Wie sehr die Linke in der Krise steckt, zeigt sich in diesen Tagen auch daran, wie schnell sie ihre beiden Vorsitzenden demontiert: Vergangenen Dienstag forderten die Altvorderen Gregor Gysi und Dietmar Bartsch erstmals offen einen "personellen Wechsel", nur fünf Tage später schließen Janine Wissler und Martin Schirdewan einen Rückzug zumindest nicht aus. Prominente Unterstützung bekommen sie in diesem Zeitraum genau: keine. Beide hätten in einer Krisensitzung des Vorstands am Sonntag sehr deutlich gemacht, dass sie nicht an ihren Ämtern kleben, heißt es. Stattdessen soll nun eine Arbeitsgruppe einen Fahrplan für eine Neuaufstellung bis zum Parteitag im Oktober erarbeiten.

Der Wunsch nach einem personellen Neuanfang ist nur zu verständlich: Die Europawahl ist schließlich nicht die erste Wahl, die unter der Führung des Duos krachend verloren wurde. Bei den für die Partei so entscheidenden drei Landtagswahlen im Herbst dürfte sich die Serie fortsetzen, in Sachsen droht die Linke gar aus dem Parlament zu fliegen. Vor wenigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Und im Bund liegt die Partei konstant unter fünf Prozent. Die Hoffnung, dass sie nach dem Abschied ihrer lautesten Kritikerin Sahra Wagenknecht wieder erkennbarer und damit für viele Menschen (wieder) wählbar werde, sie hat sich bisher nicht erfüllt.

Die Sehnsucht nach einem Neuanfang ist also riesig, mit "Gesichtern des Niedergangs" sei der nicht zu schaffen, hört man in der Partei. Doch so einfach ist die Sache nicht. Das fängt schon damit an, dass es seit Jahr und Tag schlicht keine profilierten Linkenpolitiker der mittleren oder jüngeren Generation gibt, die sich für eine solche Aufgabe aufdrängten. Ein Gysi in jung oder eine Wagenknecht ohne rechtspopulistische Untertöne sind nicht in Sicht. Wäre es anders, Wissler und Schirdewan wären längst nicht mehr im Amt. Und wenn manche in der Partei nun gar hoffen mögen, Gysi selbst könnte noch einmal seine Partei retten, dann zeigt auch das nur, wie schlimm es um die Linke wirklich steht. Der 76-Jährige wäre schon aufgrund seines Alters kein Signal der Hoffnung, sondern der Verzweiflung.

Ein hohes Risiko

Die Auswechslung der Parteivorsitzenden, wenn sie denn kommt, ist auch in anderer Hinsicht ein Risiko: Die Neuen hätten vor der Bundestagswahl nur ein knappes Jahr Zeit, sich bekannt zu machen. Sie hätten zudem keine Erfahrung darin, wie man einen bundesweiten Wahlkampf führt, und müssten sich auch in die Parteiarbeit erst neu einarbeiten. Schon bei der letzten Bundestagswahl blieb Wissler und ihrer damaligen Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow nur ein halbes Jahr Zeit zwischen Amtsantritt und Wahl. Dies gilt als einer der Gründe für das schon damals schlechte Abschneiden. Dasselbe Desaster könnte sich nun auf noch tieferem Niveau wiederholen.

Gerade weil keine populären Personen in Sicht sind, um die Linke aus der Krise zu führen, sollte die Partei ihr eigentliches strategisches Dilemma lösen. Denn der Richtungsstreit darüber, wer die Linke eigentlich sein will, hat mit dem Abgang von Wagenknecht und ihren Anhängerinnen nicht aufgehört: Noch immer gibt es den eher ostdeutsch geprägten Reformerflügel, der das Profil der Linken vor allem in der Sozial- und Friedenspolitik sieht, und die sogenannten Bewegungslinken, die das Spektrum um Themen wie Klimaschutz und Antidiskriminierung erweitern wollen. Und noch immer bekämpfen sich diese beiden Teile, wenn auch etwas mehr hinter vorgehaltener Hand als noch vor einigen Jahren. 

Es braucht jedoch beide Seiten. Es braucht Themen und Personen, mit denen man ältere ostdeutsche Arbeitnehmer oder westdeutsche Gewerkschafterinnen ansprechen kann, genauso wie solche, mit denen man junge, akademisch gebildete Großstädter erreicht. Letztere ticken in Dresden oder Leipzig übrigens ganz ähnlich wie die in Hamburg oder München. Sie sind zwar im Moment nicht zahlreich genug für einen Wahlsieg, aber sie verkörpern die Zukunft der Partei.

Das schwerwiegenste Problem aber ist, dass die Partei mit den eigentlich richtigen Themen Sozialpolitik, Frieden und Klimaschutz nicht durchdringt. Wenn die nun eingesetzte Arbeitsgruppe dazu ein paar gute Ideen hätte, dann muss die Linkspartei sich vielleicht doch noch nicht aufgeben.