöße. Da segelte der Ball noch ein letztes Mal in den Strafraum, die deutschen Fans hofften, aber Spanien klärte. Dann stand Kroos starr, der Schiedsrichter pfiff ab. Er schlich Richtung Mittelkreis, stand dort kurz einsam, dann kamen die Spanier einer nach dem anderen und umarmten ihn. Sie würdigten sein Spiel, und sie würdigten seine Karriere.

War das nun ein gutes Turnier?

Meist gilt für die Deutschen ein Halbfinale als Erfolg, ein Viertelfinale nicht unbedingt. Aber so, wie das Turnier und auch dieses letzte Spiel verlief, wird kaum jemand schimpfen. Die bis dahin beste Mannschaft des Turniers war nah am K. o., Deutschland schaffte es, das Spiel gegen Spanien zu prägen. Und die Fans mitzureißen. Am Ende verlor es trotzdem, aber die Kurve in Stuttgart feierte die Mannschaft, als sie nach dem Spiel trübselig vor ihr stand.