Der Messerangriff eines seit Jahren in Deutschland lebenden Afghanen auf einen islamfeindlichen Aktivisten hat eine Debatte über Abschiebungen ausgelöst. Der Angreifer von Mannheim verletzte auf dem Marktplatz der Stadt einen Polizisten tödlich. Die Innenministerkonferenz soll demnächst über den Plan beraten, schwere Straftäter auch in Länder wie Afghanistan abzuschieben – was der Staat bisher nicht praktiziert. Nicht nur die AfD, auch Politiker der Ampelkoalition sind dafür. Die wichtigsten Fragen und Antworten: 

Kann überhaupt nach Afghanistan abgeschoben werden?

Abschiebungen sind erst vor wenigen Monaten erleichtert worden, darunter die von Straftätern oder von Gefährdern, also Menschen, denen man eine schwere Straftat zutraut. Das Problem: Viele dieser Personen sind – wie der Angreifer von Mannheim – aus Ländern, mit denen es keinen diplomatischen Kontakt gibt, also etwa Afghanistan oder Syrien. Abschiebungen in diese Länder vollzieht der deutsche Staat nach derzeitiger Rechts- und Erkenntnislage nicht, weil eine korrekte Übernahme der Staatsbürger dort nicht gewährleistet ist und Menschen in diesen Ländern nicht sicher sind. Für die Beurteilung von Afghanistan stark maßgebend sind die Lageberichte, die das Auswärtige Amt regelmäßig erstellt. 2023 beschrieb der Bericht ein "Klima der Einschüchterung und Straflosigkeit" durch die Taliban-Regierung im Land. 

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Was sind die Forderungen?

"Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er aus Afghanistan kommt." Das fordert Hamburgs Innensenator Andy Grothe, der eine entsprechende Initiative in die halbjährliche Konferenz der Innenminister einbringen will. Das Sicherheitsinteresse Deutschlands wiege schwerer als das Schutzinteresse von Tätern, Gefährdern und islamistischen Verfassungsfeinden, heißt es darin. Man müsse dafür "einen Weg finden". Die Runde tagt in zwei Wochen.

Dabei geht es nicht allein um Afghanistan. Grothe fordert in seinem Papier das Bundesinnenministerium auf, die Sicherheitslage auch für Syrien neu zu bewerten, insbesondere für die Region Damaskus, das auch von internationalen Airlines angeflogen wird. Dem BMI unterstellt ist das Bundesamt für Flüchtlinge (Bamf), das eigene Länderreporte verfasst. Das BMI ist mit der Frage schon länger befasst, erst im Dezember kam es erneut zu dem Schluss, dass Abschiebungen schon "aus praktischen Gründen nicht durchführbar" seien, unabhängig von der Rechtslage.

Grothe fordert zudem, der Bund solle mit der pakistanischen Regierung vereinbaren, dass von Deutschland abgeschobene Afghanen von dort aus bis zur afghanischen Grenze gebracht werden – die sie dann offenbar selbstständig überqueren sollen.  

Grotes Plan deckt sich mit den Zielen der CDU, die seit Langem fordert, konsequenter abzuschieben. Selbst der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese sagt, schwerste Straftäter hätten ihr Bleiberecht verloren und müssten nach Afghanistan abgeschoben werden können. Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach sich dafür aus. Der Hamburger Vorstoß entspricht in Teilen Forderungen der AfD, die alle Menschen ohne Bleiberecht nach Afghanistan abschieben will und dafür verlangt, mit den Taliban zu verhandeln.

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Was sind die Gegenargumente?

Die Taliban beherrschen Afghanistan, deshalb lehnt das Bamf nur weniger als zwei Prozent der Asylanträge von Afghanen ab. Auch den allermeisten Syrern wird Asyl gewährt. Die Menschenrechtslage in den Ländern spricht grundsätzlich gegen Abschiebungen.  

Eine Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hält zwar fest, dass im Einzelfall zu prüfen wäre, ob den Abzuschiebenden unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Etwa im Assad-Regime in Syrien ist sehr es wahrscheinlich, dass rückkehrende Flüchtlinge ins Gefängnis verbracht oder gar gefoltert werden.  

In Afghanistan würden sie dagegen sogar womöglich straflos davonkommen, mutmaßen mehrere Politikerinnen und Politiker. "Wir sind geschützt vor solchen Leuten, wenn die im Gefängnis sind", sagt Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD im Europawahlkampf, zu ZEIT ONLINE. Die Taliban würden islamistische Attentäter aus Deutschland vermutlich kaum bei sich bestrafen und einsperren. "Abschiebung macht dann Sinn, wenn wir sicherstellen können, dass Verbrecher auch ins Gefängnis gehen", sagt Barley. Wenn man abschiebe, müsse man zuerst sicherstellen, dass die Straftäter auch wirklich verhaftet werden.

So argumentieren auch die Grünen. Anders als führende FDP- und SPD-Politiker widersprechen sie dem Hamburger Grothe-Plan: Parteichef Omid Nouripour betont, dass ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan einen Preis hätte. "In der Regel wollen die Taliban dafür Geld haben", betonte Nouripour. Und das wiederum wäre kontraproduktiv, weil es eine "Stärkung der islamistischen Szene" zur Folge hätte.  

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Wie lässt sich im Inland gegensteuern?

In Deutschland ist der Besitz und das Mitführen von Messern in der Öffentlichkeit bereits differenziert geregelt, unter anderem im Waffengesetz. Ob erlaubt oder nicht, hängt hauptsächlich von Bauart und Klingenlänge ab. Diskutiert wird nach dem Angriff von Mannheim aber auch, die sogenannten Messerverbotszonen auszuweiten – Bereiche, in denen Kommunen Messer verbieten. Sie auszuweiten, fordert unter anderem der Rechtspolitiker Dirk Wiese von der SPD. Neu ist die Forderung nicht: Erst jüngst hat Niedersachsen den Bund gemahnt, endlich eine seit Januar 2023 angekündigte Verschärfung des Waffenrechts umzusetzen – und verlangt ein Verbot der bisher noch bis zu einer Klingenlänge von 8,5 Zentimeter erlaubten Springmesser. Feststehende Klingen sollten schon ab sechs Zentimeter verboten werden, bisher sind zwölf erlaubt.

Wie wirksam das sein wird, ist fraglich: Die Stadt Mannheim hat erst Ende 2023 eine Messerverbotszone um den Markt herum eingeführt, weil schwere Straftaten zunahmen und die Angst vor Kriminalität wuchs. Menschen dürfen dort an einigen Nächten der Woche keine Messer mit fester Klinge länger als vier Zentimeter tragen. Den Angriff vom Freitag hat das nicht verhindert. 

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