Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat der Gruppe Letzte Generation vorgeworfen, im Namen lediglich scheinbar hoher Ziele unzulässige Gewalt anzuwenden. "Kein noch so edles Motiv kann darüber hinwegtäuschen, dass das Blockieren von Straßen (…) nichts anderes ist als physische Gewalt", sagte er in seiner Rede beim Bundesparteitag der Liberalen.

"Wer eine andere Politik will, kann in die Politik gehen, eine Partei gründen und Mehrheiten erwerben", sagte Lindner in Richtung der "sogenannten Klimakleber". Den Aktivisten warf er vor, den gesellschaftlichen Konsens infrage zu stellen – "auch jenseits des Extremismus", den er zuvor seitens rechtsextremer Gruppen beklagt hatte.

"Das sind ganz kleine Ideen"

Damit äußerte sich Lindner moderater als Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der die Aktivistinnen zuvor mit extremen politischen Gruppierungen in der Weimarer Republik verglichen hatte.

Gleichzeitig kritisierte der Bundesfinanzminister die konkreten Ziele der Aktivisten: Sie könnten ihr Vorgehen nicht rechtfertigen, sagte er. Dabei verwies er auf die Forderung nach einem 9-Euro-Ticket und einem bundesweiten Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde. "Das sind ganz kleine Ideen", sagte Lindner, "und dafür der große Ärger. Umgekehrt wäre es besser."

Der Parteichef lobte zudem den FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der "mit seinem Einsatz für die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs" sowie mit der Ausgestaltung des Deutschlandtickets mehr für den Klimaschutz getan habe als die Letzte Generation. Die Klimaaktivisten bedrohten hingegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, resümierte Lindner – und brachte sie somit in Distanz zu dem Begriff, den er in seiner Rede mehrfach wiederholte.

"Wir urteilen nicht über Lebensmodelle"

Dabei positionierte er die FDP in Opposition zu linken Kräften, die "Verhaltensanweisungen" geben wollten, als auch "von rechts, wie Markus Söder, der gegen 'Woke-Wahnsinn'" gifte: "Wir urteilen nicht über Lebensmodelle", sagte Lindner über seine Partei: "Das Leben mit Verbrennungsmotor im Thüringer Wald ist nicht besser oder schlechter als das Lebensmodell mit Lastenrad im Prenzlauer Berg." Dabei setzte er sich auch weiter betont von der Union ab: "Für uns ist es wichtig, Zusammenhalt zu stiften, aber keinen, der sich aus Tradition ergibt", sagte er, "sondern aus freier Selbstbestimmung."

Im Zusammenhang damit lobte er die Politik der FDP in der Corona-Politik. Im Gegensatz zum "'Team Vorsicht', das in Wirklichkeit ein 'Team Vorschrift'" war, habe sie auf Selbstbestimmung gesetzt und damit recht gehabt, da die Bürgerinnen und Bürger damit verantwortlich umgegangen seien.

Auch beim Thema der Einwanderung versuchte Lindner, seine Partei als Mittelweg zwischen rechts und links zu präsentieren: Sie habe Anteil an der Vereinfachung des Einwanderungsrechts, das den Fachkräftezuzug beschleunigen werde. Dabei müssten sowohl "die Lebenslügen der Konservativen", dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, überwunden werden als auch "manche linke Lebenslüge", wonach Einwanderung unkontrolliert ablaufen dürfe.

"Ungleichgewicht zwischen Vergangenheit und Zukunft"

Der FDP-Chef positionierte sich weiterhin in wirtschaftlichen Fragen erwartbar gegen weitere Staatsschulden und für die Einhaltung der Schuldenbremse. Sie sei nicht "irgendein Fetisch", sondern ein "Gebot der ökonomischen Klugheit". So müsse er in diesem Jahr als Finanzminister verantworten, 40 Milliarden Euro für die Bedienung alter Schulden aufzuwenden – Geld, das für Investitionen "in Digitalisierung und Bildung" fehle.

Die Verantwortung dafür verortete er bei der Union: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre habe sie innerhalb der großen Koalition immer mehr neue Sozialleistungen eingeführt, die nicht nachhaltig finanziert seien. "Jetzt kommt der Bumerang der unsoliden Finanzpolitik der CDU zurück", sagte Lindner: "Wir haben in Deutschland ein Ungleichgewicht zwischen Vergangenheit und Zukunft."

Neben der Einhaltung der Schuldenbremse forderte er eine konsequente Bekämpfung der steigenden Preise. "Sie ist ein zähes Biest, die Inflation", sagte er. Es müsse oberste Priorität haben, sie zu überwinden. Dafür müssten hohe Ausgaben reduziert werden. Im Blick habe er da etwa die Rentenpolitik, in der nur durch eine Aktienrente in Zukunft stark steigende Beiträge verhindert werden könnten.

Einen solchen Schritt sieht bereits der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien vor, über den Lindner jedoch hinaus gehen will: Bis Ende der 2030er-Jahre müssten jährlich zehn Milliarden Euro für die Aktienrente gebildet, verzinst und genutzt werden. Das sei keine Politik im Auftrag der Wohlhabenden: Schon wer in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Mindestlohn verdiene, zahle in die Rentenkasse ein und sei von steigenden Beiträgen betroffen.

Lindner fordert Offenheit für Kernfusion – und rechtfertigt Autobahnausbau

Zudem mahnte Lindner an, Wohlstand zu erwirtschaften, ehe er verteilt werde: "Von irgendwas werden wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Deutschland aber leben müssen", sagte er im Hinblick auf die Abschaltung der Atomkraftwerke. Die Kernkraft in ihrer derzeitigen Form sei zwar nun erübrigt, man müsse aber offen bleiben für Entwicklungsmöglichkeiten in der Kernfusion und "alles Mögliche tun, dieser Technologie eine Chance zu geben", sagte er.

Zu den notwendigen Investitionen in die Zukunft gehöre auch ein Abbau von Bürokratie, etwa bei Planungsverfahren für Infrastruktur – wo Lindner zum Themenkomplex Verkehr und Klima zurückkehrte: Es sei gelungen, 144 Autobahnprojekte mit einer Gesamtlänge von 1.000 Kilometern voranzutreiben. Das sei von "überragendem öffentlichem Interesse", da nur so Logistikketten funktionieren würden – "und weil nichts schlechter für den Klimaschutz ist, als dass Benzin und Diesel im Stau verbrannt werden".

Wiederwahl könnte Lindner längste Amtszeit aller FDP-Chefs bescheren

Beim Bundesparteitag der FDP kandidiert Lindner, seit fast zehn Jahren Parteichef, erneut für den Spitzenposten bei den Liberalen. Sollte er wie erwartet wiedergewählt werden, könnte er 2025 Hans-Dietrich Genscher mit dann zwölf Jahren im Amt als Rekordvorsitzender der FDP übertreffen. Auch die Mitglieder des Parteivorstands und des Präsidiums werden neu gewählt.

Die FDP sieht sich dabei in einer schwierigen Lage: In Umfragen liegt sie weit unter den 11,5 Prozent, die sie bei der Bundestagswahl 2021 erzielt hatte, jüngste Ergebnisse bei Landtagswahlen fielen eher enttäuschend aus. Auch bei den anstehenden Wahlen in Bremen, Hessen und Bayern drohen der Partei schlechte Ergebnisse bis hin zum Fall unter die Fünfprozenthürde.

Zudem gilt das Verhältnis der FDP zu ihren Koalitionspartnern als belastet: Die wochenlange Blockade des EU-weiten Verbrennerverbots ab 2035, um die Ausnahmeregelung für E-Fuels durchzusetzen, stieß vor allem bei den Grünen auf Kritik. In der Außenpolitik kritisierte hingegen vor allem die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die die FDP bei den Europawahlen 2024 als Spitzenkandidatin anführen soll, insbesondere die SPD im Zusammenhang mit dem Ukraine-Kurs des Bundeskanzlers Olaf Scholz, dem sie Zögerlichkeit vorwarf.

Lindner will FDP-Politik innerhalb der Ampel durchsetzen

Auf diese Schwierigkeiten in der Ampel-Koalition ging Lindner in seiner Rede ein. "Es ist ja so in dieser Koalition, dass wir um viele Fragen ringen müssen", sagte er. Das habe etwa der jüngste, rund 30 Stunden dauernde Koalitionsausschuss "irgendwie offensichtlich" werden lassen.

Der FDP-Chef verteidigte das: "Bei uns lohnt das Warten wenigstens", sagte er unter Bezug auf die im Kanzleramt von den Ampel-Spitzen getroffenen Beschlüsse, wie "ein Klimaschutzgesetz mit Marktwirtschaft, Investitionen in die Bahninfrastruktur und anderes".

Die Kritik an der FDP deutete er dabei indirekt zum Kompliment um. Er wolle die politischen Vorstellungen seiner Partei weiterhin kämpferisch vorantreiben, kündigte er an: Es sei "nicht schlimm, wenn die FDP angegriffen wird für das, wofür sie steht", sagte er. Schlimm sei nur, "wenn die FDP angegriffen wird, weil sie für nichts steht".

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP