Der ehemalige Profi Otto Addo (links) und Younis Kamil © Marco Steinbrenner/​DeFodi Images/​Getty Images; Max Brunnert

In einer Umfrage des WDR wünschten sich ein Fünftel der Befragten "mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft". Was nun? Ein Gespräch mit Otto Addo, ehemaliger deutsch-ghanaischer Fußballprofispieler und Trainer, der wegen rassistischer Anfeindungen nicht für die deutsche Nationalmannschaft spielen wollte; mit Younis Kamil, der Migrantenvereine trainiert und über das Thema forscht; und mit Eric Mbarga, der unter anderem beim FC Bayern München Antidiskriminierungsarbeit leistet.

ZEIT ONLINE: Herr Mbarga, Herr Kamil, Herr Addo, als ein Journalist den Bundestrainer auf die WDR-Umfrage ansprach, nannte Julian Nagelsmann sie eine "Scheiß-Umfrage". Der Nationalspieler Joshua Kimmich sagte, so eine Fragestellung vor der Heim-EM sei "absurd". Haben die beiden recht?

Younis Kamil: Ich finde die Umfrage auch scheiße – aber wegen des Ergebnisses. Deutschland und der deutsche Fußball haben ein Rassismus-Problem, Studien bestätigen das. Auf dem Fußballplatz verlaufen die Konfliktlinien unserer Gesellschaft wie unter dem Brennglas, alle gesellschaftlichen Diskurse prallen da aufeinander.

Eric Mbarga: Ich verstehe ihre Reaktionen, denn Rassismus verurteilen wir alle. Der WDR hat die Umfrage so erklärt: Der Reporter Philipp Awounou ist selbst Person of Color und hat rassistische Erfahrungen gemacht – sogar im Film sichtbare. Damit es nicht bei reinen Anekdoten bleibt, gab es diese Umfrage. Nun weiß man, die Meinung, die in der Doku zu sehen und hören ist, also dass nur weiß gelesene Deutsche echte Nationalspieler sein können, ist eben keine Einzelmeinung weniger Rechter in Ostdeutschland. Das muss ernst genommen werden. Die wichtigste Frage ist dabei nun: Was ist mit den betroffenen Menschen, insbesondere den Spielern?

Otto Addo: Ja, ich habe auch Verständnis für die Reaktionen der beiden. Die Frage, ob die Diskussion gerade jetzt nützlich oder schädlich ist, kann ich nicht beantworten. Aber die eigentliche Frage ist: Warum denken so viele Menschen in Deutschland rassistisch?

ZEIT ONLINE: Ein Fünftel der Befragten, das ist viel. Aber man könnte diese Menschen auch als Minderheit sehen.

Younis Kamil: Für Sie ist das eine Minderheit und mathematisch haben Sie damit auch recht. Aber wenn ich am Tag auf der Straße 100 Menschen begegne und davon mehr als 20 nicht damit einverstanden sind, dass ich hier bin – dann finde ich das aus einer Betroffenenperspektive hart, wenn ich mir das jeden Tag geben muss. Darf ich fragen: Wie empfinden Sie, als weißer Mensch, diese knapp 20 zu 66 Prozent?

ZEIT ONLINE: Erschreckend.

Younis Kamil: Ich arbeite täglich an der Basis, im Amateurbereich. Wenn ich überrascht war, dann darüber, wie verhältnismäßig niedrig die Zahlen ausgefallen sind. Das, was ich Woche für Woche auf Fußballplätzen in ganz Deutschland erlebe, auch im Westen, zeichnet ein anderes Bild. Manche Artikel versuchen die Umfrage positiv zu drehen, als Beleg wie viele Menschen sich zu Vielfalt bekennen – ich sehe das kritisch.

Otto Addo: Wie Younis vorhin meinte, Fußball spiegelt die Gesellschaft. Man spürt den wachsenden Zuspruch, den rechte Meinungen und Parteien bekommen. Wie schon früher haben manche ein rassistisches Bild davon, wie Deutschland, wie die Nationalmannschaft aussehen soll. Das kenne ich noch aus meiner Zeit als aktiver Spieler.

ZEIT ONLINE: Aber die Nationalmannschaft heute ist vielfältiger, bildet die Gesellschaft besser ab, inklusive eines türkeistämmigen Kapitäns und eines Schwarzen Innenverteidigerduos. Ist das kein Erfolg?

Otto Addo: Das ist schwer pauschal zu beantworten. Als ich in der Jugend Fußball gespielt habe, wurde ich regelmäßig rassistisch beleidigt, von Gegenspielern und von Eltern. Und das ist leider heute noch so. Meine Kinder sind acht, elf und 13, die machen die gleichen Rassismus-Erfahrungen auf und neben dem Platz wie ich vor 40 Jahren.

Younis Kamil: Im Profifußball gibt es da mittlerweile Fortschritte, in der Spitze, wo viel Geld im Spiel ist. Im Amateurbereich sieht das wieder anders aus. Aus der Forschung weiß ich, dass diese Debatten wellenförmig verlaufen. Einige Jahre läuft es besser und Diversität ist ein Thema und dann schwankt das in die andere Richtung, weil genau diese Bewegung den anderen Pol extrem triggert. Dort entsteht dann ein Gefühl der Abgehängheit, und um das auszugleichen, werden extreme, polarisierende Positionen eingenommen.