Zum 19. Mal verleihen DIE ZEIT, die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Marion Dönhoff Stiftung den Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung. Den Hauptpreis erhält der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum. Er habe sein politisches Leben dem Kampf für die Freiheit gewidmet, unbeirrt gegen den Obrigkeits- und Überwachungsstaat gestritten und entschlossen die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes verteidigt. 

Die ursprünglich für Sonntag im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg vorgesehene Preisverleihung wurde abgesagt. Lesen Sie hier die Laudatio des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel:

Sehr geehrter, lieber Herr Baum,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

Gestatten Sie mir, dass ich an den Beginn dieser Rede einen Schlusssatz stelle. Er stammt von Max Weber, der damit seinen berühmten Essay Politik als Beruf beendete. Weber, einer der intellektuellen Gründerväter des deutschen Linksliberalismus, schrieb damals, vor gut hundert Jahren (1919) – ich zitiere:

"Nur wer sicher ist, daß er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, daß er all dem gegenüber: 'dennoch!' zu sagen vermag, nur der hat den 'Beruf' zur Politik." Sie, lieber Herr Baum, haben wahrlich diesen Beruf!

Denn Sie haben seit dem Ende der sozial-liberalen Koalition 1982 "dennoch!" in die deutsche Politik gerufen – laut und vernehmlich!

Immer dann, wenn der soziale Liberalismus als politisch zukunftslos bezeichnet wurde. Immer dann, wenn ihm die Regierungsfähigkeit abgesprochen wurde – nicht zuletzt innerhalb ihrer eigenen Partei, der FDP.

Sie haben für diese Überzeugung Ablehnung und Ausgrenzung, manchmal sogar politische Einsamkeit erfahren. Aber zerbrochen sind Sie nicht. Im Gegenteil. Und so kommt es, dass Sie und wir alle heute, fast 40 Jahre später, wieder den Beginn einer neuen sozialliberalen Regierungszeit erleben. Den Beginn einer "Fortschrittskoalition". Einer Koalition, die das Soziale mit dem Liberalen verbinden will – zusammen mit dem Ökologischen.

"Wir wollen mehr Fortschritt wagen", ist das Motto der sogenannten Ampel-Regierung – und damit natürlich eine sehr bewusste Reminiszenz an das berühmte Diktum von Willy Brandt; eine Hommage an die sozialliberale Koalition seiner Zeit.

Selbst Christian Lindner hat bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages einen waschechten Sozialdemokraten aus dieser Ära zitiert, nämlich Egon Bahr – und zwar ohne rot zu werden, in jeder Hinsicht!

Das alles zeigt: Es gibt eine echte Chance auf eine neue sozialliberale Ära in Deutschland!

Lieber Herr Baum,

damit schließt sich auch auf beeindruckende Weise ein Kreis Ihres politischen Wirkens. Denn das ideenpolitische Fundament für diese Ära haben Sie selbst mit gelegt – vor fast genau 50 Jahren.

Damals, im Oktober 1971, erlebte der soziale Liberalismus in Deutschland eine Sternstunde: Bundeskanzler Willy Brandt wurde für die Ostpolitik seiner SPD/FDP-Regierung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Und nur wenige Tage später beschlossen die Freien Demokraten ihr neues Parteiprogramm – die "Freiburger Thesen".

Sie, lieber Herr Baum, waren damals gemeinsam mit Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer einer der wichtigsten Köpfe hinter diesem programmatischen Meilenstein. Damals wie heute stand die Bundesrepublik vor einer "doppelten Reformnotwendigkeit", wie sie es genannt haben:

Es ging um neue Impulse in der Außenpolitik angesichts der deutschen und europäischen Teilung im Kalten Krieg. Um Aussöhnung und Frieden.

Und es ging um innenpolitische Reformen vor dem Hintergrund der immensen gesellschaftlichen Umwälzungen in der damaligen Bundesrepublik. Um das Ende der Nachkriegszeit.