"I don’t know, I am not Mr. Kachelmann", sagte Mr. Nagelsmann auf der Pressekonferenz. Wenn der Bundestrainer nach einem 2:0 im EM-Achtelfinale so einen Satz sagt, weiß man schon, dass irgendwas nicht normal war in diesem Spiel. Ein dänischer Journalist hatte Julian Nagelsmann auf der Pressekonferenz gefragt, ob der Schiedsrichter das Spiel zu spät unterbrochen habe. Das könne er nicht einschätzen, antwortete Nagelsmann, er sei eben kein Jörg Kachelmann. Kein Meteorologe.

Es waren vor dem Spiel der Deutschen gegen Dänemark Unwetter über Dortmund angekündigt worden. Und es kamen Unwetter. Schon als das Achtelfinale um 21 Uhr angepfiffen wurde, war es rabenschwarz über dem Westfalenstadion, bald fing es an zu blitzen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde donnerte es so laut, dass hörbar war, wo sich dieses Fußballspiel gerade befand: inmitten eines Gewitters. Es blitzte, donnerte, goss, kurzzeitig hagelte es auch noch.

Der Schiedsrichter Michael Oliver deutete zum Himmel und pfiff nach 35 Minuten ab. Zur Gewitterpause. Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand sagte später, er habe die Reaktion seiner Spieler auf die Blitze und die Donner registriert. "Ich hatte keine Angst, aber ich passe natürlich auf die Spieler auf." Vermutlich kommunizierten die Dänen dem Schiedsrichter wegen einer Pause. Hjulmand hat leider Erfahrung mit Gewittern bei Fußballspielen. 2009 trainierte er den FC Nordsjælland, als bei einem Trainingsspiel einer seiner Spieler, Jonathan Richter, vom Blitz getroffen wurde. Richter musste reanimiert werden, Tage später beschlossen die Ärzte, ihm den linken Unterschenkel zu amputieren.

"Ich denke, es war die richtige Entscheidung, das Spiel zu stoppen", sagte Hjulmand. Auch Mr. Kachelmann bestätigte das auf X.

Natürlich war es die richtige Entscheidung. Gewitter sind nervig, können aber eben wirklich gefährlich werden. Doch im Laufe der Gewitterpause zeigte sich recht deutlich, dass es für gute EM-Stimmung kein gutes Wetter braucht. Im Gegenteil: Vielleicht war das Gewitter von Dortmund sogar gut für die Verbindung von Fans und Nationalmannschaft.

Für fast 25 Minuten blieb das Spiel unterbrochen, wegen "adverse weather conditions", wie auf den Stadionleinwänden zu lesen war. "Ungünstige Wetterbedingungen", das war eine wunderbare englische Untertreibung.

Das Westfalenstadion hatte natürlich wieder einen Dachschaden. An mehreren Stellen bildeten sich Wasserfälle, die auf die Tribüne runterplätscherten. Auf X rechnete jemand vor, die Wasserfälle des Westfalenstadions seien, außerhalb der Alpen, die siebthöchsten Deutschlands. Zwei dänische Fans stellten sich absichtlich darunter.

Und weil der Regen ja erst vor wenigen Tagen beim Spiel Türkei gegen Georgien durchs Stadiondach lief, fragte im Medienbereich ein Journalist aus Polen, was es mit diesem Dach eigentlich auf sich habe. Ist das schon länger so, es ist einfach kaputt? Und ist es nicht eine Schande, dass es in eure Stadien regnet?

Nun, das undichte Dach von Dortmund ist wohl nicht gerade eine Auszeichnung fürs deutsche Bau- und Ingenieurwesen. Die Fans aber machten das Beste aus Regen und Gewitter. Sie packten ihre Regenponchos aus, verkrochen sich unter den schwarz-rot-goldenen Fahnen, die für eine Choreo auslagen, viele rückten von den unteren Rängen nach oben, weiter unters Dach. Ins Trockenere.

"Oh, wie ist das schön, so was hat man lange nicht gesehen", sangen die deutschen Fans gemeinsam. Die Dänen sangen ihre Lieder. Ein Solidaritätsgefühl, wie man es von Musikfestivals kennt, breitete sich aus: Na gut, vielleicht werde ich nass, aber es werden ja alle nass. Und gleichzeitig war da eine große Anspannung auf das, was kommen würde. Wer weiterkommen würde.

Die deutsche Mannschaft hätte an diesem Samstagabend auch ausscheiden können, hätte sie etwas weniger Glück gehabt. Hatte sie aber nicht. So wird das Gewitterspiel von Dortmund in positiver Erinnerung bleiben. Das Sommermärchen 2006 mag ein imaginiertes, ein herbeiphantasiertes Märchen sein, das bis heute verklärt ist. Das Gewitter von Dortmund war echt. Es hatte auch etwas Egalitäres. Nicht die Fans standen im Regen, sondern in erster Linie die Spieler, die nicht mal ein undichtes Dach über sich hatten. Gemeinsam gingen Fans und Mannschaft in die Gewitterpause.

Die Menschen rückten näher zusammen. Nicht nur physisch. Es war ein surreales Erlebnis. Wie oft passiert es schon, dass ein EM-Spiel wegen eines Gewitters unterbrochen werden muss? Und so hatte das Gewitter von Dortmund auch seinen Anteil an einem Abend, an dem Fans im ganzen Land und die Nationalmannschaft näher zusammenrückten. Und gemeinsam schufen sie eine Erinnerung. An die Wasserschlacht von Frankfurt bei der WM 1974 erinnern sich noch alle, die dabei waren. Vielleicht erinnert man sich ja auch noch in 50 Jahren an die Gewitterpause von Dortmund.