Dass er dieses Tempo, diese Lautstärke, nicht ewig würde aufrechterhalten können, war eigentlich klar: Zu Beginn der Corona-Krise war Markus Söder vorangaloppiert. Kraftvoll, selbstbewusst, ohne Zaudern. Ein politisches Urvieh eben, neben dem die 15 übrigen Landeschefs noch ein bisschen blasser aussahen. Bayerns Ministerpräsident trieb die Länder vor sich her und setzte die gemeinsamen Vereinbarungen dann im Freistaat noch einen Tick strenger um.

Das kam gut an. In Umfragen ging es steil nach oben. Söder, seine Partei und ihre Politik bekamen überragende Zustimmungswerte. Kaum ein Tag ohne Interview, kaum ein Morgenmagazin, heute-journal oder eine Talkshow, wo er nicht persönlich auftrat. Söder war überall. Das Kanzleramt schien der realistische nächste Karriereschritt.

Das Virus parteipolitisch polarisiert

Der erste, wenn auch entschuldbare, Knick kam im Sommer. Mehrere Tausend Urlaubsrückkehrer mussten lang auf ihre Testergebnisse warten, darunter auch viele Infizierte. Eine Riesenpanne. Söders Ambition überforderte die Zettelwirtschaft seiner Behörden. Söder wirkte plötzlich, für seine Verhältnisse, demütig und kleinlaut. Aber klar ist auch: In anderen Bundesländern hätten die Infizierten davon auch nie erfahren und das Virus womöglich unbemerkt weitergetragen, weil sie nie getestet worden wären.

Seitdem lag er in Ton und Auftritt immer wieder daneben. Aus München lästerte er über die lahme Corona-Politik im Land Berlin. Die Kritik mag inhaltlich berechtigt gewesen sein. Die Entscheidung, das Virus nun auch parteipolitisch zu polarisieren, ist schon eine wesentlich heiklere Risikoabwägung. Viele Unionspolitiker sind davor bislang zurückgeschreckt, zumindest in der Öffentlichkeit. Und weil obendrein zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Gegenden im Freistaat ein ebenso dramatisches Infektionsgeschehen wie die Hauptstadt meldeten, war die Resonanz auch eher: Kümmere dich erst mal um die eigenen Hotspots.

Masken stilisierte Söder kürzlich hoch zum "Instrument der Freiheit". Der Kritik der FDP an seiner Corona-Politik konterte er, indem er die Liberalen in die N��he der AfD rückte. Vielleicht entwächst das aufrichtig der Urfurcht der CSU, sie könne die Kontrolle verlieren über eine tiefgreifende, dynamische Krise. Es wirkt aber dünnhäutig und besserwisserisch.

Corona und die neuen Allianzen

Corona hat die politischen Parameter und Allianzen verschoben, wie man das nicht für möglich gehalten hätte: Seit Beginn der Pandemie sitzt Söder artig neben der Bundeskanzlerin und hält nach jeder Runde mit den Ministerpräsidenten ein Co-Referat. Als Angela Merkel im Sommer nach Bayern kam, schmeichelte er ihr in König-Ludwig-Manier vor Postkarten-Kulisse mit einem Empfang im Spiegelsaal auf Herrenchiemsee. Söder, der Scharfmacher in der Flüchtlingskrise, ist plötzlich unzertrennlich mit der Bundeskanzlerin. Nach der jüngsten Bund-Länder-Konferenz in Berlin waren es erneut Söder und Merkel, die einhellig durchblicken ließen, dass sie die Beschlüsse eigentlich zu lasch fanden. Söder droht dasselbe Problem wie Merkel zu bekommen: Seine häufigen Mahnungen nutzen sich ab.

Noch so eine Achsenverschiebung: Ausgerechnet die Partei, die den Zentralismus in Deutschland bekämpfte wie kaum eine andere – ja sogar gegen das Grundgesetz gestimmt hatte, weil es ihr nicht föderal genug war – fordert mehr Kompetenzen für den Bund. Auf einer Vorstandssitzung sagte Söder Anfang der Woche: Der Föderalismus stoße an seine Grenzen. Und bei seiner Regierungserklärung im Landtag am Mittwoch wurde er konkreter: Zeitlich befristet sollen die Länder im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes Befugnisse abgeben, um eine einheitliche Corona-Politik zu garantieren.