Russische Geheimdienstpapiere deuten darauf hin, dass Deutschland eines der wichtigen Zielländer russischer Desinformationskampagnen ist. Das berichten der Spiegel und das Investigativportal The Insider. Den Medien wurden nach eigenen Angaben Unterlagen des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR zugespielt, darunter ein Strategiepapier des SWR-Abteilungsleiters Michail Kolossow, das kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine entstanden sein soll. Ziel Russlands ist es demnach, in Europa Angst und Panik zu erzeugen.  

Die Geheimdienstunterlagen sollen aus einer Cyberattacke russischer Hacker stammen, die Russlands Staatschef Wladimir Putin kritisch gegenüberstehen. Der Spiegel konnte nach eigenen Angaben Daten und weitere Angaben zu den in den Papieren genannten Personen verifizieren, auch Experten halten die Inhalte der Papiere demnach für plausibel. Die russische Botschaft habe auf eine Anfrage des Magazins nicht reagiert.

Propaganda auf emotionaler Ebene

In dem Strategiepapier des SWR-Abteilungsleiters wird den Berichten zufolge eine Spaltung der westlichen Gesellschaften als Ziel ausgegeben. Dazu müsse ein Keil zwischen die Ukraine und ihre Unterstützerstaaten getrieben werden. "Das dankbarste Thema ist im Moment das der ukrainischen Flüchtlinge, die aktiv die europäischen Sozialsysteme in Anspruch nehmen", zitieren Spiegel und The Insider aus dem Papier. Die "zunehmenden Ansprüche ukrainischer Migranten und die dadurch hervorgerufenen Irritationen der lokalen Bevölkerungen" seien nach seiner Einschätzung "ein hocheffizientes Thema für die Netzkriegsführung in der EU". 

Zentraler Ansatz des Strategen Kolossow ist laut Spiegel, Menschen im Ausland über eine emotionale Ebene zu erreichen – und dabei vor allem auf ein starkes Gefühl zu setzen: Angst.

Russland schätzt eigene Propagandasender offenbar als ineffektiv ein

Das Papier sieht den Berichten zufolge nicht nur geheime Einflussoperationen im Netz vor, sondern propagiert demnach auch inszenierte Protestaktionen. "Über die Organisation von Massenprotest-Events in der EU", sei etwa ein Abschnitt überschrieben. Die ideale Teilnehmerzahl dafür werde auf bis zu 100 Leute taxiert. Die angeheuerten Demonstranten seien mit jeweils 100 Euro zu vergüten. Es gehe nicht nur um den Straßenprotest selbst, sondern um die dabei entstehenden Fotos und Videos, also Material für spätere Internetkampagnen.

Als ineffektiv beschrieben wird in dem Papier laut Spiegel die frühere russische Strategie, auf eigene Propagandasender wie Sputnik und RT zu setzen. Auch der "vergleichsweise frische Trend, loyale Telegramkanäle zu unterstützen", erfülle nicht die Erwartungen.

Dass Russland Desinformation in westlichen Ländern gezielt fördert und sich in einem Informationskrieg mit dem Westen wähnt, ist nicht neu. Zu den bekanntesten russischen Desinformationskampagnen zählt die sogenannte Doppelgänger-Kampagne, die 2022 aufgedeckt wurde. Dabei wurden im großen Stil Fake-Accounts auf sozialen Medien geschaffen, die von dort auf andere Websites verlinkten, bei denen es sich um Imitationen bekannter Nachrichtenmedien handelte. Anfang dieses Jahres deckte das Auswärtige Amt eine weitere russische Kampagne mit mehreren Tausend gefälschten Accounts auf der Plattform X auf.