Einige Tage dürfte die Freude in Georgien noch anhalten, vielleicht einige Wochen. Bei ihrem ersten großen Turnier hat die georgische Nationalmannschaft die Vorrunde überstanden. Nach dem sensationellen 2:0-Sieg gegen Portugal trifft sie nun bei der Europameisterschaft im Achtelfinale in Köln auf Spanien. Ein Sieg gegen den Turnierfavoriten ist unwahrscheinlich, trotzdem gilt die georgische Auswahl als positive Überraschung des Turniers. Mit selbstbewussten Spielern und sympathischen Fans, neugierig auf den Rest von Europa.

Doch die Emotionen des Fußballs überdecken wieder einmal die politischen Nachrichten. Die Europäische Union hat gerade den Beitrittsprozess Georgiens auf Eis gelegt. Als Begründung verwiesen die Regierungschefs der EU auf ein neues Gesetz in Georgien, das eine stärkere Kontrolle der dortigen Zivilgesellschaft ermöglicht. Dieses Gesetz war trotz großen Protesten im Mai verabschiedet worden und erinnert in Teilen an die Gesetzgebung in Russland, wo Organisationen mit internationaler Unterstützung als "ausländische Agenten" bezeichnet werden.

Als maßgeblicher Förderer des Gesetzes gilt Bidsina Iwanischwili, Gründer der Regierungspartei Georgischer Traum. Iwanischwili hat es mit Bankgeschäften und Rohstoffen in Russland zu Reichtum gebracht. Der Oligarch, der auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt, betonte immer wieder, dass sich Georgien vor einem "westlichen Einfluss" schützen müsse. Seine Annäherung an Moskau fand insbesondere in der konservativen Landbevölkerung Unterstützung, doch das änderte sich nach der russischen Invasion in der Ukraine. Die Partei Georgischer Traum reagierte auf den öffentlichen Druck und orientierte sich stärker an der EU. Nun, nach fast zweieinhalb Jahren Krieg in der Ukraine, scheinen wieder die prorussischen Kräfte an Einfluss zu gewinnen.

Die interessante Frage ist nun, ob die georgischen Fußballer mit ihrem Erfolg in Europa auch die proeuropäischen Kräfte in ihrer Heimat stärken können – und wollen. Der Milliardär Bidsina Iwanischwili möchte offenbar frühzeitig Einfluss auf diesen Prozess nehmen. Der Ehrenvorsitzende von Georgischer Traum, der kein Ministeramt innehat, stellt der georgischen Mannschaft für einen Sieg gegen Spanien eine Teamprämie von 30 Millionen Lari in Aussicht, fast zehn Millionen Euro. Regierungskritische Gruppen sprachen von einer "Bestechung", um die Loyalität der Spieler zu sichern und sie zum Schweigen zu bringen.

Es ist tatsächlich auffällig, dass sich die georgischen Nationalspieler vor und während der Europameisterschaft politisch kaum positionieren. Das war im Frühjahr, nach der Initiierung des umstrittenen Gesetzes, noch anders. Mehrere Spieler waren im April und Mai in den sozialen Medien für einen europäischen Kurs. Giorgi Kotschoraschwili etwa veröffentlichte ein Foto, das seine Nichte auf einer Demonstration in der Hauptstadt Tbilissi zeigte. Das Foto ging erst viral, dann löschte es Kotschoraschwili von seinem Profil. Sein Teamkollege Chwitscha Kwarazchelia, unter Vertrag bei SSC Neapel, postete: "Die Zukunft Georgiens liegt in Europa."

Chwitscha Kwarazchelia ist der Talisman der Georgier. Auch er positionierte sich in der Vergangenheit proeuropäisch. © Dean Mouhtaropoulos/​Getty Images

Bei Demonstrationen gegen das neue Gesetz fühlten sich Teilnehmende von den Fußballern inspiriert. "Wir haben es zur Euro geschafft, jetzt wollen wir in die EU", lautete eine Botschaft. Etliche Demonstrierende sangen Fußballlieder und trugen das Trikot des georgischen Nationalteams. Doch die Polizei ging hart gegen die Protestierenden vor, auch mit Tränengas und Wasserwerfern. Der Nationalspieler Giorgi Tschakwetadse, aktiv beim FC Watford, kommentierte auf Instagram: "Es fällt mir schwer mit anzusehen, wie sie sich meinen Landsleuten entgegenstellen, vor allem Frauen und Kindern."

Auch georgische Vereine positionierten sich für den europäischen Weg, insbesondere FC Dinamo Tiflis, ehemals einer der erfolgreichsten Clubs in der Sowjetunion. Fans von Dinamo erinnerten an den wichtigsten Titel ihres Vereins, den Europapokal der Pokalsieger 1981. Damals entstand eine georgische Unabhängigkeitsbewegung, doch Demonstrationen gegen den Kommunismus wurden von sowjetischen Soldaten niedergeschlagen, mit Toten und Verletzten. Der Fußball etablierte sich als ein Symbol des Widerstandes: 1990 formierte sich in Georgien eine nationale Liga – ein Jahr vor der offiziellen Unabhängigkeit ihres Landes.

Die Regierungspartei und der Fußball

Auch der georgische Fußballverband könnte diese Geschichte in seiner Gegenwart herausstellen, doch seine Führungsleute bleiben diplomatisch. An der Spitze des Verbandes steht seit fast zehn Jahren Lewan Kobiaschwili, der als Spieler auch für Freiburg und Hertha BSC gespielt hatte. 2008 weigerte sich Kobiaschwili bei seinem damaligen Club Schalke 04, in einem Trikot mit dem Sponsorenlogo von Gazprom zu spielen. Damals rückte das russische Militär auf georgisches Gebiet vor, um sich den Einfluss in Abchasien und Südossetien zu sichern, in zwei Regionen, die völkerrechtlich zu Georgien gehören.

Nach seiner aktiven Laufbahn hat sich Lewan Kobiaschwili mehrfach für einen europäischen Weg ausgesprochen, doch deutliche Worte gegen Russland hört man von ihm nicht. Kobiaschwili sitzt für Georgischer Traum im nationalen Parlament. Die Regierungspartei knüpft seit Jahren ein Unterstützernetzwerk im Fußball. Der prominenteste Vertreter: Kacha Kaladse, früher aktiv beim AC Mailand und seit 2017 Bürgermeister von Tbilissi. Auch er unterstützt das umstrittene Gesetz für eine schärfere Kontrolle der Zivilgesellschaft.

Selbst wenn Georgien im Achtelfinale gegen Spanien gewinnen sollte: Der Einfluss auf die politische Entwicklung dürfte gering sein. Viele georgische Fans, die nach Deutschland gereist sind, wollen diese Plattform trotzdem nutzen. Mehrfach stimmten sie bei den Vorrundenspielen beleidigende Lieder gegen Wladimir Putin an. Im russischen Fernsehen wurden die Gesänge kurzerhand: herausgeschnitten.